Le Mal du Béton
Benedikt Loderer hat einen französisch-schweizerischen Aufklärungscomic gelesen. Wer wissen will, was Beton wirklich bedeutet, nehme «Béton. Enquête en sables mouvants» zur Hand.
Auf meinem Tisch liegt eine grafic novel, nein, ein gezeichnetes Sachbuch. Auf deutsch würde ich ihm den Titel geben: «Über Beton alles». Es ist die Geschichte von zweien, die auszogen, den Beton zu erkunden. Sie machen das von A bis Z, will sagen vom Sand bis zur Erkenntnis, welch riesiges Problem, nein, welch über uns hängender Megaklotz der Beton wirklich ist. Es ist ein Aufklärungsbuch, gründlich und sachlich, etwas hölzern in der Bildsprache, doch der Beton erfordert Nüchternheit.
Es beginnt in eine Oase in der Sahara. Dort entdeckt die Heldin Alia, eine Architektin, die auch eine der Mitverfasserinnen des Buches ist, wie viel kühler es im Erdhaus ist, als in einer Betonkiste. Also will sie ihren Auftrag, ein Gästehaus, in Lehm bauen, was aber der Bauherr strikt ablehnt: Stampflehm das ist für die Armen, auch wir Algerier haben Anrecht auf die Moderne.
Madame Alia ist verstört, denn selbst der Sand muss von Alger bis in die Sahara gekarrt werden, denn der Wüstensand taugt nicht für Beton, zu feinkörnig. Da beginnt sie nachzudenken und ihre Hausaufgaben zu machen. Sie lernt in jedem Kapitel mehr über den modernen Kunststein. Sie beginnt mit der Geschichte des Betons vom Pantheon bis – erraten! – Le Corbusier und die Folgen. Ihre Familie, ihr Mann Claude ist Journalist, die beiden Söhne Schulbuben von Beruf, zieht in die Schweiz, wo sie dazu lernt. Wie das Geschäft mit dem Sand läuft, wie die grossen Zementfirmen die kleinen Bauern über den Tisch ziehen, dass pro Mensch auf dieser Erde 5 Tonnen Sand pro Jahr verbraucht werden, zusammen also 40 Milliarden Tonnen, dass die Zementproduktion zweimal so viel CO2 ausstösst wie der gesamte Flugverkehr. Sie entdeckt das Doppelgeschäft: Erst den Sand oder das Kies rausholen, dann das Loch mit Bauschutt füllen, mit Betonabbruch zum Beispiel, der noch keine 50 Jahre alt ist. Sie macht auch einen Abstecher in die Bauphysik, wo sie lernt, warum der Beton nicht ewig hält, nein altert und vergeht.
Monsieur Claude hat unterdessen Artikel über Sand, Beton und die Folgen geschrieben und entdeckt, wie der Gemeinderat von Ballens im Waadtland, den Verkauf eines Bauernhofs bewilligt, ganz gegen die Gesetze. Warum? Weil darunter der Kies, sprich das Geld liegt. Ein alltäglicher, gemeindeeigener Skandal.
Madame Alia besucht derweilen einen Kongress an der ETHZ «Concrete the most Destructive Material on Earth», wo sie die facts of concrete kennenlernt: 40 Prozent des CO2 pustet der Bausektor in die Luft, davon 15 Prozent das Bauen selbst. Kuchendiagramme helfen ihrem Verständnis nach und die pädagogisch wertvollen Zeichnungen ebenso. Sie macht auch die Erfahrung, dass die Zementhersteller das Greenwashing aus dem Effeff beherrschen. Unterdessen ist mir als Leser klar: Beton schadet der Menschheit.
Doch wie ohne? Da ist zuerst mal dar gute alte Haustein, was die Familie eins zu eins in Südfrankreich besichtigt, wo ein «pionnier de l’architecture bioclimatique» ein Haus mit Steinblöcken errichtet hat. Klar, dass Fernand Pouillon mit dem Natursteingebäude «Climat de France» in Alger seinen Auftritt hat. Weiter geht’s zum Holz, das Beispiel ist, wir sind in der Schweiz, selbstverständlich ein Chalet, 500-jährig, mehrmals gezügelt, den Ansprüchen tauglich gemacht. Die nächste Station heisst Stroh und Madame Alia fährt nach Nänikon, wo sie Werner Schmids Strohhäuser untersucht und dabei lernt, was Stroh zu leisten vermag. Stampflehm, daraus machen zwei Jungunternehmer in der Nähe von Genf Baublöcke, die wie Backsteine vermauert werden können. Die letzte der Alternativen ist die einleuchtendste, die Wiederverwendung. Nach dieser Tour des Materiaux ist Madame Alia soweit, sie zählt zusammen: «Le tout-béton est fondamentalment une practique du passé. »
Es folgt noch das Happyend. Ein Besuch im Smart Living Lab, wo all das Alternative ausprobiert wird und einer auf der Alp, wo die technische Intelligenz, die mit Hirnschmalz den Beton ersetzt, sich zum Raclette trifft. Das Schlussbild zeigt Corbu. Er steht auf einer Strohmauer, hat einen ebensolchen Halm in der Hand und macht eine bedenklicher Mine.