In zehn Jahren hat die Regionale 2025 einige Projekte zu Gesellschaft und Kultur unterstützt. Sie stärken die Identifikation mit dem Limmattal.
Auf den ersten Blick sind gesellschaftliche und kulturelle Projekte nicht Teil der Raumplanung. In einer dynamischen Region wie dem Limmattal, die schnell wächst und sich stark verändert, wo viele Menschen arbeiten und neu zuziehen, ist gesellschaftliche Kohäsion aber zentral. Herkömmliche raumplanerische Instrumente befassen sich wenig mit diesem Aspekt, doch genau diesen Weg hat die Regionale 2025 eingeschlagen: Bürgerinnen, Vereine, Hochschulen, Städte, Gemeinden und Kantone haben Projekte konzipiert, eingereicht und umgesetzt. Die meisten Ideen kamen von initiativen und engagierten Menschen. Die Geschäftsstelle der Regionale 2025 hat Kulturschaffende und Initiatorinnen von Projekten miteinander vernetzt, ihnen eine Plattform geboten und sie bei Bedarf beratend unterstützt. Sie hat bei der Suche nach finanziellen Mitteln geholfen oder den Weg zu den Behörden geebnet. Wie in einem Garten hat sie bestehende Projekte gepflegt, frische Setzlinge gepflanzt und Blumensamen gesät. Insgesamt 36 Projekte hat sie im Prozess begleitet und zum Blühen gebracht. Neben den Kategorien Erneuerung und Freiraum ist das Zusammenleben wichtig – fast die Hälfte der Projekte gehört zu dieser Kategorie.
Bad zum Raben und Heisse Brunnen
Inzwischen sind sie schweizweit bekannt, die beiden öffentlichen Brunnen in Ennetbaden und Baden, in denen umsonst im natürlich warmen Wasser gebadet werden kann. Was einst mit nächtlichen Guerilla-Bädern begann, sind heute zwei frei zugängliche Brunnenbecken. Auch das historische Bad zum Raben hat der Verein Bagni Popolari gemeinsam mit rund 800 Genossenschafterinnen und Genossenschaftern wiederbelebt: Neben der Bademöglichkeit gibt es hier ein spannendes Kulturangebot. Ziel des Vereins ist die Pflege der 2000 Jahre alten Badeanstelle der Bäderkultur: Baden als gemeinsame Aktivität im Freien, die Austausch und Zusammenhalt stärkt, statt die Kultur von exklusiven Häusern, wie Andreas Rudow vom Verein betont. Die Badener bringen ihre Gäste zu den Heissen Brunnen, weil sie sich mit den öffentlichen Badewannen identifizieren, die das Gemeingut Thermalwasser allen kostenlos zur Verfügung stellen. Die Regionale 2025 hat dazu beigetragen, die Lokalpolitik von den Projekten des Vereins Bagni Popolari zu überzeugen.
Ruheorte. Hörorte.
Der Klangkünstler Andres Bosshard öffnet nicht nur die Augen, sondern auch die Ohren. Seit 15 Jahren führt er sein Publikum auf Hörspaziergängen zu unbekannten Ecken des Limmattals und verändert die Wahrnehmung bereits bekannter Orte. «Kloster und Kantonsschule Wettingen werden vom Autobahnlärm zugeschüttet», sagt er. Bosshard bedauert, dass das Limmattal von grossen Infrastrukturen zerfressen wird, aber alle Gemeinden nur für sich schauen – und in den Verwaltungen gar die verschiedenen Fachdisziplinen. «Es fehlt eine Vision.» Die Hörspaziergänge stärken die Identifikation der Bevölkerung mit ihrer Wohnumgebung. Das weckt auch den Gestaltungswillen, denn Menschen setzen sich nicht für Orte ein, die sie nicht kennen. Bosshards Ziele decken sich mit jenen der Regionale 2025. Sie hat dabei geholfen, das Thema in der Verwaltung und in der Bevölkerung sichtbar zu machen. Das Projekt wurde im Rahmen des Modellvorhabens Nachhaltige Raumentwicklung vom Bund unterstützt.
Kultur-Karussell
Das anspruchsvollste Publikum sitzt nicht etwa mit geradem Rücken im Opernhaus in Zürich, sondern liegt im Familienzentrum Karussell in Baden auf dem Boden. Bietet die Vorstellung nicht genügend Abwechslung, ist der Spannungsbogen zu schlaff oder der Inhalt zu kompliziert, macht die Zielgruppe von Petra Gerster und Alma Jongerius Radau oder krabbelt davon: Kleinkinder. Nur wenige Orte ermöglichen dieser Klientel einen niederschwelligen Zugang zu Theater-, Musik- und Tanzvorstellungen, weshalb das Einzugsgebiet des Projekts denn auch weit in den Regionalraum Limmattal reicht. Die Eltern der Kleinkinder sind alteingesessene Schweizer, eingewanderte Topverdienerinnen von ABB, Alstom oder General Electric oder Menschen mit einem geringen Einkommen. Durch die angeleiteten Veranstaltungen lernen sich die Erwachsenen schnell kennen. Die Kinder verstehen sich, ganz egal wie gut sie schon sprechen können und in welcher Sprache sie das zu Hause tun. Aufgrund seines modellhaften Ansatzes und seiner Strahlkraft über Baden hinaus wurde das ‹Kultur-Karussell› als Projekt der Regionale 2025 ausgewählt und kommunikativ unterstützt.
Limmattaler Songs
Kurz nach der Eröffnung des Shoppi Tivoli fuhr Christian Fotsch mit seinem goldenen Mondia-Rennrad über den Heitersberg, um sich im Einkaufszentrum ein Softeis zu kaufen. So sah er als Zehnjähriger erstmals das Limmattal. Nicht nur sein Velo, auch das Bevölkerungswachstum im Tal wies einen neuen Geschwindigkeitsrekord auf. Die Regionale 2025 hat den Künstler mit Schulklassen vernetzt. Gemeinsam mit den Kindern schreibt Fotsch Lokalhymnen und vermittelt nebenbei, wie die Musik entsteht, die aus den Lautsprechern kommt. Ein Auftritt vor den Familien gehört natürlich ebenfalls dazu: «Mit jedem Anlass wird das Heimatgefühl stärker.» Die Regionale 2025 hat das Projekt ausgewählt, weil sie überzeugt ist, dass Musik und Tanz zur Identifikation der Menschen mit dem Limmattal beitragen.
Pischte 52
Dank der Limmattalbahn konnte ein fünfspuriger Abschnitt der Badenerstrasse in Schlieren vom Verkehr befreit werden. Bevor das Stück Asphalt zu einem Park umgebaut wird, durfte die Bevölkerung darauf experimentieren. Rund 70 Projekte wurden umgesetzt – je rund ein Drittel von Firmen und der Verwaltung, ein Viertel von Vereinen und ein Zehntel von Privatpersonen. Stattgefunden haben etwa ein Herbstmärt, ein Zirkus, Tanztreffen, ein Autotreffen mit Kaffee, ein Thai-Festival, eine dreiwöchige Pistenlounge mit entsorgten Sofas, ein Biker-Zmittag, Street Soccer oder ein Stadtstrand mit 80 Tonnen Sand. Die Stadt stellte die Infrastruktur wie Sitzgelegenheiten, Wasser und Strom bereit. Das Projekt genoss breite Sichtbarkeit, von einem Wiener Fachmagazin bis zu einer Werbung für das grösste Online-Warenhaus der Schweiz. Einzelne Projekte musste die Gemeinde aufgrund von Beschwerden abbrechen. Für den Projektleiter Daniel Dormann, Leiter Tiefbau der Stadt Schlieren, war der Aufwand beträchtlich: Viele der Teilnehmenden unterschätzten die Organisationsarbeit und benötigten Unterstützung. Die für das Projekt vorgesehenen zehn Stellenprozente reichten längst nicht aus. Dormann ist dennoch überzeugt, dass der Aufwand sich lohnt, weil die Mitgestaltung der Bevölkerung sie stärker mit ihrem Wohnort verbindet. Mit mehr Mut, Budget und soziokultureller Animation hätten wohl mehr Bürgerinneninitiativen zustande kommen können.
Art Flow
Initiiert von der Stadt Zürich, kuratiert Christoph Doswald die regionale, sich nach und nach entwickelnde Kunstausstellung ‹Art Flow› mit rund 30 ortsspezifischen Werken. Lokale, nationale und internationale Kunstschaffende bringen ein kunstinteressiertes Publikum an Orte im ganzen Limmattal. Damit fördert ‹Art Flow› den Dialog zwischen Kunst und Gesellschaft in der Region. So hat der Künstler Michel Comte mit einer Schulklasse im Rahmen einer Projektwoche im Dietiker Wald eine Installation zum Thema Nachhaltigkeit erarbeitet. Viele dieser Jugendlichen hatten bis dahin wenig Berührungspunkte mit der Kunst und erhielten einen handfesten Zugang und einen vertieften Einblick in die Kunstproduktion. Eine weitere Intervention entsteht im Shoppi Tivoli, einem wichtigen Symbol für Spreitenbach und das gesamte Limmattal – genau der richtige Ort, um die Fotografien des Limmattals von Jules Spinatsch zu zeigen. Während der Ausstellung lässt sich die Region erkunden, ohne die grösste Mall der Schweiz zu verlassen.
Eine Bilanz
Durch die Projekte der Regionale 2025 haben sich viele Menschen im Limmattal miteinander vernetzt, Orte entdeckt, erkundet und neu kennengelernt. Aus den Rückmeldungen der Projektverantwortlichen geht klar hervor, dass die Regionale das Bewusstsein für das Limmattal als zusammenhängender Raum, die Identifikation mit der Region und den Zusammenhalt der Gesellschaft gestärkt hat. Dieser Erfolg ist den Menschen zu verdanken, die sich mit viel Elan für das Limmattal, ihre Stadt, ihre Gemeinde oder für ein Projekt engagiert haben. Eine zentrale Rolle spielen Daniela Hallauer und Peter Wolf von der Geschäftsstelle der Regionale 2025. Sie beraten, ermöglichen, unterstützen, begleiten und kommunizieren. Die Regionale endet 2025 mit einer Projektschau von April bis Oktober, aber viele Projekte laufen weiter. Der Garten, den Hallauer und Wolf gehegt und gepflegt haben, wächst und spriesst weiter. Um die Lebensraumqualität im Limmattal zu stärken, braucht es auch nach der Regionale 2025 den politischen Willen, über Stadt-, Gemeinde- und Kantonsgrenzen hinauszuschauen und gemeinsam räumliche Qualitäten zu entwickeln und zu sichern.