Vom Müssen zum Wollen

Welches Wettbewerbsverfahren wählen? Wen einladen? Wo liegen überall Stolpersteine? Wie die Immobilienentwickler von HRS zu guter Architektur kommen.

Fotos: Patrik Fuchs
In Zusammenarbeit mit HRS

Welches Wettbewerbsverfahren wählen? Wen einladen? Wo liegen überall Stolpersteine? Wie die Immobilienentwickler von HRS zu guter Architektur kommen.

Noch vor zwölf Jahren empfanden die Entwickler bei HRS die Wettbewerbe eher als Last und nicht wie heute als Chance. Damals führte die Firma Konkurrenzverfahren nur durch, wenn die Behörden es verlangten. Man lud jene Handvoll Architekten zu den Studienaufträgen ein, mit denen man sowieso arbeitete – nicht unbedingt die Erfahrensten in Wettbewerben. Heute entwickelt HRS ihre Immobilien freiwillig in aufwendigen Wettbewerbs- oder Workshopverfahren. Das Unternehmen hat entdeckt: Die Wirtschaftlichkeit geht oft mit einem städtebaulich und architektonisch überzeugenden Projekt einher.

«Uns interessieren vor allem komplexe Areale, bei denen wir um planungsrechtliche Instrumente wie Gestaltungspläne oder Umzonungen nicht herumkommen», so der Co-Leiter der Projektentwicklung Michael Breitenmoser. HRS investiert deshalb viel Zeit in die Vorbereitung. «Das Resultat ist immer so gut wie die Vorbereitung, die wir in ein Wettbewerbsverfahren gesteckt haben», erklärt er. Nachdem eine umfangreiche Machbarkeitsstudie abgeschlossen ist, holt HRS meist die Interessen der benachbarten Eigentümer ab. Breitenmoser nennt es «Temperatur fühlen», auch um Rechtsverfahren vorzubeugen, da Wettbewerbsergebnisse rechtlich nicht bindend sind. Am Ende der Vorplanung entscheidet die Immobilienentwicklerin über die Art des Verfahrens. Auch wenn es oft ein Projektwettbewerb ist, führt HRS viel häufiger Studienaufträge und Workshopverfahren durch. Sie ermöglichen, Risiken einzugehen, die im späteren Planungsverlauf Zeit sparen. Die hohe Kunst besteht darin, die richtigen Verfahren zu wählen. Aufwendige Dialogverfahren haben sich dafür offenbar bewährt. Dabei lautet die Maxime: die Projekte so jurieren und auswählen, wie sie auch später gebaut werden. So auch im Studienauftrag ‹Seesicht› in Arbon von 2015.

Das Beispiel Arbon zeigt auch exemplarisch, wieso HRS Entscheidungsträger einbindet. Zuerst fand der Wettbewerb statt. Auf Basis des Siegerprojekts entstand der Gestaltungsplan. Für den Rechtsdienst des Thurgauer Amts für Raumentwicklung war das Siegerprojekt zuerst nicht umsetzbar, denn Caruso St John Architects reagierten mit Absenken des Terrains und mit einer schwebenden Bodenplatte im Erdgeschoss auf den verlangten Hochwasserschutz. Obwohl dieser Vorschlag dem Amt eine zu grosszügige Interpretation des Gestaltungsplans war, setzte sich der Kantonsbaumeister erfolgreich für das Projekt ein. Er war Mitglied in der Jury.

Das Vertrauen von Kanton und Gemeinde in die Immobilienentwicklerin ist eine Voraussetzung für die enge Zusammenarbeit mit der öffentlichen Hand, die sich HRS mit fairen Verfahren erarbeitet hat. HRS stellt darüber hinaus die Wettbewerbsaufgaben häufig so, dass die Teilnehmer auch einen Ideenteil bewältigen müssen. Diese umfangreichen Verfahren mit Blick über den eigenen Projektperimeter hinaus sind für die Architekten zwar aufwendig, stärken jedoch das Ansehen der Entwicklerin bei den Gemeinden. Die architektonische Umsetzung weicht übrigens in Arbon vom Wettbewerbsergebnis kaum ab. Die Siedlung ist fast gebaut.

Caruso St John, Arbon: schwebende Bodenplatte auf abgesenktem Terrain.

Am liebsten im Dialog

HRS organisiert keine offenen Wettbewerbe. «Wenn Sie einmal sehen, wie innerhalb einer Stunde siebzig Arbeiten aussortiert werden, und wenn Sie wissen, wie viele Personen daran gearbeitet und sich Mühe gegeben haben, ist das aus unserer Sicht weder fair noch finanziell angemessen», so Breitenmoser. Zudem seien die Aufgaben der Architekten zu komplex und die Abgabeleistungen zu umfangreich, als dass sie in der kurzen Zeit eines offenen Wettbewerbs zu bewältigen wären. Daher entscheidet sich die Immobilienentwicklerin für Einladungsverfahren. Je unklarer die ersten Vorstellungen, je uneindeutiger die Vorgaben von Gemeinde und Kanton und je komplexer die Randbedingungen eines Grundstücks sind, desto wichtiger ist für HRS der Dialog – und weniger wichtig die Konkurrenz der Ideen. Im Verfahren zur Arealentwicklung Tribschen in Luzern stellte die Jury während des Dialogverfahrens fest, dass der Wohnungsmix zugunsten der Raumqualität dringend angepasst werden musste. In einem reinen Konkurrenzverfahren ohne Dialog wäre dies laut Breitenmoser nie so deutlich geworden.

Das Workshopverfahren ist das ausgeprägteste Dialogverfahren: Eine Jury beauftragt manchmal sogar nur ein Architekturbüro und diskutiert die Vorschläge an mehreren Workshops mit einer externen Begleitgruppe, in der Fachleute, Kanton, Gemeinde und Quartierbewohner beteiligt sind. Die Architekten haben in diesem Verfahren mehr Einfluss und tragen gleichzeitig eine höhere Verantwortung, da es keine Konkurrenz und Projektvarianz gibt. «Die Jury und das Architekturbüro müssen wir präzise auswählen. Denn je besser der Teamgeist, desto besser ist auch das Ergebnis», so Breitenmoser. Ähnlich wie bei einem Partizipationsverfahren lädt HRS zu einzelnen Workshops auch benachbarte Grundstückseigentümer ein. Es gehe nicht darum, Wünsche von Nachbarn umzusetzen, sondern deren Bedürfnisse zu berücksichtigen und Rechtsverfahren vorzubeugen. Beim Workshopverfahren für das Hochhaus am Bahnhofplatz in Buchs konnten so Bedenken von Nachbarn beseitigt werden, die gegen das Vorgängerprojekt erfolgreich Einsprache erhoben hatten. Nach nur vier Workshops stellten Staufer & Hasler ein Projekt vor, das alle unterstützten.

Zudem nimmt HRS selbst an Gesamtleistungswettbewerben teil. «Dies ist hilfreich», erklärt Michael Breitenmoser, «denn hier müssen wir uns in die andere Seite hineinversetzen. Dabei können wir viel für unsere eigenen Verfahren lernen – wie Prozesse gut geführt werden oder eben auch nicht.»

Staufer & Hasler in Buchs: Im Workshopverfahren wurde sogar eine Strasse verlegt.

Teilnehmer auswählen

Bei der Auswahl der Wettbewerbsteilnehmer und Juroren baut HRS einerseits auf gemeinsame Erfahrungen. «Uns ist es wichtig, dass man sich kennt und schon zusammengearbeitet hat», unterstreicht Breitenmoser. Andererseits sind jeweils etwa die Hälfte der Jurymitglieder neue Gesichter und stammen nicht aus dem HRS-Netzwerk. Die Jurys bestehen immer genau zur Hälfte aus Fach- und Sachjuroren, wobei Gemeindevertreter und HRS-Angestellte zum Sachpreisgericht zählen. Welche Architekturbüros zu einem Wettbewerb eingeladen werden, entscheidet HRS in enger Absprache mit der jeweiligen Jury. Die Juroren bekommen damit grossen Einfluss. HRS wählt Architekturbüros aus, die bei ähnlichen Aufgabestellungen bereits einmal positiv aufgefallen sind, und setzt auf Ortskenntnis. «Es ist wirklich ein Spagat, Architekturbüros aus der ganzen Schweiz für einen Wettbewerb zu gewinnen», so Breitenmoser. Vor allem in ländlicheren Regionen missfalle der Bevölkerung, wenn die geladenen Büros zum grössten Teil aus Zürich kommen und nicht aus der jeweiligen Region. Dieser Umstand wird relevant, wenn ein Wettbewerbsprojekt durch eine Volksabstimmung muss.

HRS stellt fest, dass die Kommunikation mit der Bevölkerung immer wichtiger wird. Die entwickelten Projekte müssen oft Abstimmungen gewinnen, manchmal mehrmals, wie im Fall des Zürcher Fussballstadions. Im Herbst 2020 hat die Bevölkerung ein Hochhaus in Gümligen abgelehnt – nach siebenjähriger Planung. Indem HRS Bedenken- und Entscheidungsträger in die Wettbewerbsverfahren integriert, werden diese Risiken minimiert.

Bei jedem Juryentscheid berücksichtigt HRS deshalb mögliche rechtliche und politische Folgen, denn aus Sicht der Entwicklerin ist mit dem Wettbewerb nur die erste Hürde genommen. Danach sind Entscheide von Gemeinden und Behörden nötig. Wie weit darf ein Wettbewerbsprojekt vom Gestaltungsplan abweichen? Wird ein Projekt bei einer Volksabstimmung von der lokalen Bevölkerung befürwortet? Bei diesen Fragen geht HRS wenig Risiken ein. «Unsere Wettbewerbsverfahren müssen politisch tragbar und im Prozess stabil sein», so Breitenmoser. Deshalb sei die Unterstützung durch die Behörden und deren Anwälte besonders wichtig: «Zu praktisch allen Projekten laufen heute Rechtsverfahren. Weil sich die Schweizer Baugesetze je nach Kanton und teilweise sogar je nach Stadt unterscheiden, ist es einfacher, Fehler zu finden, als keine Fehler zu machen.»

Jung ist nicht immer gut

Im Regelfall lädt HRS auch junge Architekturbüros zu den Verfahren ein. Im Projektwettbewerb zur Neugestaltung des Bundesplatzes in Luzern überzeugten die jungen Tobler Gmür Architekten in Arbeitsgemeinschaft mit dem etablierten Büro Steib & Geschwentner. Derzeit blockieren noch Rechtsverfahren das Projekt. In einem solchen Fall müssen Architekturbüros zwei bis drei Jahre finanziell mit anderen Aufgaben überbrücken können. Für junge und folglich kleine Büros, die gerade ihr Team für den gewonnenen Wettbewerb aufgestockt haben, kann das schwerwiegende Folgen haben.

«Gegenüber Nachwuchsbüros, die nach gewonnenem Wettbewerb mit uns schon in der Planungsphase stecken, fühlen wir uns verantwortlich», so Breitenmoser. Im Fall Luzern vergab HRS zur Überbrückung der Durststrecke zwei Machbarkeitsstudien an das junge Büro. Solche in sich abgeschlossenen Studien stellen kein Risiko dar, weshalb HRS sie gerne an Nachwuchsbüros vergibt. Die eigentliche Unsicherheit bilden laut Breitenmoser die geringe Kapazität und folglich die Flexibilität der kleineren Büros. Wenn es zu kurzfristigen und ausserplanmässigen Einsätzen kommt, können diese die nötigen Ressourcen nicht aufbringen, um die Probleme in kurzer Zeit zu lösen. Und Zeit kostet Geld. Das Beispiel am Luzerner Bundesplatz zeigt, dass Arbeitsgemeinschaften aus jungen und etablierten Büros eine geeignete Form sein können, um den Nachwuchs zu fördern und gleichzeitig das Risiko zu reduzieren. Gerade bei kurzfristigen Einsätzen könne ein erfahrenes Partnerbüro den Nachwuchs unterstützen.

Tobler Gmür zusammen mit Steib & Geschwentner Architekten: eine Lösung für den Bundesplatz in Luzern.

Entwicklung in der Ausbildung berücksichtigen

Michael Breitenmoser, Co-Leiter Immobilienentwicklung bei HRS, formuliert auch noch einen Wunsch an die Hochschulen und die ETH. Sie sollten die Perspektive von Investoren vermehrt aufzeigen und mit den Studierenden häufiger Betrieb und Wirtschaftlichkeit eines Gebäudes oder eines Areals diskutieren. Er stellt fest, dass im Wohnungsbau unerfahrene und junge Architekturbüros oft an der Zielgruppe oder an der Wettbewerbsaufgabe vorbeiplanen. Experimentelle Wohnungsgrundrisse seien häufig nicht gefordert. «Die Menschen können sich das nicht vorstellen. Und was sie nicht kennen, das kaufen sie auch nicht», so Breitenmoser. – Allerdings stellt sich aus Sicht der Architektur und der Raumplanung die Frage, ob es nicht auch die Aufgabe der Immobilienentwicklung sein könnte, innovativ zu planen und experimentierfreudige Bauherren zu finden, statt nur konservativ den Grossteil der Bevölkerung zu bedienen.

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