Mehr als ein Bahnhof

Die Erneuerung des Westflügels des Bahnhofs Basel SBB zeigt exemplarisch auf, in welchem Spannungsfeld sich Planende bewegen. Und: Nur wer Lebensräume gestaltet, schafft Baukultur.

Fotos: Rolf Siegenthaler
In Zusammenarbeit mit SBB Immobilien

Die Erneuerung des Westflügels des Bahnhofs Basel SBB zeigt exemplarisch auf, in welchem Spannungsfeld sich Planende bewegen. Und: Nur wer Lebensräume gestaltet, schafft Baukultur.

«Das Resultat ist extrem befriedigend», sagt Reto Bieli und meint damit den Westflügel des Bahnhofs Basel SBB. Er muss es wissen: Seit zwei Jahren leitet er die Fachstelle Denkmalpflege der SBB, zuvor war er bei der Denkmalpflege des Kantons Basel-Stadt tätig. Bieli hat die Erneuerung des Westflügels somit aus zwei Perspektiven erlebt. Das Ergebnis beeindruckt tatsächlich: Der Verbindungsgang zwischen der Haupthalle und der Halle des französischen Bahnhofs ist wieder in seiner ursprünglichen Höhe und Lichtfülle erlebbar, die einstige Schalterhalle der französischen Staatsbahn SNCF wurde entrümpelt und bildet jetzt einen ruhigeren Gegenpol zur Haupthalle. Die repräsentativen Räume des früheren Bahnhofbuffets wurden sorgfältig saniert, Läden und Restaurants sind in die Lokale eingezogen. Nun zeigt die räumliche Struktur des Westflügels wieder den ursprünglichen Zustand von 1907. Nur an den in die Tiefe führenden Rolltreppen ist zu erkennen, dass sich heute unter dem sanierten Gebäude statt der Kellerräume ein grossflächiger Einkaufsbereich befindet. Längst sind Bahnhöfe nicht mehr nur Verkehrsdrehscheiben – sie sind auch Quartierverbindungen oder Einkaufs- und Begegnungsorte.


Querschnitt | Coupe transversale

Erdgeschoss | Rez-de-chaussée

Untergeschoss | Sous-sol

Längsschnitt | Coupe longitudinale

Den Bahnhof als Stadtraum denken

So selbstverständlich der Westflügel heute wirkt, so anspruchsvoll war seine Planung. Nicht nur, weil man bei historischen Bauten am Anfang nie genau weiss, wie ihr Zustand ist, sondern auch, weil für viele bauliche Fragen keine standardisierten Lösungen existieren. Die komplexen Herausforderungen spielten sich sowohl im Gebäude selbst als auch auf der planerischen Ebene ab. Der Westflügel des Bahnhofs ist Teil eines Gesamtkonzepts, das den gesamten Stadtraum um den Bahnhof umfasst. Entsprechend vielfältig sind die Schnittstellen nicht nur zu den bestehenden Bauteilen, sondern auch zu den Projekten, die erst in näherer oder fernerer Zukunft realisiert werden. Das heisst, auch die langfristigen Interessen aller Beteiligten müssen berücksichtigt werden. «Bis 2000 hatte die SBB bei den Planungen auf ihren Arealen einen sehr grossen Ermessensspielraum», sagt Yves Jacot. Diese Zeiten seien vorbei. Jacot ist Teamleiter Development Bahnhöfe bei SBB Immobilien und arbeitet seit über 20 Jahren bei der SBB. Wer heute an einem Bahnhof plant, arbeitet an einem Stadtquartier. Dabei spielen nicht nur die Behörden, die Nutzerinnen und die Betreiber eine wichtige Rolle, sondern auch viele Interessenverbände, insbesondere jene für die Mobilität. In einer integralen Planung müssen alle diese Interessen unter einen Hut gebracht werden. Das sei manchmal gar nicht so einfach, sagt Reto Bieli. Dank einer guten Gesprächskultur und der disziplinierten Projektsteuerung durch die SBB sei es in Basel gelungen, sämtlichen Ansprüchen gerecht zu werden. Das ist Baukultur: in gut moderierten Verfahren und Aushandlungsprozessen die unterschiedlichen Interessen ermitteln, sorgfältig bewerten, und dafür sorgen, dass möglichst viele Anliegen in einem möglichst hohen Mass berücksichtigt werden. Das heisst nicht, dass bei allen Fragen die umfassend gedachte Lösung gefunden wird, denn manchmal lassen die Randbedingungen nur wenig Spielraum. So bedauert Yves Jacot, dass die Anlieferung zum Bahnhof nach der Überbauung Elsässertor nur noch auf der anderen Seite der Gleise möglich war. Das Nachwuchsteam der Architekten Oliver Menzi und Patrick Roost gewann 2007 den Wettbewerb für das Konzept über den ganzen Bahnhof, woraus dann der Auftrag für die Erneuerung des Westflügels hervorging. Dieses Konzept orientierte sich an der historischen Raumsituation des Bahnhofs von 1907. Als Folge des Projekts verzichtete die SBB auf die Nutzflächen über dem Verbindungsgang und im Bereich der Halle SNCF zugunsten hoher Raumqualitäten. Ein gut gestalteter Bahnhof mit hoher Aufenthaltsqualität wird sich positiv auf die langfristigen Erträge auswirken. Oder anders gesagt: Hohe Baukultur ist kein Risiko, sondern eine nachhaltige Chance.

Neben den Gleisen setzt ein gläserner Vorbau einen zeitgenössischen Akzent. | Près des voies, une avancée en verre donne un accent contemporain.

Der Korridor hat seine ursprünglichen Dimensionen zurückerhalten. | Le couloir a retrouvé ses dimensions d’origine.

In diesem Sinn haben sich bei SBB Immobilien die Gewichte verschoben. Als der Bereich vor knapp 20 Jahren aus der Division Infrastruktur herausgelöst wurde, waren die politischen Vorgaben auf Rentabilität ausgerichtet, auch um ein Darlehen der Pensionskasse zurückzubezahlen. Heute stehen die räumlichen und identitätsstiftenden Qualitäten, der Bahnhof als Mobilitätsdrehscheibe sowie der komfortable und attraktive Zugang zur Bahn wieder stärker im Fokus.

Mit der Sanierung des Westflügels nähert sich der Bahnhof Basel wieder seinem ursprünglichen Zustand von 1907 an. Schon damals war der Neubau von Emil Faesch und Emanuel La Roche mehr als nur ein Bahnhof. Als erster grosser Bahnhofsneubau der noch jungen Schweizerischen Bundesbahnen sollte ‹Basel SBB› auch zum Erfolg des neuen, mit Argusaugen beobachteten Regiebetriebs des Bundes beitragen. Entsprechend gross war damals die Bedeutung des Wettbewerbs – so wie auch heute Konkurrenzverfahren wichtige Beiträge zur Baukultur leisten.Vor 20 Jahren wurde der Centralbahnplatz umgebaut und das Veloparking erstellt. 2003 eröffnete die SBB die Bahnhofspasserelle von Cruz / Ortiz und Giraudi Wettstein. Saniert wurde zwischenzeitlich auch die Haupthalle, und im nächsten Jahr wird die Sanierung der eindrücklichen Perronhalle abgeschlossen. Ist der Bahnhof Basel SBB dann fertig gebaut? Nein, natürlich nicht – so wie wohl kein grosser Bahnhof je fertig gebaut sein wird.

Das Planen geht weiter

In Basel laufen derzeit Studien zum Neubau der Margarethenbrücke mit Abgängen auf die Perrons im Gleisfeld West. Eine Personenunterführung soll die Perrons mit dem Westflügel verbinden. Ursprünglich war vorgesehen, kurz nach der Fertigstellung des Westflügels mit dem Bau der Unterführung zu beginnen. Doch nun ziehen sich die Planungen in die Länge, und die frühere SNCF-Halle wird wohl noch länger etwas im Schatten des Hochbetriebs liegen. Am östlichen Ende des Bahnhofs befassen sich SBB und Post zudem mit der Zukunft des rostroten Postbetriebsgebäudes über den Gleisen. Alle diese Vorhaben illustrieren, was ein Bahnhof auch und immer mehr ist: eine Quartierverbindung, die in ein dichtes Netz von Wegen eingebunden ist. Wer an einem Bahnhof arbeitet, arbeitet am Stadtorganismus.
 

Die ehemalige Schalterhalle des französischen Bahnhofs ist zu einem ruhigen, grosszügigen Raum geworden. | L’ancien hall de guichets de la gare française est devenu un espace calme et spacieux.


Erneuerung Westflügel Bahnhof Basel SBB, 2021
Centralbahnstrasse 10, Basel
Bauherrschaft: SBB
Architektur: Arge Roost / Menzi Bürgler, Zürich; Itten + Brechbühl, Zürich
Auftragsart: Wettbewerb Masterplan, 2007
Kosten: Fr. 100 Mio.


 

 

 

Bien plus qu’une gare

«Le résultat est extraordinaire», constate Reto Bieli, responsable du Service de la protection des monuments historiques des CFF. La structure spatiale de l’aile ouest de la gare CFF de Bâle retrouve son état d’origine de 1907: l’allée de liaison entre le hall principal et le hall de la gare française s’apprécie dans sa hauteur et sa luminosité d’origine, l’ancien hall des guichets des chemins de fer français SNCF a été désencombré et les espaces représentatifs de l’ancien buffet de la gare ont été rénovés avec soin.

L’aile ouest fait partie d’un concept global comprenant tout l’espace urbain de la gare. Les interfaces avec les structures existantes et les projets futurs sont donc très variées. «Jusqu’en 2000, les CFF avaient une grande marge de manœuvre dans la planification de leurs sites», affirme Yves Jacot, chef du Team Développement Gares chez CFF Immobilier. Ces temps-là sont révolus: de nos jours, outre les autorités, les utilisatrices, exploitants et de nombreux groupes d’intérêt jouent aussi un rôle important. Dans des procédures encadrées, les intérêts sont à identifier, évaluer et être pris en compte au mieux. C’est cela, la culture du bâti.

En 2007, l’équipe de jeunes talents de Patrick Roost et Oliver Menzi remporta le concours pour la gare entière. La commande pour l’aile ouest en est ressortie. Suite au projet, les CFF ont renoncé aux surfaces utiles au-dessus de l’allée de liaison et dans le hall de la SNCF au profit de la qualité de l’espace. Une gare bien conçue pourvue d’une grande qualité de séjour aura un impact positif sur les revenus à long terme. Dans ce sens, les priorités de CFF Immobilier ont changé. Lors du détachement du domaine immobilier de la Division Infrastructures il y a près de 20 ans, les directives politiques ciblaient la rentabilité, entre autres pour rembourser un prêt de la caisse de pension. Aujourd’hui, l’accent est plutôt mis sur les qualités spatiales et génératrices d’identité, la gare en tant qu’interface de la mobilité, ainsi que l’accès attractif au rail.

Les grandes gares ne seront jamais vraiment terminées. Ainsi, des études pour la reconstruction du Margarethenbrücke sont en cours à Bâle. De plus, un passage souterrain piéton additionnel devra relier les quais avec l’aile ouest. À l’extrémité est de la gare, les CFF et la Poste planifient l’avenir du bâtiment couleur rouille de la Poste au-dessus des voies ferrées. Travailler sur un projet de gare, c’est travailler sur l’urbanisme. 

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