Replik zum neuen Luzerner Theater
Letzte Woche publizierten wir den Kommentar von Stanislaus von Moos, der sich gegen das neue Luzerner Theater von Ilg Santer ausspricht. Nun antwortet der Luzerner Architekt Dieter Geissbühler mit einer Replik.
Die Häufung der Widersprüche bei den Mitgliedern des Nein-Komitees sei auffällig, schreibt uns der Luzerner Architekt Dieter Geissbühler. Ja, es eine sie wohl nur die Ablehnung – mal ist das Projekt von Ilg Santer Architekten zu hoch, mal soll es in die Höhe entwickelt werden, mal ist der Standort falsch, obwohl man am Wettbewerb teilgenommen und sogar den bestehenden Theaterbau stehen gelassen hat. Mit seiner Replik auf den Kommentar von Stanislaus von Moos geht die Kontroverse Luzern in die nächste Runde:
Theater im Hochparterre
Eine Replik von Dieter Geissbühler
«So bitte nicht!» – der Titel des Kommentars von Stanislaus von Moos trifft zu. Aber in Bezug auf was? Auf das neue Luzerner Theater oder auf die Art zu argumentieren?
Gleich zu Beginn zeigt sich das Problem des ganzen Kommentars: Es sind die Auslassungen. Gerade von einem Autor, von dem man weiss, wie eloquent seine Sprache ist. Es sei eine Kritik an der «Qualität des Projekts», schreibt er. Dass dieses immerhin von einer äusserst kompetenten Jury ausgewählt wurde, bleibt unerwähnt. Das zweistufige Wettbewerbsverfahren diskreditiert von Moos ohne Begründung als «umständlich». Und dass das Projekt nach der Überarbeitung nun – so müsse man annehmen – «in definitiver Form vorliegt», ist für jemanden, der über eine breite Erfahrung im architektonischen Umfeld verfügt, unhaltbar. Gekonnt, aber durch Auslassungen und mangelnde Einordnung ist der Kommentar so verkürzt, dass man einzelne Aussagen kaum als falsch bezeichnen kann, aber die Plausibilität der Argumentation fehlt.
Städtebauliche Fortsetzung
Es bleibt weitgehend bei bildhaften Analogien, beim Verweis auf die «malerische Dachlandschaft einer Kleinstadt» oder die «Anmutung einer Lagerhausgruppe am Basler Rheinhafen». Wer den für die Interpretation der Luzerner Stadtentwicklung wesentlichen Text des Kunsthistorikers Beat Wyss kennt, weiss, dass der Städtebau in Luzern anderen Mustern folgt (‹INSA: Inventar der neueren Schweizer Architektur: Städte›, Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte GSK, 1991). Wyss zeigt darin umfassend und sachlich den Wandel der Stadt Luzern zwischen 1850 und 1920 auf und macht die dabei auftretenden Massstabssprünge deutlich. Dieser massgebende städtebauliche Wandel hat sich in der Folge bis heute fortgesetzt, insbesondere im Bereich zwischen Jesuitenkirche und Bahnhof respektive Kunst- und Kongresshaus, später KKL. Der Verweis auf das Kleinteilige und Malerische geht deshalb schlicht an der Realität vorbei. Das Aufbrechen der introvertierten mittelalterlichen Stadt setzt sich mit dem Projekt des neuen Luzerner Theaters fort. Mit der Promenade als Aussichtsterrasse und öffentlichem Raum. Diese Quaianlagen sind die primären öffentlichen Räume im heutigen Luzern.
Ja, die Gefahr der Entvölkerung der Innenstadt besteht und wir haben in Luzern endlich erkannt, dass eine Aufwertung der Bahnhofstrasse als Quaianlage dringend notwendig ist. Und erfreulicherweise haben wir inzwischen auch mit der Umsetzung begonnen. Eine solche Zone dann als «Eventzone» zu taxieren, wie es von Moos tut, ist ein Trugschluss.
Öffentlicher Innenraum
Den Erhalt und die Umnutzung des bestehenden Theaterbaus als «Attrappe» zu bezeichnen, ist unangebracht. Er nimmt neu die offene Erschliessung der drei Säle auf und bildet damit einen öffentlichen Innenraum, der das Konglomerat in das Stadtgefüge einbindet. Allenfalls müsste man als Verständnishilfe einen Nolli-Plan von Luzern nachzeichnen. Erhalten ist im vorliegenden Projekt keine romantische Geste, sondern primär aus dem Anliegen des Weiterbauens abgeleitet. Solche Umnutzungen sind historisch kein Einzelfall: Piazza Navona oder Split im Grossen, Tate Modern in London. Die Referenzen sind endlos. Architektonisch schwierig ist die Behauptung, es bestehe ein Widerspruch zwischen der längsgerichteten Raumfolge und der Ausrichtung des Ensembles mit seinen Giebeln zur Reuss hin. Aber das ist einfach das tägliche Brot im Entwurf. Das sind keine Gegensätze, die sich ausschliessen, sondern die gestalterisch artikuliert werden. Quergiebel sind seit Jahrtausenden gängige Gebäudeteile.
Architektur ist nicht nur Bild, sondern vor allem Raum. Neben den Lagerschuppen zitiert von Moos dann noch das Stammtischgeplauder: «Hundehäuschen» oder «Chrüsimüsi». Mit flotten Sprüchen lässt sich der Inhalt gut verschleiern, siehe das Gruppenfoto des Nein-Komitees – vieles ist Maske.
Richtiger Standort
Die langjährige Diskussion um die ‹Salle Modulable› in Luzern hat zu einem gesellschaftlichen Konsens geführt: Das Theater gehört in die Innenstadt. Auch das kritisiert von Moos. Aber warum sollte die Stadt Luzern nicht mit kulturellen Grossprojekten belastet werden, wenn das Theater wirklich so gross ist? Eher mit weiteren Kleiderläden oder Bürogebäuden? Und das «enorme Verkehrsaufkommen» – gemeint ist wohl das Privatauto – ist an einem Standort in der Innenstadt, der durch den öffentlichen Verkehr bestens erschlossen ist, kein ernsthaftes Argument.
Aus dem Nein-Komitee kam noch das Argument, Denkmalpflege sei Ermessenssache. Vor dem Hintergrund seiner Intervention eine eher fragwürdige Argumentation, aber im Grundsatz sicher richtig. Die Frage bleibt, wo dieses Ermessen ausgeübt wird. Wo, wenn nicht in der Abwägung einer Jury? Einer Jury, die sich intensiv mit den 128 Entwürfen auseinandergesetzt hat und dann noch einmal 12 überarbeitete Entwürfe unter allen relevanten Gesichtspunkten durchleuchtet hat. Ich vertraue ihrer Entscheidung mehr als dem Urteil der zwar bunten, aber dann doch kunsthistorisch geprägten Gruppe der Neinsager. Wer an die Qualität des Architekturwettbewerbs glaubt, stimmt am 9. Februar mit Ja.
Dieter Geissbühler