Die Geschichte einer Agglogemeinde ist eng mit der Verkehrsentwicklung verknüpft. In Dübendorf spielt diese in drei Dimensionen: Fliegerei in der Luft, Zug und Glattalbahn auf dem Boden, S-Bahn im Untergrund.
«Einzelfunde aus der Stein- und Bronzezeit» und «Grabstätten» aus der Zeit um 1400 bis 700 vor Christus erwähnt Wikipedia im Artikel über Dübendorf. Damit war der Ort eine Siedlung wie Hunderte andere auch. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts lebten hier gut 1000 Menschen, Mitte des 19. Jahrhunderts waren es gerade einmal doppelt so viele. Doch dann, am 1. August 1856, begann Dübendorfs Zukunft – auch wenn man sich dessen damals wohl kaum bewusst war. An diesem Tag nahm die ‹Glattthalbahn› (Gl-TB) auf der Strecke Wallisellen–Uster ihren Betrieb auf. Hinter dem Projekt standen Industrielle aus Uster, denen jedoch bald der Schnauf ausging. Noch bevor die zweite Etappe bis nach Wetzikon in Betrieb genommen wurde, fusionierte die Gl-TB mit zwei weiteren Gesellschaften zu den Vereinigten Schweizerbahnen (VSB). Die VSB bauten das Streckennetz zügig aus, und der über Dübendorf führende Schienenstrang erreichte bald nicht nur Wetzikon, sondern auch Rüti und Rapperswil. Von 1884 bis 1902, als die VSB in den SBB aufgingen, fuhr sogar der Arlberg Express auf seinem Weg von Zürich nach Wien durch das Glattal. Der Zug fuhr zwar ohne Halt durch Dübendorf, aber ein bisschen schwang im Fahrtwind doch der Hauch der weiten Welt mit.
Am Anfang war das Aerodrom
Ein gutes halbes Jahrhundert später begann in Dübendorf erneut eine Zukunft: Im Oktober 1910 fand mit den Flugtagen die Lufttaufe des neuen Aerodroms statt. Das erste Flugzeug, das hier startete, war ein Blériot-Eindecker, den der französische Flugpionier Georges Legagneux am 23. Oktober 1910 in den Himmel zog. Zwei Tage später glückte neben Legagneux auch Pasquale Bianchi und Henri Chailley der Start – damit waren in Dübendorf erstmals drei Flieger gleichzeitig in der Luft.
Die Veranstaltung zog rund 100 000 Besucherinnen und Besucher an. Die meisten kamen – heute kaum vorstellbar – zu Fuss: «Oberhalb der Kirche Fluntern vereinigten sich die von verschiedenen Seiten heranziehenden Fussgängerkolonnen zu einem mächtigen Strom, der stundenlang ohne Unterbrechung über Allmend und Klösterli zur Nordflanke des Zürichberges hinübertrieb», berichtete die ‹Neue Zürcher Zeitung›.
Treibende Kraft hinter dem Flugplatz Dübendorf war der französische Aviatiker Reynold Jaboulin. Geschickt verhandelte er mit den Grundbesitzern des flachen Rieds, die ihm die Flächen verpachteten. Und er überzeugte die wohlhabenderen Dübendorfer, Geld für ein Flugfeld einzubringen. Zwei Jahre nach den Flugtagen war die Genossenschaft Aerodrom Dübendorf allerdings bereits pleite, und aus den Hangaren wurden Scheunen. Aber das Flugfeld war da, und 1914 wählte der Bund Dübendorf als Standort für einen Militärflugplatz. Zunächst pachtete er das Gelände, 1918 kaufte er es für 380 000 Franken.
◼︎ Siedlungsgebiet 1900, ◼︎ Siedlungsgebiet 1950, ◼︎ Siedlungsgebiet 2022, – Glattalbahn, --- geplante Verlängerung, – Autobahn, --- Ausbau gemäss Richtplan, - - - frühere Planungen, – Tram VBZ, – SBB
Für kurze Zeit das Tor zur Welt
Dübendorf war nicht nur die Basis der schweizerischen Fliegertruppe, der Flugplatz diente auch der zivilen Luftfahrt. Eine besondere Rolle spielte dabei das 1919 gegründete Unternehmen Ad Astra Aero, hinter dem die beiden Flugpioniere Alfred Comte und Walter Mittelholzer standen. Sehr lukrativ war das Fluggeschäft aber nicht. Auf Druck des Bundes fusionierten die Ad Astra Aero und die in Basel beheimatete Balair 1931 zur Swissair. Druck aus Bern brauchte es auch für den Ausbau der Infrastruktur. Nachdem das Zürcher Stimmvolk einen Kredit für die Erstellung von Hochbauten 1930 abgelehnt hatte, forderte das Eidgenössische Luftamt den Bau eines Abfertigungsgebäudes und eines Hangars. Dafür gründeten Interessengruppen und Verbände eigens eine Genossenschaft. Sie sollte die Hochbauten erstellen, während der Kanton sich um die Tiefbauten kümmerte. 1932 konnte das Abfertigungsgebäude mit der zentralen Halle eröffnet werden. Es steht bis heute und zeugt als Baudenkmal von dieser frühen Zeit der Zivilluftfahrt. Die Lage von Bahnhof und Flugplatz ausserhalb des Dorfkerns legte die Richtung der Siedlungsentwicklung fest: Nordosten. Doch Dübendorf wuchs gemächlich: 1950 belief sich die Einwohnerzahl auf nicht einmal 7000 Personen.
Die Rolle als Tor zur Welt konnte Dübendorf nur wenige Jahre wahrnehmen. Ende der 1930er-Jahre kündigte der Bund die gemeinsame Nutzung des Flugplatzes auf. Der Kanton erstellte für die Zivilluftfahrt in Kloten einen Interkontinentalflughafen, der 1948 seinen Betrieb aufnahm. Dübendorf wurde zu einem reinen Militärflugplatz. Mit knapp 47 000 Flugbewegungen – davon 31 000 Jetflüge – war 1985 das verkehrsreichste Jahr. 2005 beschloss die Armee, den Flugplatz Dübendorf zu schliessen, und noch im selben Jahr wurde der Jetflugbetrieb eingestellt. Seither laufen die Diskussionen um die künftige Nutzung des Flugplatzareals.
Die Strasse hat Vorrang
Während die Entwicklung des Flugverkehrs in Dübendorf zunächst stürmisch und später immerhin noch laut war, fristete die Bahn lange Zeit ein Schattendasein. Anfang der 1930er-Jahre wurde die Strecke von Wallisellen über Uster nach Rapperswil zwar elektrifiziert, doch nach wie vor war sie nur eingleisig. Ein Vorstoss des Ustermer Gemeinderats in Bern für einen Doppelspurausbau blieb 1942 ebenso erfolglos wie einer im Nationalrat 1956. In jenen Jahren lag der Fokus auf dem Auto, das grenzenlose Mobilität versprach. Die Formel ‹Mehr Verkehr braucht mehr Strassen› war allgemein anerkannt, und so bauten Gemeinden und Kantone die Ortsdurchfahrten kräftig aus. Im Neugut erhielt Dübendorf Ende 1974 eine direkte Zufahrt auf die neu eröffnete Autobahn A1 Zürich–Winterthur; die Fortsetzung als Südumfahrung blieb Papier.
Die turbulente Entwicklung vieler Agglomerationen erfasste in den 1960er-Jahren auch Dübendorf. Zwischen 1960 und 1970 wuchs die Bevölkerung von gut 10 000 auf mehr als 16 000 Menschen an, um sich ab Anfang der 1980er-Jahre bei rund 20 000 Einwohnerinnen und Einwohnern einzupendeln. Als das Strassenwerk vollendet war, wurden sich viele der Konsequenzen bewusst. In Rolf Kellers legendärem Buch ‹Bauen als Umweltzerstörung› von 1973 hatte auch das Dübendorfer Zentrum einen prominenten Auftritt mit zwei Vorher-nachher-Bildpaaren.
Die starke Verkehrszunahme nach 1960 brachte nicht nur die Strassen, sondern auch die Bahnanlagen im Glatttal an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit. Das S-Bahn-Projekt von 1973 sah auch den Ausbau der Glattallinie vor. Doch weil die umstrittene U-Bahn für Zürich zur selben Abstimmungsvorlage wie die S-Bahn gehörte, scheiterte das Vorhaben an der Urne. Als Gegenvorschlag zu einer Volksinitiative arbeiteten Regierungsrat und SBB das Projekt für ein zweites Gleis zwischen Wallisellen und Uster aus, das bis 1985 realisiert wurde. Der Bahnhof Dübendorf erhielt damit ein weiteres Gleis und ein Mittelperron sowie zusätzliche Unterführungen. Der Ausbau der Bahnstrecke ermöglichte eine Verdichtung des Fahrplans, neue Verbindungen brachte er aber nicht mit sich.
Der Rand wird zum Zentrum
Ein grosser Schritt erfolgte fünf Jahre später, als in Dübendorf mit der Eröffnung der S-Bahn Ende Mai 1990 ein weiteres Mal die Zukunft begann. Zur mehr als 100-jährigen Bahnverbindung von Dübendorf über Wallisellen und Oerlikon zum Hauptbahnhof Zürich gesellte sich nun der neue Zürichbergtunnel. Dieser ‹Bypass› nach Stadelhofen machte nicht nur die Stadt Zürich, sondern auch Winterthur schnell erreichbar, und die durchgehenden S-Bahn-Linien ermöglichten umsteigefreie Fahrten darüber hinaus. Für Dübendorf ebenso wichtig wie die neuen Verbindungen war der neue Bahnhof Stettbach an der Grenze zu Zürich. Zwischen Genossenschaftsbauten am Rand von Schwamendingen und Gewerbebauten in Dübendorf, wo die Tramlinie 7 seit 1986 ihre Endstation gefunden hatte, entstand ein neuer Knoten des öffentlichen Verkehrs. Das Hochbord wurde vom Rand- zum Entwicklungsgebiet.
Vorerst passierte jedoch wenig. Die Geografie in den Köpfen der Menschen lässt sich nicht auf Knopfdruck ändern, und angesichts der Wiesen und Felder mit den eingestreuten Gewerbebauten brauchte es viel Vorstellungsvermögen, hier ein künftiges Zentrum vor sich zu sehen. Die Entwicklung setzte zunächst am nördlichen Rand des Hochbords ein. Bereits Ende der 1980er-Jahre hatte dort das ‹Wohnland› seine Türen geöffnet, weitere Fachmärkte folgten. Diese kamen jedoch nicht aufgrund der verbesserten Anbindung an den öffentlichen Verkehr, sondern wegen des nahen Autobahnanschlusses. Nachdem der Kanton Zürich Ende der 1990er-Jahre den südwestlichen Teil des Hochbords als Zentrumsgebiet deklariert hatte, kam etwas Bewegung in die Gegend. 2005 setzte der Architekt Theo Hotz für die Zürich-Versicherung einen markanten Büroneubau auf die grüne Wiese. Zentrumsqualitäten auf das Hochbord brachte der nach aussen weitgehend verschlossene Block jedoch nicht.
Die Bahn macht Stadt
Im Dezember 2010 begann in Dübendorf wiederum die Zukunft – die dritte Etappe der Glattalbahn nahm den Betrieb auf. Seither fährt die Tramlinie 12 als Stadtbahn vom Bahnhof Stettbach via Wallisellen zum Flughafen – und bindet Dübendorf erneut an die weite Welt an. Noch wichtiger als die Verbindung zum Flughafen ist die Einbindung in das Schienennetz. «Wo Bahn ist, da ist Stadt», pflegt man zu sagen. Auf dem Hochbord lässt sich das, leicht abgewandelt, schön beobachten: «Wo Bahn ist, da wird Stadt.» In den vergangenen zehn Jahren hat die Planungs- und Bautätigkeit auf dem Hochbord deutlich zugenommen. Nun ist der Bahnhof Stettbach nicht mehr der einzige Anknüpfungspunkt an die Stadt, sondern das ganze Gebiet ist eng in die Agglomeration eingeflochten. Eine erweiterte Zentrumszone lenkte die einst ungeplante Entwicklung des Hochbords in planmässige Bahnen.
Die Dynamik, die Dübendorf ab Mitte der 1990er-Jahre erfasste, widerspiegelt sich auch in der Bevölkerungszahl. Nachdem diese fast 20 Jahre relativ stabil geblieben war, begann die Kurve wieder anzusteigen. Heute gibt es mehr als 30 000 Dübendorferinnen und Dübendorfer. Sie wohnen – nach Zürich, Winterthur und Uster – in der viertgrössten Stadt des Kantons. Noch spielen Tramräder und -schienen ihre Musik erst im Westen der Gemeinde. Unter dem Stichwort ‹Glattalbahn Plus› zeigen Studien aber auf, wie die Bahn dereinst ab der bestehenden Haltestelle Giessen durch das Zentrum von Dübendorf via Bahnhof zum ehemaligen Flugplatz fahren könnte – nicht, um Flugreisende aufzunehmen, sondern um die Mitarbeiter und Forscherinnen des geplanten Innovationsparks effizient an ihren Arbeitsort zu bringen. Wenn Dübendorf die Bahn als Katalysator für die Stadtentwicklung nutzt – so wie es Schlieren mit der Limmattalbahn vormacht –, könnte das triste Bilderpaar aus Rolf Kellers Buch um eine erfreuliche Erweiterung ergänzt werden.
Dieser Artikel ist Teil der Themenwebsite ‹Dübendorf wächst›, die in Zusammenarbeit mit der Stadt Dübendorf und weiteren Partnern entstanden ist.