Im Limmattal bleibt wenig Raum zwischen den Siedlungen. Das macht ihn umso wichtiger. Er wandelt sich zum Naherholungsgebiet mit Landwirtschaft und Natur.
Eine Längserfahrung – das ist das Limmattal für alle, die es aus Zug- und Autofenstern wahrnehmen. Fabriken und Lagerhallen, Einkaufszentren, Hochhäuser, Wohnzeilen und Hangbebauungen mit Einfamilienhäusern prägen das Bild. Das Limmattal ist Schweizer Agglo par excellence, Wohn- und Arbeitsland zwischen Zürich und Baden. Wer sich im Sommer mit dem Gummiboot vom Wipkingerpark in Zürich Richtung Dietikon aufmacht, sieht eine andere, eine von Bäumen, Schilf und Wassertieren geprägte Landschaft. Verkehrswege und Siedlungsteppiche treten in den Hintergrund. Das Plätschern des Flusses übertönt Autobahnrauschen und Rangierbahnhofquietschen, begleitet vom Sound der in den Booten mitfahrenden Musikböxlein. Ein Spaziergang auf einen der Hügel rund ums Limmattal zeigt: Prägend ist trotz Siedlung und Verkehrsbauten immer noch die Talschaft mit den Hügelzügen und der dazwischenliegenden Ebene. Eine typische Schweizer Mittellandschaft ohne Extreme, aber mit Weite.
Die Wiederentdeckung der Limmat
Der Fluss fliesst von Südosten nach Nordwesten, kanalisiert und mit Staustufen. Die Wasserkraft ist einer der Gründe für die frühe Industrialisierung des Limmattals. Mit Fabriken und Kraftwerken war die Limmat im 20. Jahrhundert aber eher der Hinterhof der Region. Bis zum Bau der Kläranlagen im Werdhölzli 1969 und 1986 wandten sich die Siedlungen vom Fluss ab. Das hat sich verändert: In den letzten zehn bis fünfzehn Jahren hat sich der Flussraum zu einem Freizeit- und Erholungsort gewandelt, was auch einige Projekte der Regionale zeigen: So ist gleich neben einer S-Bahn-Station ein kleiner Park entstanden, die Allmend Glanzenberg. Ursprünglich vor allem als alternativer Gummiboot-Auswasserungsplatz zur Wiese beim Bahnhof Dietikon gedacht, mauserte sich das Pärklein zu einem das ganze Jahr über oft besuchten Stadtstrand mit Buvette und Grillplatz. Auch andernorts nehmen sich Projekte der Regionale dem Fluss an: Neuenhof und Wettingen lassen mit minimalen Interventionen neue Naherholungsorte am Wasser entstehen. Und in Baden plant man nun offizielle Limmat-Badestellen.
Neue Natur planen
Eine der grössten Veränderungen des Tals steht noch bevor: Unter dem Titel ‹Lebendige Limmat› plant der Kanton Zürich eine grossflächige Revitalisierung des Flusses bei Schlieren, Unter- und Oberengstringen. Die Pläne werden 2025 aufgelegt, 2029 soll der Bau beginnen. Zum Schutz vor Hochwassern, die die flache Talebene früher häufig überschwemmten, war die Limmat einst begradigt und in ein immer engeres Korsett aus Dämmen gezwängt worden. Das will der Kanton auf einer Strecke von 3,4 Kilometern rückgängig machen. Heute weiss man, dass Hochwasserschutz besser funktioniert, wenn Flüsse Platz erhalten. Eine abwechslungsreiche Flusslandschaft mit Inseln, ruhigeren und schneller fliessenden Abschnitten und Auen ist zudem besser für aquatische Ökosysteme und vermag Wasser für Trockenzeiten zurückzuhalten. Nicht zuletzt entsteht mit der Aufweitung der Limmat ein neuer Naherholungsraum mit Badestellen. Das freut Martina Voser, Landschaftsarchitektin, Professorin an der ETH und Mitglied des Fachbeirats der Regionale. Sie betont aber auch: «Ein wasserbauliches, landschaftsprägendes Grossprojekt wie dieses verlangt nach einer guten gestalterischen Begleitung.»
Bis vor Kurzem waren viele ehemalige Auen die Domäne der Kleingartenvereine. Die geplante Revitalisierung, aber auch Siedlungs- und Naherholungsprojekte stellen das infrage. Kleingärten sind jedoch für viele ein privates kleines Paradies, das sie nicht aufgeben möchten. Deshalb verläuft die neue Hinwendung zum Fluss nicht ganz konfliktfrei. In Neuenhof etwa ist momentan ein grosses ortsbauliches Entwicklungsprojekt in der Schwebe, weil auch auf einem bestehenden Familiengartenareal geplant wird. Neue Herangehensweisen an das Gärtnern sind möglich und werden erprobt, beispielsweise in den Gemeinschaftsgärten Dunkelhölzli in Zürich-Altstetten, wo auf einer Fläche von mehreren Hektaren Gemeinschaftsgärten für Familien entstehen, oder in den fünf ‹Gartenzimmern› des Parks am Wasser, der gemeinsam mit der Quartierbevölkerung in Zürich-Höngg entwickelt wurde.
Landschaftsspangen quer zur Siedlung
Nicht nur der Fluss prägt die Siedlungslandschaft. Quer durch das Limmattal verläuft zwischen Dietikon und Spreitenbach die Grenze zwischen den Kantonen Aargau und Zürich. Weil die Kantonsgrenze lange Zeit kaum planerische Aufmerksamkeit erhielt, sind die Siedlungen durch einen breiten Grüngürtel getrennt – unterbrochen einzig entlang der Badenerstrasse von den letzten für die Gegend einst so typischen Occasionsautohandlungen, dem Depot der Limmattalbahn und einem Recyclinghof. Bisher vor allem Landwirtschaftsland, ist dieser Grünkorridor zwischen Hüttikerberg und Sandbühl ein Teilprojekt der Regionale. Erst durch sie gelang es den vier Gemeinden an der Grenze und den beiden Kantonen, ihre Differenzen zu überwinden und gemeinsam ein Leitbild zu erarbeiten. Nun entsteht hier der Agrarpark Limmattal, der Landwirtschaft mit Naherholung verbindet. In Zusammenarbeit mit dem Fonds Landschaft Schweiz werden neue Kulturformen wie Agroforst erprobt und altes Kulturerbe wie die Trockenmauern in ehemaligen Weinbergen am Südhang wieder instand gesetzt.
In einem ersten Schritt werden 2025 Initialmassnahmen wie Bänke und ein besserer Zugang zur Limmat realisiert. Wie Raphael Aeberhard, Landschaftsarchitekt und Mitglied des Fachbeirats der Regionale, darlegt, ist der Agrarpark ein breit abgestütztes Projekt, doch es sei herausfordernd, die Ansprüche der produzierenden Landwirtschaft mit den Bedürfnissen der Naherholung zu verbinden. Im Landwirtschaftsland finden Freizeitaktivitäten heute nämlich vor allem linear statt: Man spaziert oder fährt mit dem Velo die Wege entlang. Anders als in einem Stadtpark, wo man sich auf Rasenflächen setzt oder sie für Ballspiele nutzt, ist eine Ausdehnung in die Breite nicht möglich. Die Ausstellung ‹Wachgeküsst› 2019 hat mit Installationen in der Agrarlandschaft sichtbar gemacht, dass ein Bedürfnis nach Räumen zur Erholung besteht. Zu sehen war etwa eine dreieckige Wiese mit drei Fussballtoren – Sinnbild für die komplexe Entscheidungsfindung im Naherholungsgebiet und die Ansprüche der Bevölkerung an bespielbare Freiräume. Ein zweiter Landschaftskorridor befindet sich zwischen Wettingen, Würenlos, Neuenhof und Killwangen, vom Sulperg bis zum Rüsler. Dieser breite Grünraum ist eine wichtige Frischluftquelle für das Tal und birgt zudem viel Naherholungspotenzial. Eine neue Fussgänger- und Velobrücke über die Limmat soll das Tal in der Querrichtung erfahrbar machen. Bei einem Spaziergang im Rahmen der Regionale war das 2021 durch eine Flussquerung in den Booten eines Pontoniervereins ausnahmsweise möglich gemacht worden.
Agglomeration als Park denken
Schon vor Beginn der Regionale nahmen sich die Kantone aktiv der Aufgabe an, in der dicht besiedelten Agglomeration neue Naherholungsorte zu schaffen: Die beiden Grünkorridore sowie die weiteren Regionale-Projekte entlang der Limmat sind Teil des kantonsübergreifenden Freiraumkonzepts ‹Agglomerationspark Limmattal› von 2009. Die neuen Naherholungsorte sollen nah bei den Siedlungen liegen und so die im Alltag so wichtigen ‹kleinen Fluchten› erlauben, aber auch in einen grösseren landschaftlichen Kontext eingebettet sein. Angefangen beim Park am Wasser in Zürich bis zu den Heissen Brunnen in Baden reihen sich die Naherholungsprojekte der Regionale in das Konzept des Agglomerationsparks ein.
Viele Projekte der Regionale widmen sich explizit dem Freiraum – mit punktuellen Interventionen und neuen Treffpunkten, vor allem aber mit zahlreichen Veranstaltungen, die den Raum zwischen den Siedlungen ins Bewusstsein rücken. Auf geführten Spaziergängen liess sich nicht nur der sinnlichen Wahrnehmung der Limmattaler Landschaft nachspüren, sie brachten auch Gemeinderätinnen, Kantonsvertreter, Bewohnerinnen und Vereinsmitglieder miteinander ins Gespräch. Kunstinterventionen, allen voran die Ausstellung ‹Wachgeküsst›, zeigten die Landschaft auf ungewohnte Art. Ein temporärer Bananenacker spielte etwa auf den Klimawandel und den geplanten Agroforst an. Innerhalb der Siedlungen wurde ebenfalls an Nutzungen für den Freiraum herumgedacht, etwa bei der ‹Pischte 52› in Schlieren.
Der Agglomerationspark zeigt, dass Siedlungsplanung in einem komplexen Umfeld wie dem Limmattal nur mit der Landschaft funktioniert. Die Projekte, Massnahmen und Aktionen der Regionale sind dabei wichtige Kondensationspunkte, um die Verbindung zwischen Kantonen und Gemeinden zu schaffen. Das schliesst auch Workshops und Studios mit Studierenden der ETH, der ZHAW sowie einer internationalen Sommerakademie ein. Die Regionale macht es möglich, gemeinsam über Themen wie Naherholung, Landwirtschaft und Freiraumsicherung zu diskutieren und neue Vorhaben anzudenken. Die grosse Herausforderung bleibt die Umsetzung. Einiges wurde gebaut, doch bei diversen Projekten ist unklar, ob und wann sie realisiert werden. Die Hürden reichen von mangelnden finanziellen Ressourcen über lokale Konflikte bis zu Anforderungen des Gewässerschutzes.
Die Regionale hat lokal sowie bei den Kantonen ein Verständnis für das Limmattal als Stadtlandschaft verankert. Die kommenden Jahre werden zeigen, ob dieses Verständnis weiterhin die Grundlage für innovative Freiraumkonzepte und Landschaftsnutzungen bilden wird. Dazu gehört die Frage, wie mit anstehenden Infrastrukturprojekten umzugehen ist. Das betrifft den Rangierbahnhof, aber auch die Zukunft des überregional beliebten Bruno-Weber-Parks in Dietikon. Die Projekte der Regionale wie Spaziergänge und Klang-Erkundungen haben einem breiten Publikum und auch Fachleuten den Blick über das Limmattal hinaus geweitet und die Ohren geöffnet. Das gilt es in der weiteren Planung beizubehalten.