Der Autor kennt jede Baracke, jeden Schauplatz, jeden Konstrukteur, jeden Zweck, jeden Einsatz. All das breitet er getreulich vor dem Leser aus, schreibt der Stadtwanderer.

Der Leitbau des 20. Jahrhunderts

Die Baracke wurde millionenfach verbaut: Nun rollt ein Buch von Robert Jan van Pelt ihre Architekturgeschichte auf. Benedikt Loderer hat «The Barack» gelesen: Halb so dick wäre ihm doppelt so lieb gewesen.

«Unheimlich» dieses deutsch Wort in englischen Text fasst das Buch am Schluss zusammen. Unheimlich in doppelter Bedeutung: Ohne Heim zuerst. Jede Baracke weist auf Verpflanzung, Provisorium, Zwang und Not hin. Wer in der Baracke haust, ist nicht zu Hause. Zweitens meint unheimlich auch offenbar. Was verborgen war, wird sichtbar. Krieg, Epidemien und Gefangenschaft führen zum Bau von Baracken. Sie stehen da als sichtbare Bauten des Ernstfalls, der sich nicht mehr verdrängen lässt. Die Baracke verkündet ihren bösen Zweck, den man lieber verdrängen würde. Die Baracke ist der Leitbau des 20. Jahrhunderts, dem Zeitalter des Lagers. Nicht Speers Monumentalbauten sind die wahre Naziarchitektur, es ist die Baracke.

Die Baracke ersetzte das Zelt. Als man auch im Winter Krieg zu führen begann, wurden bessere Behausungen nötig. Darum ist die Geschichte der Baracke Kriegsgeschichte. Das beginnt, nach einem knappen Auftakt, mit dem Krimkrieg 1853-1856. Frankreich und England gegen Russland oder die Belagerung von Sebastopol. Das dauert, die Kälte kommt, die Baracke hilft überwintern. Im amerikanischen Bürgerkrieg 1861-65, im deutsch-französischen von 1870-71, in den Kolonialkriegen, im japanisch-russischen und jedem Und-so-weiter-Krieg, immer ist die Baracke dabei, sei es als Unterkunft, als Lazarett, als Gefangenenlager, als Materialmagazin – die Baracke ist eine Mehrzweckwaffe gegen alle unsichtbaren Feinde. Das Buch liefert nicht nur die Geschichte der Baracke, sondern ebenso das historische Bindegewebe. Zwar steht sie als Protagonistin im Rampenlicht, aber dahinter liefert das Bühnenbild ausreichend Information über die Zeit von 1572 bis 1914 und die Umstände, in denen das Stück spielt.

Gelernt habe ich: Es gibt die Baracke vor und nach Miasma. Vor heisst, dass die (Militär-) Ärzte glaubten, die Krankheiten würden durch Schadstoffe in der Luft übertragen. Wo es stinkt, da lauert die Ansteckung, die Lüftung der Baracke darum das Wichtigste sei. Man baute hohe Räume mit einem Luftabzug im First. Abstand hilft lüften, das Ergebnis war das Pavillonsystem für den Bau von Spitälern. Nach Miasma beginnt mit der Entdeckung der Cholerabakterien durch Robert Koch. Krankheiten werde durch Erreger übertragen, nicht durch die Luft. Man konnte nun «gewöhnliche» Baracken bauen, die transportable Häuser mit den üblichen Raumhöhen waren.

Das Buch könnte auch heissen: Über die Baracke alles. Der Autor, Robert van Pelt lässt nichts aus. Er kennt jede Baracke, jeden Schauplatz, jeden Konstrukteur, jeden Zweck, jeden Einsatz. All das breitet er getreulich vor dem Leser aus. Mir ist das bald zu viel geworden. So genau und so detailliert wissen wollte ich’s eigentlich nicht. Andersherum, halb so dick wäre mir das Buch doppelt so lieb.

Doch die beiden letzten Kapitel haben mich versöhnt und geweckt. Im elften tritt die Doecker-Baracke auf, das perfekteste Exemplar der Gattung. Ihr Erfinder war Johan Gerhard Doecker, ein dänischer Kavalleriehauptmann. Er verkaufte sein Patent an die Firma Christoph & Unmack, für die später auch Konrad Wachsmann arbeiten wird. Die Doecker-Baracke war leicht, rasch auf- und abgebaut. Eine davon begleitet den Leser im zwölften Kapital 1904 nach Eho in der Mandschurei, wo ein deutsches Feldspital mit Doecker-Baracken im Namen des Roten Kreuzes hingeschickt wird, denn es ist gerade Krieg zwischen dem russischen und japanischen Kaiserreich. Die Arztgattin Elisabeth von Oettingen schrieb in ihr Tagebuch, wie sehr doch die Doecker-Baracke sich von den primitiven Behausungen, die sie in der Mandschurei antraf, unterschied. Die Doecker-Baracke war europäischer Luxus und ein Stück deutsche Heimat zugleich.

Den Schluss des Buchs machen sehr sorgfältig gezeichnete Axonometrien der verschiedenen Barackentypen. Man sieht das Gebäude von unten, so wie es Auguste Choisy in seiner «Histoire de l’ architecture» von 1899 eingeführt hat. Der Typus Baracke hat nun endlich seine Architekturgeschichte.

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