Für ihre Renditeziele bei Arealentwicklungen wird SBB Immobilien in grossen Städten kritisiert. Man plane heute anders als vor 20 Jahren, entgegnet Susanne Zenker, Leiterin Development.
Wir sind in Bern-Wankdorf, am Hauptsitz der SBB. Das Neubauquartier wirkt immer noch etwas steril. Geplant wurde es, bevor Sie zu SBB Immobilien stiessen. Wie beurteilen Sie das Resultat?
Das Quartier wurde nicht von der SBB entwickelt. Wir sind nur Baurechtnehmerin für einzelne Baufelder. Aus meiner Sicht fehlt hier noch das Leben, gerade am Wochenende. Die Läden und Cafés in den Erdgeschossen schliessen früh. Nun sind Wohnungen und ein Hotel entstanden. Das wird für eine gewisse Durchmischung sorgen.
Was würden Sie anders machen?
Wir würden auf Nutzungen achten, die von Beginn an zusammenspielen. Dazu gehören an dieser Randlage Wohnungen, aber vor allem Erdgeschosse, die genügend Menschen anziehen, damit auch der Aussenraum lebt. Was in ein Quartier passt, muss man sorgfältig auswählen.
Wie gehen Sie dabei vor?
Wir befolgen klare Prozesse. Diese beginnen mit einem Mitwirkungsverfahren, um Anliegen und Ideen von Behörden und Bevölkerung aufzunehmen. Danach folgen der städtebauliche Studienauftrag und die Sondernutzungsplanung. Erst dann sprechen wir über Architektur, schreiben das Pflichtenheft für den Architekturwettbewerb. Mit all diesen Schritten in Form eines langjährigen Prozesses hinterfragen und stabilisieren wir ein Projekt.
SBB Immobilien preist seine Projektentwicklungen gerne als «gemischt genutzte, belebte Stadtquartiere» an. Was trägt das Unternehmen dazu selbst bei?
Zum Beispiel, dass wir viele Menschen ansprechen. Ein Drittel der Wohnungen auf unseren Arealen bieten wir zu günstigen Mieten an. Dabei gilt das 50-Prozent-Quantil der Daten von Wüest Partner als Limite. Zwei Drittel orientieren sich an der Marktmiete, Limite ist hier bei der SBB das 70-Prozent-Quantil. So entsteht ein mittlerer Standard für unsere Quartiere, und wir versuchen auszugleichen zwischen Nutzungen, mit denen wir Geld verdienen, und solchen, die es aus Gründen der Stadtentwicklung, der Belebung und Atmosphäre braucht.
Dennoch spielen hohe Renditen eine Rolle. Wie passt das mit dem Ziel von gemischt genutzten Stadtquartieren zusammen?
Ich sehe keinen Widerspruch. Nehmen wir die Europaallee in Zürich: Zahlt eine grosse Firma eine angemessene Büromiete, können wir das Erdgeschoss für junge, lokale Läden und Nutzungen vergünstigen. Diese könnten sich den Standort sonst nicht leisten, beleben ihn aber.
«Wir haben unsere Ausrichtung im Austausch mit der Bevölkerung und den Behörden nuanciert.» Susanne Zenker
Hat SBB Immobilien erst aufgrund der Kritik am Luxuswohnungsbau mit günstigen Mieten in den Erdgeschossen reagiert?
Es kann sein, dass wir zu Beginn zu stark in Richtung hohe Renditen gearbeitet haben. Die SBB hat ihre Ausrichtung im Austausch mit der Bevölkerung und den Behörden nuanciert und mit Blick auf die sich verändernde Gesellschaft weiterentwickelt. Luxuswohnungen gibt es nur in der Europaallee. Wir entwickeln aber überall in der Schweiz neue Quartiere, in Renens zum Beispiel, mit neuen SBB-Büros, günstigeren Wohnungen, einem Altersheim und einem Gymnasium. Die Mieterträge dort sind nicht vergleichbar mit jenen in Zürichs Zentrum.
Gewisse Ecken an der Zürcher Europaallee und im Genfer Büroquartier Pont Rouge sehen sich zum Verwechseln ähnlich. Ist das gute Baukultur?
Das sei eine Art «SBB-Stil», hören wir manchmal. Aber wir organisieren konsequent Architekturwettbewerbe, die durch unabhängige und immer andere Fachjurorinnen und Fachjuroren beurteilt werden. Wir arbeiten dadurch auch immer mit anderen Architekturbüros zusammen. Übrigens führen wir eine Liste von unseren Wettbewerben mit allen Teilnehmerinnen und Juroren. Der Architektur- diversität steht nichts im Weg. Anders gesagt: So sieht nun mal die zeitgenössische Büroarchitektur aus.
Im Frühjahr diskutierte der Zürcher Gemeinderat erneut die Projektentwicklung Neugasse sowie die Volksinitiative für eine zu 100 Prozent gemeinnützige Überbauung. Verstehen Sie diese Diskussionen auch als Baukultur?
Nein. Das ist in meinen Augen Politik. Baukultur war für mich das Mitwirkungsverfahren, das wir vorbildlich durchgeführt haben, eines der grössten in der Schweiz, um ein breit abgestütztes Projekt und einen ausgewogenen Nutzungsmix zu erarbeiten. Dass wir ausgerechnet da auf politischen Widerstand stossen, ist für mich schwierig nachzuvollziehen. Mais c’est le prix à payer: Die SBB und ihre Grundstücke gehören dem Bund. Dass wir exponiert sind, ist unser Alltag. Wir werden als ein öffentliches Unternehmen wahrgenommen, an das zu Recht hohe Ansprüche gestellt werden.
2018 schrieb Hochparterre, das Loch in der Pensionskasse sei in absehbarer Zeit gestopft, und forderte, die SBB solle bei der Rendite vom Gaspedal gehen und stärker Projekte von öffentlichem Interesse entwickeln. Wo steht die SBB heute?
Wir versuchen, stärker alle Rahmenbedingungen einer Entwicklung zu berücksichtigen. Das Ziel lautet nicht «weniger Rendite», sondern Qualität und Nutzerzufriedenheit. Beispielsweise durch mehr Aussenraum, günstigere Mieten und attraktive Erdgeschosse. Hohe Baukultur bedeutet einen Ort mit Identität zu schaffen, wo sich die Menschen wohlfühlen. Werden unsere Projekte genutzt, dann rentieren sie auch.
Das sind neue Töne, nachdem SBB Immobilien zu Beginn andere Ziele hatte.
Unsere Arbeit hat sich nuanciert, weil sich die Gesellschaft verändert hat. Die erste Projektentwicklung der SBB verlief vor 20 Jahren ohne Mitwirkung, das war damals kein Thema. Heute gehört es für uns dazu. Wir mussten als Unternehmen erst verstehen lernen, welche Chancen unsere Grundstücke bieten, welche Verantwortung wir damit für die Gesellschaft tragen und was wir damit für Stadtentwicklung und Städtebau bewirken können.
Beat Leuthardt vom Basler Mieterverband kritisiert in diesem Heft, es habe sich wenig am Verhalten der SBB geändert.
Die Projektentwicklung Volta auf dem Basler Areal Lysbüchel war politisch umstritten, das Volk hat sich aber für die Entwicklung des Areals entschieden. Ein Gebäude geben wir einer Baugenossenschaft im Baurecht ab. Deshalb erstaunt mich die Kritik. Ein zu hundert Prozent gemeinnütziges Quartier wäre für uns falsch, wir wollen durchmischt bauen. Und es bleibt dabei: Wir müssen eine Rendite erwirtschaften. So lautet der Auftrag des Bunds. Von unseren Erträgen profitiert das gesamte Bahnsystem der Schweiz und nicht nur jene, die in einem Quartier eine günstige Wohnung erhalten.
Wo berühren sich Projektentwicklung und Baukultur?
Projektentwicklung ist Baukultur von der ersten Idee bis zum fertigen Gebäude. Sie braucht motivierte Menschen, viele Diskussionen und Zeit. Jede Stufe des Prozesses ist wichtig. In wenigen Fällen wichen wir unter Druck unserer Partner, etwa eines Nachbars oder einer Stadt, davon ab, unsere Prozesse konsequent zu befolgen, und führten zum Beispiel eine Machbarkeitsstudie durch statt eines Studienauftrags. Aber das Vorgehen scheiterte. Wir wollten effizienter sein, aber wir haben Zeit verloren. Jetzt sind wir konsequent. Die Zeit ist der Preis für den Erfolg. Der Weg ist lang, jeder einzelne Schritt ist relevant, und trotzdem gibt es keine Erfolgsgarantie.
Wann wären Sie gescheitert?
Wenn ein Quartier leer bleibt. Wenn die Läden unattraktiv, die Büros schlecht gelegen sind, wenn es zu windig ist oder zu heiss. Wenn sich keine Menschen im Aussenraum aufhalten – kurz: wenn es nicht lebt. Meine grösste Sorge ist aber, dass wir heute nicht mutig genug sind und die zentralen, gut erschlossenen Lagen zu wenig verdichten, weil wir dem Widerstand oder der dafür nötigen Überzeugungsarbeit ausweichen. Wir haben eine Verantwortung für die Zukunft. Wenn wir sie nicht wahrnehmen, wird uns die nachfolgende Generation dafür kritisieren: Wie konntet ihr mitten in Zürich oder Genf nur so niedrig und derart wenig dicht bauen?
Wie würden Sie die Europaallee heute planen?
Die Europaallee entwickelte sich in den letzten Jahren zu einem lebendigen Stadtquartier und wird von den Zürcherinnen und Zürchern genutzt. Wäre heute Planungsstart, würde zuerst ein Mitwirkungsverfahren durchgeführt, um die Bevölkerung der umliegenden Quartiere einzubeziehen und ihre Ideen zu sammeln. Wir würden die Aussenräume mehr begrünen. Wahrscheinlich würden wir mehr Wohnraum schaffen, aber kein Stockwerkeigentum mehr. Zudem würden wir diskutieren, ob eine Genossenschaft Teile des Areals im Baurecht bebauen könnte.
«Nous sommes soumis à juste titre à des exigences élevées»
Si la planification de l’Europaallee de Zurich était lancée aujourd’hui, nous organiserions d’abord une procédure participative, affirme Susanne Zenker, responsable Développement CFF Immobilier. Ainsi, les CFF impliqueraient les habitants des quartiers voisins pour recueillir leurs idées. «Nous suivons des processus clairs. La procédure participative est suivie de l’étude urbanistique et du plan d’affectation spécial. Ce n’est qu’ensuite que nous parlons architecture, rédigeons le cahier des charges du concours. Grâce à toutes ces étapes d’un processus de longue haleine, nous affinons et stabilisons un projet.»
Comme les CFF aiment présenter leurs projets de développement comme «quartiers vivants et à usage mixte», la question de la contribution de l’entreprise elle-même se pose. «Par exemple, en nous adressant à un large public. Nous offrons un tiers des appartements de nos sites à des loyers avantageux», affirme Susanne Zenker. La limite est définie par le quantile de 50 % selon Wüest Partner. Deux tiers se basent sur les loyers du marché, la limite étant fixée par le quantile de 70 %. «Ainsi, nous arrivons à un standard moyen pour nos quartiers et essayons de trouver l’équilibre entre les usages qui génèrent du rendement et d’autres qui sont nécessaires pour le développement urbain, l’animation et l’atmosphère du quartier. Si nos projets sont utilisés, alors ils sont profitables.» Il est possible que CFF Immobilier ait par le passé trop privilégié une rentabilité élevée. Mais son orientation a évolué au gré des échanges avec la population et les autorités et au regard de l’évolution de la société. «Le but n’est pas moins de rendement, mais plus de qualité et de satisfaction des usagers. Par exemple, par plus d’espaces extérieurs, des loyers plus abordables et des rez-de-chaussée attractifs.» En revanche, un bâti à 100 % d’utilité publique serait une erreur pour les CFF: «Nous voulons construire de façon mixte. Et ce qui n’a pas changé, on doit obtenir des rendements. Tel est le mandat de la Confédération.»
Le développement d’un projet, de la première idée jusqu’au bâtiment fini, relève de la culture du bâti: voilà comment Susanne Zenker résume son travail. «Pour cela, il faut des personnes motivées, beaucoup de débats et de temps. Un long parcours où chaque étape est importante et néanmoins sans garantie de réussite.» Elle s’inquiète que les investisseurs immobiliers puissent manquer de courage pour des constructions plus denses dans les centres, trouvant les processus nécessaires à cet effet trop compliqués. «L’avenir est de notre responsabilité. Si nous ne l’assumons pas, la génération suivante nous le reprochera: comment avez-vous pu construire si bas et si peu dense en plein cœur de Zurich ou de Genève?»
Zur Person
Susanne Zenker (* 1970) leitet seit 2019 den Bereich Development und ist Mitglied der Geschäftsleitung von SBB Immobilien. Für das Unternehmen ist die Architektin EPFL seit 2013 tätig. Zuvor arbeitete sie als Architektin in London und Zürich sowie bei der Steiner AG in Zürich und Lausanne. Seit 2020 vertritt sie die SBB als Stiftungsrätin in der Stiftung Baukultur Schweiz.
Susanne Zenker (*1970) dirige l’unité Développement depuis 2019. Elle est membre de la direction de CFF Immobilier. Architecte diplômée (EPFL), elle travaille aux CFF depuis 2013. Auparavant, elle a exercé son métier d’architecte à Londres et à Zurich, puis chez Steiner SA à Zurich et à Lausanne. Depuis 2020, elle représente les CFF au Conseil de fondation de la Fondation Culture du bâti Suisse.