Das überarbeitete Wettbewerbsprojekt von Ilg Santer, 2024

Replik zum neuen Luzerner Theater

Letzte Woche publizierten wir den Kommentar von Stanislaus von Moos, der sich gegen das neue Luzerner Theater von Ilg Santer ausspricht. Nun antwortet der Luzerner Architekt Dieter Geissbühler mit einer Replik.

Die Häufung der Widersprüche bei den Mitgliedern des Nein-Komitees sei auffällig, schreibt uns der Luzerner Architekt Dieter Geissbühler. Ja, es eine sie wohl nur die Ablehnung – mal ist das Projekt von Ilg Santer Architekten zu hoch, mal soll es in die Höhe entwickelt werden, mal ist der Standort falsch, obwohl man am Wettbewerb teilgenommen und sogar den bestehenden Theaterbau stehen gelassen hat. Mit seiner Replik auf den Kommentar von Stanislaus von Moos geht die Kontroverse Luzern in die nächste Runde:

Theater im Hochparterre

Eine Replik von Dieter Geissbühler

«So bitte nicht!» – der Titel des Kommentars von Stanislaus von Moos trifft zu. Aber in Bezug auf was? Auf das neue Luzerner Theater oder auf die Art zu argumentieren?

Gleich zu Beginn zeigt sich das Problem des ganzen Kommentars: Es sind die Auslassungen. Gerade von einem Autor, von dem man weiss, wie eloquent seine Sprache ist. Es sei eine Kritik an der «Qualität des Projekts», schreibt er. Dass dieses immerhin von einer äusserst kompetenten Jury ausgewählt wurde, bleibt unerwähnt. Das zweistufige Wettbewerbsverfahren diskreditiert von Moos ohne Begründung als «umständlich». Und dass das Projekt nach der Überarbeitung nun – so müsse man annehmen – «in definitiver Form vorliegt», ist für jemanden, der über eine breite Erfahrung im architektonischen Umfeld verfügt, unhaltbar. Gekonnt, aber durch Auslassungen und mangelnde Einordnung ist der Kommentar so verkürzt, dass man einzelne Aussagen kaum als falsch bezeichnen kann, aber die Plausibilität der Argumentation fehlt.

Städtebauliche Fortsetzung
Es bleibt weitgehend bei bildhaften Analogien, beim Verweis auf die «malerische Dachlandschaft einer Kleinstadt» oder die «Anmutung einer Lagerhausgruppe am Basler Rheinhafen». Wer den für die Interpretation der Luzerner Stadtentwicklung wesentlichen Text des Kunsthistorikers Beat Wyss kennt, weiss, dass der Städtebau in Luzern anderen Mustern folgt (‹INSA: Inventar der neueren Schweizer Architektur: Städte›, Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte GSK, 1991). Wyss zeigt darin umfassend und sachlich den Wandel der Stadt Luzern zwischen 1850 und 1920 auf und macht die dabei auftretenden Massstabssprünge deutlich. Dieser massgebende städtebauliche Wandel hat sich in der Folge bis heute fortgesetzt, insbesondere im Bereich zwischen Jesuitenkirche und Bahnhof respektive Kunst- und Kongresshaus, später KKL. Der Verweis auf das Kleinteilige und Malerische geht deshalb schlicht an der Realität vorbei. Das Aufbrechen der introvertierten mittelalterlichen Stadt setzt sich mit dem Projekt des neuen Luzerner Theaters fort. Mit der Promenade als Aussichtsterrasse und öffentlichem Raum. Diese Quaianlagen sind die primären öffentlichen Räume im heutigen Luzern.

Entwurf für die Quaianlagen in Luzern von Melchior Berri, 1836

Ja, die Gefahr der Entvölkerung der Innenstadt besteht und wir haben in Luzern endlich erkannt, dass eine Aufwertung der Bahnhofstrasse als Quaianlage dringend notwendig ist. Und erfreulicherweise haben wir inzwischen auch mit der Umsetzung begonnen. Eine solche Zone dann als «Eventzone» zu taxieren, wie es von Moos tut, ist ein Trugschluss.

Öffentlicher Innenraum
Den Erhalt und die Umnutzung des bestehenden Theaterbaus als «Attrappe» zu bezeichnen, ist unangebracht. Er nimmt neu die offene Erschliessung der drei Säle auf und bildet damit einen öffentlichen Innenraum, der das Konglomerat in das Stadtgefüge einbindet. Allenfalls müsste man als Verständnishilfe einen Nolli-Plan von Luzern nachzeichnen. Erhalten ist im vorliegenden Projekt keine romantische Geste, sondern primär aus dem Anliegen des Weiterbauens abgeleitet. Solche Umnutzungen sind historisch kein Einzelfall: Piazza Navona oder Split im Grossen, Tate Modern in London. Die Referenzen sind endlos. Architektonisch schwierig ist die Behauptung, es bestehe ein Widerspruch zwischen der längsgerichteten Raumfolge und der Ausrichtung des Ensembles mit seinen Giebeln zur Reuss hin. Aber das ist einfach das tägliche Brot im Entwurf. Das sind keine Gegensätze, die sich ausschliessen, sondern die gestalterisch artikuliert werden. Quergiebel sind seit Jahrtausenden gängige Gebäudeteile.

Ebenerdiges «Theaterfest» im Entwurf von Ilg Santer, 2024

Architektur ist nicht nur Bild, sondern vor allem Raum. Neben den Lagerschuppen zitiert von Moos dann noch das Stammtischgeplauder: «Hundehäuschen» oder «Chrüsimüsi». Mit flotten Sprüchen lässt sich der Inhalt gut verschleiern, siehe das Gruppenfoto des Nein-Komitees – vieles ist Maske.

Richtiger Standort
Die langjährige Diskussion um die ‹Salle Modulable› in Luzern hat zu einem gesellschaftlichen Konsens geführt: Das Theater gehört in die Innenstadt. Auch das kritisiert von Moos. Aber warum sollte die Stadt Luzern nicht mit kulturellen Grossprojekten belastet werden, wenn das Theater wirklich so gross ist? Eher mit weiteren Kleiderläden oder Bürogebäuden? Und das «enorme Verkehrsaufkommen» – gemeint ist wohl das Privatauto – ist an einem Standort in der Innenstadt, der durch den öffentlichen Verkehr bestens erschlossen ist, kein ernsthaftes Argument.

Aus dem Nein-Komitee kam noch das Argument, Denkmalpflege sei Ermessenssache. Vor dem Hintergrund seiner Intervention eine eher fragwürdige Argumentation, aber im Grundsatz sicher richtig. Die Frage bleibt, wo dieses Ermessen ausgeübt wird. Wo, wenn nicht in der Abwägung einer Jury? Einer Jury, die sich intensiv mit den 128 Entwürfen auseinandergesetzt hat und dann noch einmal 12 überarbeitete Entwürfe unter allen relevanten Gesichtspunkten durchleuchtet hat. Ich vertraue ihrer Entscheidung mehr als dem Urteil der zwar bunten, aber dann doch kunsthistorisch geprägten Gruppe der Neinsager. Wer an die Qualität des Architekturwettbewerbs glaubt, stimmt am 9. Februar mit Ja.

Dieter Geissbühler

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Kommentare

Dieter Geissbühler  22.01.2025 20:38
Es war eine Replik auf deine Argumentation. Die Qualitäten des Projektes sind gut dokumentiert. Aber da willst du ja nicht darauf eingehen und schiebst den Schwarzen Peter wieder mir zu. Kann man machen, stichhaltig wird es damit aber nicht. Im Rahmen eines Abstimmungskampfes bleibt es leider bei der Polemik. Wir wissen wohl beide gut genug, dass schwarz-weiss schlicht unproduktiv ist. Also lassen wir es in diesem Rahmen doch einfach stehen.
Stanislaus von Moos 22.01.2025 12:45
Geissbühler erinnert uns daran, dass "Laien" gerne aufs Glatteis geraten, wenn sie sich ins Kulturgespräch einmischen, oder etwa gar in die hohe Kunst der Architektur! - Wir danken für den wohltemperiert erhobenen Zeigefinger. Nur eben: Auch Geissbühler macht einen grossen Bogen um das eigentliche Problem, mit dem sich die Luzerner Stimmbürger am 9.Februar konfrontiert sehen. Auch er kann sich nicht dazu aufraffen, dem Publikum zu erklären, warum das Siegerprojekt ein herausragendes Stück Architektur ist, und wieso gerade dieses Projekt goldrichtig ist für diesen Standort. Wie muss man sich diese vornehme Zurückhaltung erklären? - Vermutlich hat es damit zu tun, dass auch er, wie eine sehr grosse Zahl seiner Kollegen aus der Architektenzunft, das Projekt als solches weder für besonders gelungen noch etwa gar für ideal für diesen Standort erachtet. Zum Trost werden wir darüber informiert, dass beim zweistufigen Wettbewerb alles korrekt gelaufen sei. Wie könnte in Anbetracht von 27 derart hochkarätigen Jurorinnen und Juroren auch nur etwas wirklich schiefgehen! - Nun ja. Leider ist die Durchführung eines korrekten Wettbewerbsverfahrens noch keine Garantie für wirkliches architektonisches und städtebauliches Gelingen. Wäre dem so, wäre die Schweiz eine einzige Perlenkette mustergültiger Schulhäuser, Kirchen, öffentlicher Bauten und subventionierter Wohnbauprojekte. Was ist Qualität im Bauen bzw. in der Architektur bzw. im Städtebau? - Natürlich kommt es beim Jurieren immer auch darauf an, dass die Summe aller im Programm aufgezählten Erfordernisse irgendwie erfüllt ist. Dies umso mehr, als sich die Fachrichter über das, was darüber hinaus Architektur wäre, selten einig sind. Könnte es in diesem Fall also so sein, dass das, worauf sich das Preisgericht geeinigt hat, gar nicht Architektur ist sondern das Bild gewordene Protokoll einer kurzatmigen Anhäufung von mangelhaft ausgegorenen Ideen? - So gesehen ist das Siegerprojekt von Ilg und Santner ja auch ein Volltreffer. Alles, was im Programm aufgezählt wird, ist darin irgendwie berücksichtigt. Jedem möglichen technischen oder organisatorischen Einwand entzieht das Projekt mittels raffinierter entwerferischer Schachzüge den Boden. Das verdient Anerkennung. Wenn das Bauen identisch wäre mit der Lösung eines Kreuzworträtsels, so hätte die Jury ihre Arbeit also bestens erfüllt. Manche meinen allerdings, in diesem Fall sei gerade die Architektur auf der Strecke geblieben. Dies auch insofern, als sie im Widerspruch steht zur städtebaulichen Logik des Orts. Was aber, wenn schon das Programm, wie sich jetzt zeigt, unausgegoren ist, schief liegt? - Dann ist es erst recht höchste Zeit, die Uebung abzubrechen.
Kurt Brudermann-Bucher 21.01.2025 09:07
Diese Klötze stehen am falschen Ort und die nackte Fassade wirkt abweisend.
Stefan W. 20.01.2025 19:14
Aus meiner Sicht ist das Projekt unglaublich gut, bravo. Aber vor Allem ist es in einem höchst professionellen Auswahlverfahren von einer dementsprechenden Jury ausgewählt worden. Das gilt es zu respektieren und somit ist im Zweifel mit ja zu stimmen.
Benjamin O. 20.01.2025 13:22
Die Referenzen zur Piazza Navona oder Tate Modern mögen beeindrucken, doch ihre Übertragbarkeit auf die Luzerner Reuss ist fraglich. Sie ignorieren die besonderen Qualitäten der mittelalterlichen Stadt. Der geplante Theaterbau, so raffiniert er auch sein mag, droht, sich nicht als integraler Bestandteil des Stadtgefüges zu behaupten, sondern vielmehr die historische Kulisse zu überlagern. Der Begriff "städtebauliche Fortsetzung" im Zusammenhang mit der Bebauung des Theaterplatzes erscheint merkwürdig, wenn man bedenkt, dass hier einer der letzten freien Plätze einer bereits stark verdichteten Stadt bebaut werden soll. Ein ähnlicher Fall zeigt sich in Barcelona, wo Superblocks durch Neubauten in den Innenhöfen ihre ursprüngliche Funktion und Attraktivität verloren. Solche Entwicklungen werden dort selten als "städtebauliche Fortsetzung" verstanden. Genauso fragwürdig erscheint die Idee, den Theaterplatz in Luzern auf diese Weise zu entwickeln. Obwohl der Architekturwettbewerb professionell durchgeführt wurde, bleibt die Standortwahl äusserst fraglich. Die räumlichen und historischen Gegebenheiten setzen enge Grenzen. Es ist schwer zu verstehen, wie das Ja-Komitee übersehen kann, dass dieser Platz und insbesondere der architektonische Ausdruck ungeeignet sind. Ob die Firstrichtung zur Reuss zeigt oder einen Looping macht, bleibt nebensächlich, wenn der Entwurf die mittelalterlichen Reussfronten nicht respektiert. Architekturwettbewerbe sind wichtig für Diskussionen zur Stadtentwicklung, aber nicht jede Juryentscheidung sollte unkritisch akzeptiert werden. Ein neues Theater für Luzern ist wünschenswert – jedoch an einem geeigneteren Standort.
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