Mit Herzog & de Meuron gegen die Klimakrise

Neben dem Hortus aus Holz und Lehm steht ein Betongigant. Ein Gespräch mit Projektleiter Alexander Franz und Seniorpartner Stefan Marbach über den Mindshift seit Greta, IT-Tools und eine woke Arbeitsgruppe.

Fotos: Ephraim Bieri
In Zusammenarbeit mit Senn

Neben dem Hortus aus Holz und Lehm steht ein Betongigant. Ein Gespräch mit Projektleiter Alexander Franz und Seniorpartner Stefan Marbach über den Mindshift seit Greta, IT-Tools und eine woke Arbeitsgruppe.

Noch rankt Hopfen an den Bambusstangen des temporären Biergartens. Im nächsten Jahr sollen sich hier mit Lehm ausgefachte Holzrahmen auftürmen. Das ‹House of Research, Technology, Utopia and Sustainability›, kurz: Hortus, soll ausserdem vor allem via Schwingfenster lüften und so viel Sonne ernten, dass die graue Energie in einer Generation kompensiert ist. Der Bürobau ist ein Pionierprojekt.

Nebenan ist der Basler Main Campus des Switzerland Innovation Park bald fertig. Auch das Departement Biomedizin der Universität Basel, Johnson & Johnson und das Roche-Spin-off Basilea Pharmaceutica ziehen ein. Der Main Campus ist ein Laborbau und vier Mal grösser als das Hortus, mit einem Hof wie ein Fussballfeld. Zwar ist er fossilfrei beheizt und gemäss geltenden Standards «nachhaltig», aber gebaut aus Unmengen von Beton und Glas, mit Haustechnik bis zum Abwinken. Ein Klimasünder also?

Interessanterweise stehen beide Projekte nicht nur nebeneinander auf dem Baselink-Areal in Allschwil. Bei beiden plant und baut die Entwicklerin Senn mit ZPF Ingenieuren und Herzog & de Meuron. Zusammen planen sie bereits ein nächstes Laborhaus auf dem Areal. Und bei allen dreien ist Alexander Sadao Franz Projektleiter. Zeit für ein Gespräch über das Bauen, die Klimakrise und Herzog & de Meuron. Wir beginnen auf der Baustelle.

Blick von der Terrasse des Hortus zum Main Campus.

Beide Bauten stehen auf dem Baselink-Areal in Allschwil.

Das Hortus (1) ist die kleine experimentelle Schwester des Main Campus (2).

Im vergangenen Jahr sprachen wir viel über das Hortus. Von Sitzung zu Sitzung habt ihr mehr verbaute Energie und Emissionen gesenkt, und ihr seid sogar bereit, Fundamente aus alten Betondecken zu stapeln. Nun zeigst du mir den Main Campus. Wie denkst du heute über den Betonkoloss?
Alexander Franz: Nach wie vor bin ich stolz darauf. Nachhaltigkeit ist schliesslich mehr als Ökologie, sie hat auch eine wirtschaftliche Dimension. Beim Main Campus hatten wir einen engen Kostenrahmen, und den haben wir sogar untertroffen. Punkto Spannweite, Stützenraster und Geschossplattenstärke ist das Tragwerk absolut optimiert. Ausserdem liesse sich die Struktur für Wohnungen umnutzen. Es ist ein gutes Haus.

Trotzdem schauen wir den Main Campus heute mit der Klimabrille an und vergleichen ihn mit dem Hortus. Stehen wir gerade nicht zwischen Saulus und Paulus?
Alexander Franz: Mir ist klar, worauf du hinaus willst. Der Main Campus ist ein Laborbau mit enormer Betriebsenergie. Die Erstellungsenergie ist bei all dem Beton und einer Hülle aus raumhohem Dreifachglas auch nicht gering. Das meiste davon ist aber bedingt durch die Nutzung: Ein Bürobau wie das Hortus stellt ganz andere Anforderungen hinsichtlich Tragwerk und Haustechnik. Vieles, was wir beim Hortus versuchen, wäre hier nicht möglich.

Das klingt so alternativlos. Aber stand die Energie- und Ressourcenfrage beim Hortus nicht absolut im Zentrum, während sie beim Main Campus bloss ein Faktor unter vielen war?
Alexander Franz: Der Fokus war schon anders. Beim Main Campus ging es um radikale Flexibilität und das Kostenziel. Hier haben wir ganz klassisch geplant: erst das Projekthandbuch, dann Volumenstudien, architektonische Konzepte und typologische Untersuchungen, die Konstruktion ab Vorprojekt. Beim Hortus haben wir das Ganze auf den Kopf gestellt, das Haus vom Kleinen ins Grosse entwickelt. Dort hatten wir nicht einmal ein Nutzflächenziel, dafür aber die Vorgabe, die Primärenergie in einer Generation einzusparen. Darum haben wir das Dach und die Fassaden mit viel Photovoltaik bestückt und eine sparsame Konstruktion gesucht. Noch bevor klar war, ob es ein Hofhaus oder etwas anderes wird, haben wir schon mit den Ingenieuren von ZPF am Tragwerk aus Holz und Lehm gefeilt.

Die beiden Projekte verkörpern auch einen Paradigmenwechsel. Früher ging es vor allem um Betrieb und Energie, heute stehen Erstellung und Emissionen im Vordergrund. Der Diskurs hat sich verschoben.
Alexander Franz: Ganz klar. In den fünf Jahren, die zwischen den beiden Projekten liegen, ist viel passiert, und zwar nicht nur in der Architektur. Meine Kinder wollen nicht mehr in den Urlaub fliegen, und Senn als Investorin denkt heute anders über ihre Projekte als damals. Der Paradigmenwechsel, den du ansprichst, von der Energie hin zu den Emissionen, ist aber noch längst nicht abgeschlossen. Der SIA-Effizienzpfad Energie empfiehlt im Betrieb zwölf Kilogramm CO2 pro Quadratmeter und Jahr. Das korrekte Klimaziel wäre viel schärfer, nämlich Netto-Null. Selbst beim Hortus mit seinen grossen Ambitionen ist die Energiebetrachtung zentral. Wir kompensieren die graue Energie mit der Plusenergie, die wir auf dem Dach ernten. Aber wie kompensieren wir die 2400 Tonnen CO2, die im Haus stecken? Wir diskutieren gerade, ob wir Bäume pflanzen sollten.

Wie viele andere Leuchtturmprojekte geht Hortus also einerseits nicht weit genug. Andererseits ist es viel zu radikal für ein «new normal». Oder glaubst du, dass wir bald nur noch so bauen werden?
Alexander Franz: Selbst wenn wir bereit dazu wären, würden wir das nicht schaffen. Die Welt ändert sich schleichend. Das Projekt ist ein gutes Beispiel dafür, was heute schon möglich ist. Es ist ein Anfang, ein Pionierprojekt, das die Latte hoch setzt. Hoffentlich färbt das ab.

Zumindest auf dich hat es abgefärbt. In einer Planersitzung meintest du, es gäbe kein Zurück mehr. Was heisst das? Denkst du heute anders über Nachhaltigkeit und Architektur?
Alexander Franz: Das Projekt hat mich auf jeden Fall geprägt. Zwei Dinge nehme ich mit: Erstens mag Ökologie zwar nicht der Kern der Architektur sein, aber sie ist mehr als ein Faktor unter vielen, denn sie betrifft alle Bereiche des Bauens. Das heisst zweitens, dass sie vom Tag eins an Thema sein muss. Der Planungsprozess und die Denkweise beim Hortus sind darum vorbildlich. Wir haben genauso früh über Konstruktion und Materialität gesprochen wie über Typologie und Volumen. So muss es sein. Im Übrigen glaube ich, dass das irgendwann normal sein wird. Als die Verschärfung der Wärmedämmung kam, war das anfangs auch ungewohnt und hat zu viel Widerstand geführt. Heute ist das 08/15-Planungstätigkeit. So wird es in einigen Jahren auch punkto Ressourcen und Grauer Emissionen sein.

Dank reichlich Photovoltaik auf dem Dach und an den Fassaden erntet das Hortus genug Plusenergie, um die eigene Erstellungsenergie in einer Generation zurückzuzahlen. In Sachen Treibhausgasen funktioniert das aber nicht.

Die Nutzerinnen können sich im Wintergarten aufhalten und auf der Terrasse sitzen, der Innenhof dagegen gehört Pflanzen und Tieren.

Im engen Takt tragen die verleimten Buchenholzstützen und -rahmen die Fichtenträger mit dazwischen gestampften Lehmgewölben.

Grundriss Regelgeschoss

Die Januarkälte kriecht uns durch die Sohlen. Also setzen wir uns zwei weisse Helme auf, kreuzen die Schranken und starten den Rundgang. Die Fassade des Main Campus ist keine glatte Hülle, sondern ein raumhaltiges Gerüst. Ein schier endloses Stakkato gewaltiger Betonrippen, die aussen und zum Hof die Glashaut umklammern. An den Ecken sitzen vier Treppenhäuser, bei denen sich Doppelläufe wie bei da Vinci im Schloss Chambord umschwingen, bloss sind sie hier durch Mittelstege verbunden. Dazwischen liegt pure Fläche. Ausser zwei Stützenreihen gibt es hier nur ein paar Leitungen neben den Stützen und die ersten Ausbauten der Mieterinnen, die Löcher in die Decken bohren und Zwischenwände aufstellen. Am Ende Fragen über Fragen.

 

Die Fassade besteht aus zwei Meter breiten Rippen und Hunderten von Auflagern, die die Fassade durchdringen. Was ist daran effizient?
Alexander Franz: Der Clou liegt im Mehrfachnutzen: Erstens steifen die Rippen das Gebäude aus. Zweitens tragen sie die Decken von aussen, die Konsolen sind thermisch getrennt. Darum fallen die üblichen Stützen entlang der Fassade weg, und die Zwischenwände können alle 1,4 Meter an die Holzfenster anschliessen. Andererseits tragen die Rippen die Balkone. Die spenden Schatten und sorgen für ein besseres Raumklima im Inneren. Nach aussen hin dienen sie als Aufenthaltsflächen, zum Innenhof hin als Fluchtwege. So konnten wir 40‘000 Quadratmeter Hauptnutzfläche mit nur vier Treppenhäusern bauen. Sie liegen in den Ecken des Hauses, der Rest ist komplett kernfrei. Die Fassade ist also zentral für die Flexibilität, um die es uns ging.

Zugegeben, das ist clever. Auf die Fassadenrippen folgt aber ein gewöhnlicher Stützen-Platten-Bau.
Alexander Franz: Immerhin sind die Stützen aus hochfestem Beton vorfabriziert und die Decken mit 28 Zentimetern relativ dünn. Aber natürlich ginge es nachhaltiger Die Balkonplatten müssten nicht aus Beton sein. Und statt Flachdecken wären Rippendecken denkbar. Der Deckenvergleich, mit dem wir beim Hortus begonnnen haben, zeigt ja, dass Rippendecken nicht viel schlechter sind als Holzverbunddecken. So gesehen müsste man an die Deckenkonstruktionen von Nervi anknüpfen. Die hat man seinerzeit bloss aufgegeben, weil die Schalung zu teuer ist. Abgesehen von den Brandschutz- und Akustikproblemen solch dünner Decken stünden wir dann, ganz so wie beim Hortus, vor einem Optimierungsproblem in Sachen Vorfertigung.

Nun kommen wir der Sache näher. Immerhin beginnt ihr gerade die gemeinsame Planung für ein Laborhaus auf zwei Baufeldern im Baubereich C. Dort verfolgt ihr die gleichen Ziele wie beim Hortus, richtig?
Alexander Franz: Es sind eher die gleichen Werte und Prozesse. Die Ansprüche im Laborbau sind extrem, die Aufgabe ist ungleich schwerer. Zum Beispiel die Lüftung: Das Hortus ist ein Bürobau, da genügt ein 1,5-facher Luftwechsel. Beim Main Campus arbeiten wir mit einem siebenfachen Wechsel. Das erreicht man schlichtweg nicht, wenn man die Fenster öffnet. Das Gleiche beim Tragwerk: Beim Hortus steht alle 5,6 auf 2,8 Meter eine Stütze aus Baubuche. Das ist viel, passt aber für Büros. Ein ideales Laborraster dagegen misst etwa 7 auf 7 Meter. Wollte man eine solche Struktur aus Holz bauen, wären noch nicht einmal die Sekundärbalken aus Baumstämmen gesägt, sondern verleimt. Irgendwann verbaut man mehr Kleber als Holz, was auch nicht das Ziel sein kann. Darum denken wir über effizientere und hybride Konstruktionen nach. Auch der Lehm ist noch nicht abgeschrieben.

Was ist mit dem Ausbau? Im Main Campus stehen schon viele Metallständer herum und warten auf Gipsplatten. Das ist nicht eure Sache, aber klimatechnisch trotzdem ein Sündenfall.
Alexander Franz: Tatsächlich haben wir nur Schlüsselbereiche im Haus entworfen, ansonsten übergeben wir die Flächen im Rohbau. Was nun passiert, ist erwartbar, und darum entwickeln wir im Hortus gerade einen Ausbaukatalog. Darin schlagen wir zum Beispiel Holzständerwände mit Hanfdämmung und Lehmbauplatten vor. Einiges davon wird sich auf den Baubereich C übertragen lassen. Allerdings ist die Life-Science-Branche weit weg vom Gedanken des ökologischen Bauens. Wir müssen künftigen Nutzerinnen darum nicht nur fixfertige Lösungen anbieten, sondern sie auch davon überzeugen. Das wird nicht einfach, denn grosse Firmen kommen mit ihren Interior-Büros und internationalen Standards. Beim Main Campus sieht man das: Manche bauen gerade Sprinkleranlagen ein, obwohl sie gemäss Schweizer Regeln in unserem Gebäude nicht nötig wären.

Angebote und Überzeugung: Das klingt unverbindlich. Müsste man den Nutzerinnen im Hortus nicht wenigstens klare Grenzwerte mitgeben, zum Beispiel, wie viel CO2 in einem Meter Wand stecken darf? Wer in ein nachhaltiges Pionierprojekt zieht, sollte dafür doch zu haben sein.
Alexander Franz: Wenn du mich fragst, klar. Ich fände es auch vertretbar, bei der Haustechnik mehr Temperaturüberschreitungen in Kauf zu nehmen. Ohne aktive Kühlung wäre es im Hortus an wenigen Tagen im Jahr ein bis zwei Grad heisser als die vom SIA erlaubten 26,5 Grad. Unzählige Menschen in Altbauten kommen damit täglich gut zurecht, das müsste man einfach richtig kommunizieren. Als Architekt habe ich freilich leicht reden. Senn muss als Entwicklerin die Vermarktung sichern und heutige Standards erfüllen. In Sachen Lüftung haben wir beim Hortus einen guten Kompromiss gefunden: Wir wollen nur in den gefangenen Räumen künstlich lüften, sofern es überhaupt welche gibt, ansonsten mit Schwingfenstern. Die Schächte sind aber gross genug für das Nachrüsten einer kompletten Kontrolllüftung, falls das jemand will oder braucht.

Der Main Campus ist ein Gigant aus Beton und Glas.

Auf dem Dach des Laborbaus stehen enorme Haustechnikanlagen.

Zum Hof hin erschliessen vier doppelläufige Treppen die völlig freigespielte Nutzfläche.

Die Fassadenrippen und Balkone dienen als aussen liegende Tragstruktur, als Aussteifung und als Fluchtwege zugleich.

Innen erübrigen sich Stützen hinter der Fassade. Die Flächen sind frei unterteilbar. Die Deckenkonsolen sind thermisch getrennt.

Den Mieterausbau prägen Haustechnikleitungen an den Decken und gipsverkleidete Metallständerwände. Vom Gedanken des zukunftsfähigen Bauens ist die Life-Science-Branche weit weg.

Grundriss Regelgeschoss (© Herzog & de Meuron)

Wir steigen ins Auto und fahren von Allschwil an die Rheinschanze. Herzog & de Meuron beschäftigen hier etwa 400 Mitarbeiterinnen. Das Büro ist eine Architekturfabrik, die in jeder zweiten Basler Planung mitmischt. Ausserdem spielt es für Schweizer Verhältnisse in einer eigenen Liga, mit Zweigstellen in London, Berlin, Kopenhagen, New York und Hong Kong. Wir treffen Stefan Marbach, einen der fünf Seniorpartner, zum Mittagessen beim Edelitaliener gleich um die Ecke. Am Nachbartisch sitzt Bjarke Ingels von BIG aus Kopenhagen. Mit seinem Konzept der ‹hedonistic sustainability› baut er an einer technokratischen Zukunft, in der Nachhaltigkeit Spass machen muss und nichts kosten darf. Wir sind spät dran, und die Kellner schieben bereits grosse Wagen mit Profiteroles und Tiramisu herum. Die beiden bestellen Vitello und Filetto. Welch schönes Setting, um über Herzog & de Meuron und die Nachhaltigkeit zu sprechen.

 

Global ist viel in Bewegung. Grosse Vermögensverwalter setzen sich Klimaziele, Immobilieninvestoren ziehen nach, öffentliche Bauträger wollen Vorbilder. Wer im Game bleiben will, muss klimafit sein?
Stefan Marbach: Absolut. Allerdings bauen wir auf der ganzen Welt, und die Unterschiede sind enorm. In China rechnen die Developer mit so hohen Renditen, dass die Gebäude nach zehn Jahren abgeschrieben sind. Dort ist Nachhaltigkeit kein Thema. Im Westen sieht die Sache anders aus. Es gibt immer mehr nachhaltige Aktienfonds, da will ein Zementriese wie Holcim nicht rausfliegen. Die ganze Branche ist nervös, und der öffentliche Diskurs hat sich gewandelt. Wenn wir heute ein Museum eröffnen, geht es immer seltener um das Raumerlebnis und die Ausstellungen, sondern oft um Klimafragen: Wie viel Beton steckt im Haus, wie viel Energie verbraucht die Haustechnik? Diese Fragen sind berechtigt, und sie müssen uns morgen noch mehr beschäftigen.

Das klingt ganz nach der Profidienstleisterin Herzog & de Meuron, die auf alle Wünsche und Zwänge reagiert. Anders formuliert: Ich habe euch immer als starke Entwerfer ohne Scheuklappen wahrgenommen, aber nie als sonderlich haltungsstark hinsichtlich Ökologie und Gesellschaft. Tue ich euch da unrecht?
Stefan Marbach: Nein. Es wäre scheinheilig, nun zu behaupten, das Thema hätte stets zuoberst auf unserer Prioritätenliste gestanden. Allerdings gibt es schon frühe Projekte, die radikal einfach und natürlich konstruiert sind, etwa das Steinhaus in Tavole oder das Ricola-Kräuterzentrum aus Lehm. Wie Jacques und Pierre von Anfang an Architektur zusammen mit Infrastruktur und Landschaft denken, ist auch zukunftsfähig.

Klar, Ricola und der Lehm. Aber das ist ein Einzelfall, und die Ambitionen beim Hortus kamen von Senn. Mich interessiert die Innensicht: Gibt es ein Umdenken? Habt ihr eine Haltung als Firma?
Alexander Franz: Der Klimadiskurs hat die ganze Gesellschaft erfasst. Natürlich endet die Debatte nicht an den Toren der Rheinschanze. Im Herbst 2021 habe ich das Projekt Hortus dem gesamten Büro präsentiert. Das Interesse war riesig, vor allem junge Mitarbeitende meldeten sich engagiert. Ausserdem haben wir eine Arbeitsgruppe gegründet und ausgebreitet, was das Thema für uns bedeutet.
Stefan Marbach: Das beginnt bei der Akquise. Welche Aufträge wollen wir überhaupt annehmen? Wir haben schon grosse Projekte aus politischen Gründen abgelehnt. Analog dazu wollen wir No-Gos aus Klimasicht definieren. Und schon stellt sich die Frage nach dem Businessmodell: Wie gross und nachhaltig kann man heute wirklich sein?
Alexander Franz: Im Kern geht es natürlich um den Entwurf. Was wir bauen, ist unser grösster Hebel. Wir entwickeln gerade ein Tool, um Primärenergie und CO2 schon im Entwurf zu verfolgen, ähnlich wie wir das beim Hortus gemacht haben. Ab diesem oder nächstem Jahr wollen wir das bei allen Projekten machen.
Stefan Marbach: Wir haben ausserdem festgestellt, dass das Thema so komplex ist, dass wir interne Expertise brauchen. Im strategischen Board haben wir darum ein Budget für eine neue Stelle gesprochen. Wir suchen eine Person, die das Thema fokussiert bearbeitet.

Könnt ihr den Job beschreiben?
Stefan Marbach: Zunächst geht es darum, das komplexe Thema intellektuell zu durchdringen. Bevor wir uns in Details verlieren, müssen wir unsere Perspektive schärfen. Dann geht es darum, Wissen zu systematisieren und den Informationsfluss zwischen den Projekten zu gewährleisten. Und schliesslich geht es auch darum, das Thema nach aussen zu vertreten, sich mit der akademischen Welt auszutauschen und interne Vorträge und Diskussionen zu organisieren. Es geht letztlich ja um einen Kulturwandel, den alle im Haus mittragen sollen.

Der Wandel betrifft die gesamte Gesellschaft. Was ihr als Szene-Leader tut, wird wahrgenommen. Ist das nicht auch eine aufregende Chance, die Architektur radikal neu zu denken und zu prägen?
Alexander Franz: Genau so sehe ich das. Ökologische Anliegen sind vordergründig einschränkend. Es mag auch sein, dass einiges nicht mehr geht. Umgekehrt wird aber auch vieles möglich. Beim Hortus haben wir genau diesen Prozess durchgemacht: Anfangs hat uns die quasi archaische Bauweise nervös gemacht. Ein Haus aus Holz und Lehm. Entsteht da eine Garage oder eine Ökobude? Heute sind wir sicher: Weder noch, das wird ein tolles Haus. Daraus folgt freilich nicht, dass Holz und Lehm überall die richtige Antwort wären. Das Hortus wiegt pro Quadratmeter eine Tonne. Ich würde das Erbe des britischen Hightech – den demontierbaren Leichtbau aus Stahl und Glas mit radikaler Systemtrennung – nicht zu früh abschreiben.
Stefan Marbach: Wichtig ist, dass wir uns nicht von Verlustängsten leiten lassen, sondern von Neugierde und von Fakten. Wir müssen rechnen und informiert entscheiden, statt Klischees und Gefühlen zu folgen. Ausserdem geht es um Glaubwürdigkeit und Ehrlichkeit. Es genügt nicht, sexy und grün für die Developer zu sein. Da denke ich vielleicht protestantischer als manche Kollegen. Vielleicht muss der Wandel eben auch etwas kosten.

Kommentare

Palle Petersen 15.03.2022 13:44
Du meinst, wird sollten keine Orcas bauen, sondern Regenwälder erhalten? Zugegeben: Der Gedanke ist mir auch schon gekommen. ;]
Peter Wullschleger 15.03.2022 13:22
"Wir diskutieren gerade, ob wir Bäume pflanzen sollten." - Diese revolutionäre Technik soll an einzelnen Standorten im In- und Ausland bereits erfolgreich angewendet worden sein.
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