«Solothurn ist ein Kanton der Regionen»

Mit der Entwicklung der Industriebrachen kann der Kanton das Wachstum dorthin lenken, wo es erwünscht ist. Wichtig ist auch das Zusammenspiel mit privaten Investoren.

Fotos: Alexander Jaquement
In Zusammenarbeit mit dem Hochbauamt Kanton Solothurn

Mit der Entwicklung der Industriebrachen kann der Kanton das Wachstum dorthin lenken, wo es erwünscht ist. Wichtig ist auch das Zusammenspiel mit privaten Investoren.

Stellen Sie sich vor, Sie müssten an der grossen Immobilienmesse in Cannes für den Kanton Solothurn werben. Wie würden Sie den Standort anpreisen?

Roland Fürst: Ich würde zuerst auf seine starke Industrialisierung hinweisen: Jeder dritte Arbeitsplatz ist in der Industrie angesiedelt. Interessant ist auch die internationale Ausrichtung vieler in Solothurn ansässiger Unternehmen. Als Drittes würde ich den Schwerpunkt Medizinaltechnik ins Feld führen – mehr als zehn Prozent aller Medizinaltechnikstellen der Schweiz befinden sich im Kanton Solothurn.

Guido Keune: Ich würde auf den Wasserreichtum, die schöne Landschaft am Jurafuss, die zentrale Lage in der Mitte der Schweiz und die Versorgungssicherheit, aber auch auf die partnerschaftliche Zusammenarbeit von Behörden und Privaten, das Potenzial an Arbeitskräften und die Lebensqualität hinweisen.

Wir haben in den vergangenen Jahren zu wenig gegen die Zersiedelung getan, gibt Regierungsrat Roland Fürst im Gespräch zu.

Die Zersiedelung und die flächenintensiven Nutzungen der Logistikbetriebe rund ums Autobahnkreuz setzen der von Ihnen gerühmtenSolothurner Landschaft zu. Ist sie nicht bedroht?

Roland Fürst:  Wir haben in den vergangenen Jahren effektiv zu wenig gegen die Zersiedelung getan. Aber dies ist kein Solothurner Phänomen, sondern ein gesamtschweizerisches Problem. Ich bin froh, dass nun das neue Raumplanungsgesetz die Einzonungsdynamik in den Gemeinden zügelt. Doch die Zersiedelung stellt die Solothurner Landschaft nicht grundsätzlich infrage: Die Ausläufer des Juras werden durch eine Juraschutzzone quasi vor Neubauten geschützt – sie sind und bleiben unser ‹Naturreservat›. Um die Logistikbetriebe zu konzentrieren, wollen wir rund ums Autobahnkreuz spezielle Flächen ausscheiden. Für die Testplanung ‹All-Gäu› haben wir Gemeinden rund um das Gebiet Gäu und drei Planungsteams versammelt. Diese Projektgruppe denkt auch über eine Verbindung von Logistik und Landwirtschaft nach. Es gibt sogar Ideen, landwirtschaftliche und Logistikflächen übereinanderzustapeln, um den Fussabdruck zu minimieren.

Guido Keune: Tatsächlich ist bei uns der Verdichtungsdruck noch nicht so hoch wie in urbanen Gebieten. Gerade deshalb sehe ich unsere ‹ländlichen› Industriebrachen als grosse Chance im Kampf gegen die Zersiedelung. Sie erlauben uns, das Wachstum dorthin zu lenken. Wir versuchen, diese Innenentwicklung aktiv mitzugestalten, etwa indem wir Arealbesitzerinnen und -entwicklern fähige Leute aus der Raum- und Verkehrsplanung beiseitestellen oder auch mal eigenhändig entwickeln.

Die grösste dieser Brachen war und ist das Attisholz-Areal. Der Kanton konnte mit der Ansiedelung einer Produktionsanlage von Biogen auf dem Areal einen grossen Erfolg verbuchen. Wie kam es dazu?

Roland Fürst: Weil wir mitreden wollten, was nach der Stilllegung der Cellulosefabrik passiert, haben wir uns 2008 entschieden, 48 des 110 Hektar grossen Areals zu kaufen. Wir haben die Risiken sorgfältig abgeschätzt. Trotzdem war der Kauf politisch heftig umstritten. Wir sahen aber auch die Chancen. 2010 zeigte eine Testplanung auf, was man mit dem Areal machen kann. Dabei haben sich alle Beteiligten und die Interessenvertreter auf die wesentlichen Inhalte und Zielsetzungen geeinigt. Danach haben wir die eigentliche Entwicklerarbeit geleistet: Wir haben für unseren Teil, gestützt auf ein Richtprojekt, eine Nutzungsplanung entworfen, bestehend aus einem Bauzonenplan, einem Erschliessungs- sowie einem Gestaltungsplan mit Sonderbauvorschriften. Als die ersten Anfragen kamen, konnten wir schneller agieren als die Konkurrenz. Die Rechnung ging auf: Letztlich konnten wir das Land 2015 zu einem Preis verkaufen, der auch unsere Vorinvestitionen wieder wettmachte.

Guido Keune: Die wichtigste Voraussetzung für diesen Deal war: Der Regierungsrat des Kantons Solothurn kann Anlagen und Bauten in unbeschränkter Höhe erwerben und ins Finanzvermögen integrieren. Dabei handelt es sich finanzrechtlich gesehen nicht um eine Ausgabe, sondern um eine Anlage. Der Kanton kann also quasi über Nacht handeln. Die Liegenschaften im Finanzvermögen dienen aber nicht unmittelbar einem Verwaltungszweck. Sie sollen langfristig zum Gedeihen des Wirtschaftsstandorts beitragen und beim Verkauf marktübliche Erträge erwirtschaften. In kleinerem Massstab haben wir diese Vorgehensweise beim ehemaligen Gefängnisareal neben dem Solothurner Bürgerspital wiederholt. Wir haben es entwickelt und dann an die Axa verkauft. Die Nähe zum Spital hat dazu geführt, dass die 160 Wohnungen in kürzester Zeit vermietet waren.

Kantonsbaumeister Guido Keune sieht die ‹ländlichen› Industriebrachen als grosse Chance im Kampf gegen die Zersiedelung.

Wieso haben Sie beim Attisholz nur das Südareal gekauft und entwickelt?

Guido Keune: Der Kanton konzentriert sich bei seinen Akquisitionen auf grössere, topografisch unproblematische Grundstücke. Sie sind für die Ansiedelung von Unternehmen besser geeignet. Die erfolgreiche Ansiedelung des Unternehmens Biogen hat dann dazu beigetragen, dass Halter 2016 das noch viel grössere Nordareal gekauft hat. Dort sind mehr als tausend Wohneinheiten geplant. Wir rechnen mit rund 1400 neuen Bewohnern oder vielmehr Steuerzahlerinnen.

Es gibt aber auch Brachen im Finanzvermögen des Kantons, auf die keine Käufer warten. Welche Areale sind die Ladenhüter?

Guido Keune: Sie befinden sich vor allem im Juraschutzgebiet: beispielsweise die ehemalige Höhenklinik Allerheiligenberg oberhalb von Hägendorf oder die Psychiatrische Klinik Fridau in Egerkingen. Für mich ist es allerdings eher eine Frage der Zeit, bis sich ein Käufer findet. Besonders anspruchsvoll in ihrer Entwicklung sind auch die Klöster, die mitten in der Stadt Solothurn liegen. Eines davon ist das ehemalige Kapuzinerkloster, das sich im Kantonseigentum befindet. Dank einer quartierverträglichen Zwischennutzung ist der Entwicklungs- und Handlungsdruck dort aber noch nicht so gross.

Decken sich die Vorstellungen privater Entwickler wie Halter, Hiag oder Axa bezüglich Stadt und Wohnquartieren mit jenen des Kantons?

Guido Keune: Sehr oft. Auch wir fördern gemischt genutzte Quartiere. Auf dem Papieri-Areal in Biberist, dem Metalli-Areal in Dornach oder eben dem Attisholz soll gelebt, gewohnt und gearbeitet werden. Die Menschen sollen dort auch einen Teil ihrer Freizeit verbringen. Der Kanton ist an diesem Nutzungsmix interessiert, auch weil er kurze Wege mit sich bringt, die wiederum den motorisierten Individualverkehr reduzieren. Schon vor mehr als hundert Jahren fragten sich Firmen wie Bally oder Brown Boveri bei der Planung ihrer Fabrikareale: Wo kann man gleichzeitig arbeiten, wohnen und seine Freizeit verbringen?

Roland Fürst: Gegen den Bau von Büros spricht die Zunahme von frei werdenden Büroflächen. Insbesondere in den drei Städten Grenchen, Solothurn und Olten gibt es momentan ausreichend verfügbare Büros. Eine wichtige Rolle spielt bei allen Arealen auch der Anschluss an den Verkehr. Attisholz Nord etwa ist zurzeit noch ungenügend an den öffentlichen Verkehr angeschlossen. Das Mobilitätskonzept setzt auf viel öffentlichen Verkehr und wenig motorisierten Individualverkehr, denn es wird nicht genügend Parkplätze auf dem Areal geben. Menschen, die auf dem Areal wohnen und arbeiten wollen, sind deshalb für Halter und den Kanton interessant.

Wo liegen die Risiken des Kantons bei der Zusammenarbeit mit privaten Investorinnen und Entwicklern?

Guido Keune: Unter anderem in den komplexen Vertragswerken. Es ist wichtig, nicht nur die Erfolgs-, sondern auch die Misserfolgsszenarien zu skizzieren und diese vertraglich festzuhalten. Wir verkaufen Grundstücke nicht ohne entsprechende Auflagen. Wir bedingen uns zum Beispiel ein Rückkaufsrecht aus, für den Fall, dass der Investor die versprochenen Investitionen, die Qualität oder die Arbeitsplätze nicht wie vertraglich vereinbart umsetzt. Deshalb ist es wichtig, vorher zu definieren: Wie wird ein Vertrag wieder aufgelöst, welche Penaltys kommen in welchen Fällen bei wem zum Tragen? Dabei darf das Vertragskorsett nicht zu eng, aber auch nicht zu locker gebunden werden. Da braucht es Erfahrung und Spezialistenwissen. Einiges davon konnten wir uns mit der Entwicklung des Attisholz-Areals aneignen. Es braucht aber auch Sitzleder: Nicht jedes Projekt, das nicht gleich von Anfang an fliegt, ist eines, das nie zum Fliegen kommt.

Bis anhin haben wir nur über das ebene Vorderland am Südfuss des Juras gesprochen. Was passiert auf der Nordseite der Hügelkette?

Roland Fürst: Das Gebiet auf der anderen Seite des Bergs ist für uns keineswegs Hinterland. Wichtigstes Entwicklungsgebiet auf dieser Seite ist das Wydeneck-Quartier. Ursprünglich war angedacht, es weiterhin industriell zu nutzen. Nun will die Hiag auf dem ehemaligen Metalli-Areal hochwertiges Wohnen anbieten. Aufgrund dieser Nutzungsänderung soll auf den Bau einer geplanten Brücke über den Birsbogen verzichtet werden und ein alternativer, das Naherholungsgebiet weniger störender Anschluss des Dornacher Industrie- und Gewerbegebiets an die A 18 gesucht werden. Kurz: Wir versuchen so weit als möglich, auf diese neuen Bedürfnisse einzugehen.

Der Kanton grenzt an vier andere Kantone an.Wie läuft der interkantonale Austausch?

Roland Fürst: Solothurn ist ein Kanton der Regionen. Deshalb müssen wir mehr als andere Kantone mit unseren Nachbarskantonen zusammenarbeiten. Derzeit laufen vier kantonsübergreifende Agglomerationsprogramme: Metropolitanraum Basel, Aareland, Solothurn und Grenchen. Das zentrale Steuerungselement ist und bleibt aber der Richtplan. Seine Hauptaufgabe ist es, raumwirksame Tätigkeiten aller staatlichen Ebenen im Hinblick auf die angestrebte Entwicklung abzustimmen. Er definiert die Wiederverwendung von nicht mehr genutzten Betriebsstandorten als prioritäre Aufgabe. Auf Gemeindeebene laufen die Fäden in den Bereichen Siedlung, Raum, Landschaft, Mobilität sowie Kultur und Freizeit bei der Regionalplanungsgruppe Espace Solothurn zusammen.

Guido Keune: Die vielarmige Form der Kantonsgrenze und das Mehr an Zusammenarbeit, das sie mit sich bringt, regt meine Fantasie viel mehr an, als dass sie mich begrenzt. So ist es auch mit den Entwicklungsarealen: Wir müssen uns nach ihrer eigenen Geometrie beziehungsweise nach ihren eigenen Bedürfnissen richten.

Guido Keune ist seit 2019 Kantonsbaumeister. Der Architekt ist seit 2004 im Hochbauamt des Kantons Solothurn tätig.

Roland Fürst ist Vorsteher des Bau- und Justizdepartements des Kantons Solothurn und seit 2013 im Regierungsrat. Der studierte Biologe trat 2021 aus der Solothurner Regierung aus.

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