Verstädternde Regionen können von der Projektschau Limmattal lernen: Sie hat Möglichkeiten aufgezeigt, wie sich Agglomerationen als Lebens- und Erlebnisräume stärken lassen.
Wenn er nicht gerade im Limmattal unterwegs ist, sitzt Peter Wolf, Geschäftsleiter der Regionalen Projektschau Limmattal 2025, in der Geschäftsstelle an der Altbergstrasse in Dietikon an einem Schreibtisch in einem Schaufenster. Setting und Ort könnten nicht besser gewählt sein. Das Schaufenster symbolisiert die Tätigkeit der Organisation, während der Ort, ein ehemaliger Einkaufsladen keine fünf Minuten vom Bahnhof in der Mitte zwischen der Stadt Zürich und Baden im Kanton Aargau und von der Limmat entfernt, abbildet, was das Limmattal ausmacht: die hervorragende Verkehrsanbindung, die Nähe zu Erholungsräumen und die stürmische Entwicklung des Landstrichs.
Die Menschen, die hier zwischen dem Eisenbahnkorridor und der Limmat wohnen, kaufen heute anderswo ein. Durch die Bahnhofsunterführung gelangen sie schnell zu Fuss in das Stadtzentrum oder mit der Limmattalbahn in einen der Einkaufstempel von Spreitenbach. Die Verkehrsgunst und das Wachstum verdankt das Limmattal seiner Lage am Eingangstor zur Stadt Zürich – von Basel im Norden und von Bern im Westen. Was einst fruchtbares Landwirtschaftsland war, ist heute vor allem Industrie-, Logistik- und Einkaufsland sowie Wohnregion für rund 300 000 Menschen mit verschiedensten kulturellen Hintergründen.
Eine Ideenkonkurrenz als Ausgangspunkt
Seit einem Vierteljahrhundert werden hier räumliche Konzepte entwickelt und Infrastrukturprojekte realisiert. Sie sollen dazu beitragen, das anhaltende Wachstum zu bewältigen und Hindernisse abzubauen, die die Kantons- und Gemeindegrenzen mit sich bringen. Aus dem vom Bund geförderten Modellvorhaben ‹Agglomerationspark Limmattal› (2007 bis 2009) gingen ein Uferweg und eine Velo-Freizeitroute hervor. Und seit 2012 reichen die Kantone Zürich und Aargau beim Bund gemeinsame Agglomerationsprogramme zur Verbesserung der Verkehrswege ein. Seit zehn Jahren gesellt sich zu diesen Gefässen und zur öffentlich-privaten Limmatstadt AG für die Standortförderung auch die Regionale Projektschau Limmattal 2025, die von den beiden Kantonen und von vier Städten und 12 Gemeinden getragen wird.
Bernd Scholl, emeritierter ETH-Professor für Raumentwicklung, gehörte zu den «Virenträgern», die sich vor etwas mehr als zehn Jahren für eine regionale Projektschau im Limmattal eingesetzt hatten, wie er schmunzelnd erzählt. Dieses Format sollte Gemeinden und Zivilgesellschaft motivieren, sich für eine Region zu engagieren, die Durchfahrts- und Logistikraum von nationaler Bedeutung ist und genau wie andere, ähnlich gelagerte Agglomerationen mit einem zweifelhaften Image kämpft, das da lautet: Dank guter Erschliessung sind wir zwar praktisch gelegen, ansonsten aber nicht so toll.
2013 hatte Scholl bereits die Ideenkonkurrenz ‹Perspektive Raumentwicklung Limmattal› lanciert. In dieser von der ETH getragenen Testplanung fanden Vertreter von Gemeinden, regionalen Planungsverbänden, Kantonen und Bund zusammen. Sie trugen die Empfehlungen für die weitere räumliche Entwicklung mit, die eine Fachjury aus den Vorschlägen von vier Planungsteams abgeleitet hatte. Zentral waren die folgenden Punkte:
- Das Limmattal soll kein durchgehendes, homogenes Stadtband werden. Dazu sind vor allem die noch bestehenden Grüngürtel zu erhalten.
- Der Freiraum, insbesondere die Flusslandschaft, ist noch besser zugänglich zu machen, und die vielfältigen Einkaufslandschaften sind aufeinander abzustimmen.
- Der Verkehr ist die grosse Gemeinschaftsaufgabe. Sein Wachstum ist vor allem durch den öffentlichen Verkehr und das Velo aufzufangen.
- Die Erkenntnisse aus dem Prozess sind weiterzuverfolgen. Im Limmattal ist dazu die Zusammenarbeit aller Akteure zu vertiefen.
Der Anstoss, die Erkenntnisse aus der Ideenkonkurrenz durch eine regionale Projektschau zu stärken, zu verbreiten und Gemeinden sowie Private zugunsten eines grenzüberschreitenden Limmattaler Selbstverständnisses zu aktivieren, sei von den Kantonen gekommen, sagt Bernd Scholl. Eine wesentliche Rolle spielte dabei Reimar Molitor aus dem Begleitgremium der Ideenkonkurrenz. Der heutige Geschäftsführer der Region Köln-Bonn hatte in Nordrhein-Westfalen Erfahrungen mit diesem Ansatz gesammelt, als das deutsche Bundesland das Format 1997 als regionalpolitisches Förderungsinstrument einführte. Seither können sich Regionen mit thematisch klar definierten und zeitlich begrenzten Programmen um Fördergelder bewerben, mit denen sich die darin vorgesehenen Vorhaben substanziell mitfinanzieren lassen. Das soll dazu beitragen, die betroffenen Regionen zukunftsfähig zu machen und ihr Selbstbewusstsein zu stärken.
Eine Plattform, keine Finanzierungsmaschine
Anders als in Deutschland darf der Bund in der Schweiz jenseits von Agglomerationsprogrammen für Siedlung und Verkehr sowie von Modellvorhaben zur nachhaltigen Raumentwicklung in finanzstarken Kantonen und in Gemeinden der fünf grössten Agglomerationen keine strukturfördernden Projekte unterstützen. Entsprechend wurde die regionale Projektschau im Limmattal, anders als ihre deutschen Vorbilder, nicht als Programm und Mitfinanzierungsmaschine ausgestaltet, sondern als Plattform – oder eben als Schaufenster – für attraktivitätsfördernde Vorhaben. Ausgehend davon gründeten Kantone, Städte und Gemeinden 2015 den Verein Regionale Projektschau Limmattal, der für einen Zeitraum von zehn Jahren mit insgesamt 7,2 Millionen Franken ausgestattet wurde. Sie gaben der Organisation drei Ziele vor:
- die Schaffung und Stärkung von Identität im Limmattal,
- die Durchführung der Regionalen Projektschau Limmattal (Initialisierung, Koordination, Planung, Kommunikation und Unterstützung bei der Realisierung von Projekten),
- die Intensivierung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und Nutzung von Synergien und Potenzialen im Limmattal.
Ausgehend von den Erkenntnissen der Ideenkonkurrenz vor Ort und dem Orientierungspunkt in Deutschland wurden unter Federführung der kantonalen Raumplanungsämter in einem Konzeptpapier drei thematische Stossrichtungen definiert: Gesellschaft von morgen, Infrastruktur der Zukunft und Agglomerationspark im Fluss. Diese entsprechen im Kern den drei Kategorien, in die die 36 vornominierten, nominierten oder ausgezeichneten Vorhaben bis 2024 eingeteilt wurden siehe Projektlandkarte, Seite 16.
Um mit dem Label der Projektschau ausgezeichnet zu werden, mussten die Vorhaben ein zweistufiges Verfahren durchlaufen. Ein kuratierender Fachbeirat formulierte basierend auf den Kriterien Modellhaftigkeit und Bedeutung, zu denen die Verbesserung der Lebensqualität, die identitätsstiftende Wirkung oder die Förderung der Zusammenarbeit gehören, eine Empfehlung. Neben Bernd Scholl und Reimar Molitor gehörten dem Gremium sieben weitere Planungs- und Prozessfachleute an, dazu ein lokaler Unternehmer sowie eine Kunstsachverständige. Abschliessend über die Aufnahme eines Vorhabens in den Reigen der Regionale 2025 hatte der 19-köpfige Vorstand zu befinden, in dem unter dem Vorsitz eines externen Präsidiums die beiden Kantonsplaner sowie die Präsidien der 16 Gemeinden vertreten waren.
Drei Entwicklungsfelder
28 Vorhaben erhielten das Prädikat ‹Ein Projekt der Regionale 2025›, in 19 Fällen bekamen diese den Zusatz ‹ausgewählt›. Die Projekte wurden in drei Entwicklungsfelder eingeteilt: Zusammenleben, Freiraum und Erneuerung. Die ausgewählten Aktivitäten zugunsten des Zusammenlebens (16 Projekte) liegen knapp vor den Vorhaben, die den Freiraum ins Rampenlicht stellen (13 Projekte). Am geringsten ist die Zahl der Projekte im Entwicklungsfeld Erneuerung (7 Projekte).
Die Bandbreite der Vorhaben im Bereich Zusammenleben reicht von den Zwischennutzungen der ‹Pischte 52› – einem aufgegebenen Strassenabschnitt in Schlieren – über das Siedlungscoaching im Limmatfeld in Dietikon bis zu den als Badestellen öffentlich zugänglichen Heissen Brunnen in Baden. Der multikulturelle Aspekt des Limmattals spiegelt sich in mehreren Projekten, etwa in jenem, in dem Schülerinnen und Schüler aus Dietikon und Spreitenbach zusammen mit Künstlerinnen den öffentlichen Raum erkunden. Der Regionale 2025 gelang es, Gemeinden auf der linken, tendenziell verstädternden Limmatseite sowie initiative Bürgerinnen und Bürger zu aktivieren und ideell zu unterstützen.
Die Projekte zum Freiraum unterstreichen nicht nur die Bedeutung der beiden verbliebenen Grüngürtel, sie machen auch eine weitere Wirkung der Projektschau deutlich: die Weiterentwicklung punktueller Initiativen von einem Patchwork – da etwas, dort etwas – zu einem Puzzle, dessen Teile ineinandergreifen. Vom Gärtnern an der Peripherie der Stadt Zürich über geführte Klang- und Nachtspaziergänge und eine schriftliche Anleitung zum Gummibootfahren auf der Limmat bis zum Limmatfloss in Wettingen zeigen sie in der Summe vor allem eines: Die für schweizerische Verhältnisse unspektakuläre Landschaft des Limmattals lässt sich auf vielfältige Weise erleben.
Im Entwicklungsfeld Erneuerung wurden unter anderem Fragen der Veränderung von Infrastruktur abgehandelt. Insbesondere Fachhochschulen haben sich diesem Aspekt angenommen. Ein Beispiel dafür ist das Projekt ‹Wohnen im Limmattal›. In seinem Rahmen erarbeitet das Institut Urban Landscape der ZHAW zuhanden von Behörden, Eigentümern und Bewohnerinnen Kriterien dafür, wie bestehende Siedlungen gesellschaftsverträglich erneuert werden können.
Positiver Einfluss
Im Dezember 2025 wird die Regionale Projektschau Limmattal wie vorgesehen nach zehn Jahren beendet. Peter Wolf bezeichnet die Regionale 2025 rückblickend als Katalysator und Transmissionsriemen. Als Katalysator, der die öffentliche Hand und zumindest Teile der Gesellschaft im Limmattal in ihren Projektideen bestärkt und diese gelegentlich auch befeuert habe. Und als Transmissionsriemen zwischen der Raumentwicklung und dem Zusammenleben – zwei Faktoren, die Hand in Hand weiterentwickelt werden müssen.
Die Regionale 2025 sei für die Schweiz bislang einzigartig, bilanziert EspaceSuisse, der Schweizer Verband für Raumplanung. Am nächsten sei ihr die Internationale Bauausstellung IBA Basel 2020 gekommen, die unter anderem kommunale Projekte beschleunigt hat. Generell, so EspaceSuisse, könnten solche Formate, die auch zu Experimenten einladen, die Raumentwicklung positiv beeinflussen. Diese Erkenntnis steht im Einklang mit einer Feststellung des vom Bundesrat eingesetzten Rats für Raumordnung. Dieser betont in einem Bericht von 2019 den Wert von Experimentierräumen und Reallabors. Spinnt man diesen Faden weiter, stünde es dem Bund gut an, sich künftig aktiv für solche Schaufenster und Plattformen zu engagieren. Im Limmattal und anderswo.