Auf dem Podium (von links): Moderator Urs Gredig, Katrin Gügler, Niklaus Haller, Stefan Cadosch, Benoît Revaz, Ingemar Vollenweider

Von der Giraffe in der Kirche

Der Konflikt zwischen der Ästhetik und der Energieeffizienz ist wohl so alt wie die erste Solarzelle. Lange Zeit waren die Fronten klar: Entweder ist ein Gebäude energieeffizient oder es ist gut gestaltet. Wie ist der Stand in dieser Diskussion heute?

Der Konflikt zwischen der Ästhetik und der Energieeffizienz ist wohl so alt wie die erste Solarzelle. Lange Zeit waren die Fronten klar: Entweder ist ein Gebäude energieeffizient oder es ist gut gestaltet. Beides ging irgendwie nicht. Anläufe, diesen Gegensatz zu überbrücken, gab es immer wieder. Auch Urs Gredig, der gestern Donnerstag im Rahmen des Swissbau Focus die Veranstaltung «Architektur zwischen Energieeffizienz und Ästhetik» moderierte, ist im Archiv auf eine Veranstaltung von 2011 gestossen.

Das Ja des Stimmvolkes zur Energiestrategie 2050 im letzten Jahr hat die Frage akzentuiert, denn die Ziele der Strategie sind im Gebäudebereich nur zu erreichen, wenn die Architekten ihre Gebäude entsprechend planen.

Zu Beginn stellte Benoît Revaz, Direktor des Bundesamts für Energie (BFE) die Basis und die Ziele der Energiestrategie vor, wurde dabei aber dem Titel seines Referats – „Chancen und Perspektiven im Gebäudebereich“ – nicht ganz gerecht. Es zeigte vor allem Zahlen und Diagramme und schliesslich die Vision des BFE, wie es denn dereinst sein wird. „Rosen“ heisst diese Vision in der Kurzform, wobei natürlich jeder Buchstabe für einen Aspekt steht, der in Zukunft erfüllt sein soll. Als Handreichung an die Architekten erwähnte Rivaz schliesslich die zahlreichen Labels, die den Planern den Weg zum energieeffizienten Bau weisen.

Vom Architektenhandwerk

Anschliessend stellte Ingemar Vollenweider von Jessenvollenweider Architektur das Projekt für den Neubau des Amts für Umwelt und Energie des Kantons Basel-Stadt vor. Zuvor schob Vollenweider jedoch geschickt eine Kurzpräsentation des Verwaltungszentrums in St. Gallen ein, ebenfalls ein Projekt des Büros und ebenfalls durchaus energieeffizient – ohne dies jedoch zu zelebrieren. Denn es kommt eben auf die Aufgabe, auf die Situation und alle anderen Umstände an. Mit dem Bild einer Giraffe in einer Kirche übte er subtile Kritik am Titel der Veranstaltung. «Architektur zwischen Energieeffizienz und Ästhetik», das klinge so, wie wenn das ein Gegensatz sei – eben gerade so, wie eine Giraffe in der Kirche, wo sie doch so gar nicht hingehört. Doch wenn man das Bild genau anschaue, so merke man doch plötzlich, dass diese Giraffe doch eigentlich ganz gut in die Kirche passe.

Anhand des Basler Amtshauses für Umwelt und Energie illustrierte der Architekt, wie er zusammen mit Planern aus unterschiedlichen Fachbereichen mit einer der zentralen Forderungen der Bauherrschaft umgeht, nämlich das Haus zu einem Musterbeispiel für energieeffizientes Bauen zu machen. Eines der Mittel dafür sind die Solarzellen, mit denen das Gebäude eingekleidet wird. Anders als bei anderen, gestalterisch oft abschreckenden «Musterbeispielen», sollen hier nicht einfach standardmässige Zellen zum Einsatz kommen, sondern extra für die Fassade massgeschneiderte Paneele. Und genau hier setzt die spannende Arbeit der Entwerfer ein: Entwicklung unterschiedlicher Lösungen und Details, Verifizierung in Modell und Bild und schliesslich die Überprüfung und weitere Ausarbeitung an Mustern aus echten Zellen. Kurz: Architektenhandwerk im traditionellen Sinn.

Podiumsgespräch

Ob sich denn seit 2011 etwas verändert habe, fragte Moderator Gredig am Anfang des folgenden Podiumsgesprächs. Niklaus Haller, Architekt und Bereichsleiter Solar der BS2 AG, stellt fest, dass langsam eine vertiefte Auseinandersetzung beginne. Aber es seien noch Wenige, die sich wirklich damit beschäftigten. SIA-Präsident Stefan Cadosch gab zu, dass die Berührungsängste noch vorhanden seien. Er wies aber auch darauf hin, dass die Planer an einem Gebäude 400'000 Gesetzesartikel einhalten müssten. Für jüngere Berufsleute sei die Energieeffizienz selbstverständlicher, sie seien mit dem Thema aufgewachsen.

Katrin Gügler, Direktorin des Amts für Städtebau der Stadt Zürich, muss dafür sorgen, dass der Ästhetik-Paragraf 238 eingehalten wird, der eine zumindest „befriedigende Einordnung“ verlangt. Und zwar befriedigend für die Öffentlichkeit, nicht für die Architekten. Da sei die Palette eben schon gross, konstatierte Gügler, meinte aber auch: «Die Stadt verträgt einiges».

BFE-Direktor Revaz beklagte, dass die Energieeffizienz oft zu spät in die Planung einbezogen werde. Dabei gebe es ja die Labels, die einen Rahmen bieten und eine Vereinfachung ermöglichen. Ingemar Vollenweider verwies auf die 400'000 Gesetzesartikel, die sich zum Teil sogar widersprechen: «Da geht viel unserer Kreativität rein!» Für ihn lautet eine der zentralen Fragen «Wie viel Technologie braucht ein Haus?» Mit Blick auf das Minergie-Label zweifelt er daran, dass die kontrollierte Lüftung zumindest bei Wohnhäusern, das richtige Rezept sei.

Niklaus Haller nahm diesen Faden auf. Niemand baue ein Haus, das extra viel Energie verbrauche. Wenn einem jedoch vorgeschrieben werde, wie man energieeffizient bauen müsse, hemme das die Kreativität. Wichtig sei doch das Ziel, und den richtigen Weg zu diesem Ziel zu finden, das müsse die Motivation für die Architekten sein.

Katrin Gügler rückte dann wieder den Blick aufs Ganze: Spannungsfelder gebe es beim Bauen en Masse, wichtig sei es deshalb, eine Ganzheit zu sehen. Ein Denkmalpflegeobjekt beispielsweise, so energieineffizient es nach den Normen auch sein mag, mache schon per se vieles richtig – einfach darum, weil es schon da steht und für den Bau keine graue Energie mehr benötige.

Baubranche und Innovation?

SIA-Präsident Stephan Cadosch gibt zu, dass die Baubranche nicht als die innovativste gilt. Das habe aber auch einen Vorteil: die Kontinuität. Dabei verweist er auf die Tradition des Handwerks, wie es sie in der Schweiz – im Gegensatz etwa zu den USA – noch immer gibt. Das sei ein positiver Aspekt der Trägheit.

Ingemar Vollenweider sieht die Tendenz, dass die Technologisierung der Architektur, auch mit BIM, zu einer Standardisierung führen werde und befürchtet daher eine Schwächung des traditionellen Handwerks. Dabei lebe doch das Architekturland Schweiz ganz wesentlich von der Zusammenarbeit zwischen Architekten und Handwerkern. Was tun? Da macht sich bei Vollenweider eine gewisse Ratlosigkeit breit.

In der Schlussrunde kommt Niklaus Haller nochmals auf den Titel der Veranstaltung zu sprechen, «Architektur zwischen Energieeffizienz und Ästhetik»: Da werde doch «zwischen» als «versus» verstanden. «Das geht heute gar nicht mehr», ist er überzeugt. Er sagt aber auch, dass die Energiekennzahlen in der Diskussion nicht immer im Vordergrund stehen sollten. Viel wichtiger sei es, dass man – und insbesondere die junge Generation – eine Haltung entwickle.

Fazit

Ein Patentrezept für eine energieeffiziente Ästhetik oder – je nach Präferenz – eine ästhetische Energieeffizienz konnte die Veranstaltung nicht geben. Das war ja auch nicht zu erwarten. Nach wie vor gibt es den Gegensatz, der aber zu einem grossen Teil eine Folge der unterschiedlichen Welten ist, in denen die verschiedenen Beteiligten leben. Dass man energieeffiziente und gut gestaltete Gebäude machen kann, ist heute nicht mehr die Frage. Der Architekt muss nur wollen. Aber er muss auch können. Doch das gilt bekanntlich nicht nur für die Energieeffizienz.

Wie das geht, zeigt übrigens «Solaris #1», das erste Heft einer neuen Schriftenreihe von Hochparterre.

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Kommentare

Helmut Krapmeier 19.01.2018 19:01
die Diskutierenden waren weder mutig noch konsequent in ihren Aussagen. Wenn Herr Haller z.B. sagt es sei wichtiger "eine Haltung zu entwickeln als Energiekennzahlen in den Vordergrund zu stellen" sollte er ergänzen, wie dann die Schweiz in Zukunft ohne Kohle, Öl, Gas und Atomstrom leben soll. Das ist wie die Lippenbekenntnisse vieler Unternehmer und Personen zur "Nachhaltigkeit". Jedenfalls zeigen messtechnische Untersuchungen, dass Zielwerte bei qualitätsgesicherter Planung und Ausführung erreicht werden. Der österreichische "Staatspreis für Architektur und Nachhaltigkeit" beruht sowohl auf Zahlen, Daten und Fakten, aber auch auf einer Beurteilung der Ästhetik. Und zwar gleichberechtigt. Ein Vetorecht auf beiden Seiten der doppelt besetzten Jury bewirkt, dass nur dann ein Staatspreis vergeben werden kann, wenn beide Aspekte voll und ganz erfüllt sind. So sollte Architektur sein: nachhaltig/energieeffizient/solar/ökologisch UND ästhetisch, schön. Mit sonnigem Gruß vom Nachbarland. www.tri-info.com
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