Eine Arbeitsgruppe präsentiert ein Projekt zur Umgestaltung der Pfingstweidstrasse. Aus dem ehemaligen Autobahnzubringer soll ein 800 Meter langer grüner Hain werden. Lesen Sie hier die Forderungen.
In der Stadt Zürich liegt ein Stück nicht mehr gebrauchte Autobahn. Sieben Gründe, weshalb aus der Pfingstweidstrasse der Pfingsthain werden soll.
1: Die nicht mehr gebrauchte Autobahn
Die Pfingstweide war einst eine Wiese vor der Stadt, auf die die Bauern und Bäuerinnen nach dem langen Winter, am Tag nach Pfingsten, ihre Kühe, Schafe und Schweine trieben. Irgendwann wurde aus der Weide Industrieland und aus dem Pfad eine Strasse. Ab den 1950er-Jahren arbeiteten die Verkehrsplaner daran, die wichtigsten Autobahnen des Landes nach Zürich zu führen. Es entstand die Idee, die Autobahn als «Expressstrassen-Ypsilon» beim Zürcher Letten in einem riesigen Bauwerk zusammenzuführen. Auch die Pfingstweidstrasse wurde Teil davon. Heute ist sie als «Nationalstrasse dritter Klasse» ein Relikt dieses gescheiterten Traums. Denn Stadt-, Kantons- und Landesregierung haben das Ypsilon nach jahrzehntelangem Widerstand begraben. Die vierspurige Pfingstweidstrasse ist eine zu gross geratene Einfallsachse in die Stadt. Jetzt braucht sie als zweispurige Strasse eine neue Aufgabe.
2: Jedem, was er gut kann
Die Schweizerische Eidgenossenschaft, vertreten durch das Amt für Strassen (Astra), ist die Besitzerin der Pfingstweidstrasse. Sie soll die Weisheit des arbeitsteiligen Staates leben. So wie der Bundesrat und seine Beamten nicht dafür zuständig sind, Spitäler, Kindergärten, Polizei oder die Abfallentsorgung einer Stadt zu organisieren – und zu bezahlen, so sind sie nicht dafür begabt, ein Stück Stadtstrasse zu gestalten und zu unterhalten. Der schnelle, breite Kanal ist für ein Verkehrsaufkommen gerüstet, das nicht existiert. Darum ist es an der Zeit, jeder Staatsebene in gut eidgenössischer, subsidiärer Art die Aufgabe zu geben, die sie am besten erfüllen kann. Und damit der Stadt Zürich das Regime über die Pfingstweidstrasse, damit sie da einen Strassen- zum Stadtraum gestalte.
3: Barriere brechen
In Zürich West wächst die Zahl der Personen, die hier arbeiten, ihre Freizeit verbringen und wohnen kontinuierlich. Sie spazieren ins Büro, besuchen Bekannte, schreiten zur Tanzhalle und ins Theater. Die Pfingstweidstrasse ist als «Nationalstrasse dritter Klasse» ein Kanal mit strenger Hierarchie: Auto, Tram, Velo, Fussverkehr. Zwischen Toni-Hochhaus und Hardbrücke ist sie eine schwer zu überquerende Barriere, ausserdem ist sie abweisend, unwirtlich und bedrohlich. Es ist ökonomisch, kulturell und sozial nötig, diese Barriere so umzubauen, dass die Strasse den werdenden Stadtteil Zürich West stützt, fördert und mitgestaltet – und ihn nicht bremst und würgt.
4: Neue Verteilungen
Vor ein paar Jahren erhielt die Pfingstweidstrasse ein Trassee, auf dem das Tram rasant fährt. Auf der neu zu ordnenden Pfingstweidstrasse als Stadtstrasse werden Aufgaben, Funktionen und Bewegungsformen neu verteilt. Die Strasse wird um zwei Spuren reduziert. Der Fussverkehr und der Freiraum erhalten mehr Beachtung. Auch die Hierarchie des Tempos wird neu bestimmt – aus der Dominanz von Auto und Tram entsteht ein Miteinander. Ihre Geschwindigkeit wird nicht wie die des Fussverkehrs, aber gleicht sich an. Die Regimes dafür heissen Tempo 30 und Begegnungszone – für das Auto und das Tram. Sie sind erprobt, bewährt und stadtverträglich. Sie tragen wesentlich dazu bei, dass der Lärm reduziert wird. Die Neuverteilung von Raum und Tempo hilft der nicht mehr gebrauchten Autobahn dabei, zu einem Boulevard zu werden wie in Paris, Barcelona oder Kopenhagen – schön, gemütlich, urban.
5: Der Pfingsthain
Damit aus der Pfingstweidstrasse Stadtraum entstehen kann, wird ein Drittel des Strassenraums Freiraum. Erste Bäume entlang der Strasse zeigen, dass das gelingen wird. Viele neue Bäume kommen dazu. Der Pfingsthain wächst heran. Der hart versiegelte Boden wird aufgebrochen und als Untergrund für die grün-blaue Stadt eingerichtet. In ihn kann das Wasser versickern, auf ihm entsteht Lebensraum für den Pfingsthain, der sich als breites grünes Band von der Hardbrücke zum Toni-Hochhaus zieht. Der Pfingsthain ist eine Landschaft mit Bäumen, Sträuchern und Büschen, die unter der Oberfläche Platz finden, im mit Leitungen dicht besetzten Raum. Und je nach Ort werden Pergolas eingerichtet, umrankt von Pflanzen, deren Wurzeln im von Infrastrukturen gut besetzten Erdreich ankern können. Die Pergolas werden auch Orte für Kleingewerbe, Läden und Werkstätten. Der Pfingsthain ist aber auch schön und schön robust: Ein vielseitig nutzbarer Stadtraum für die Anwohnerinnen und Gäste. Auch die Autos und die Trams fahren daran entlang. Sie werden Teil der neuen Landschaft, aber sie dominieren sie nicht mehr wie seinerzeit die «Nationalstrasse dritter Klasse».
6: Das Vorbild
«Ich wollte ganz nach draussen gehen und einen symbolischen Beginn machen für ein Unternehmen, das Leben der Menschheit zu regenerieren innerhalb des Körpers der menschlichen Gesellschaft und um eine positive Zukunft in diesem Zusammenhang vorzubereiten.» So erklärte der Künstler Joseph Beuys sein Kunststück. 1982 hat er in der Stadt Kassel 7000 Eichen setzen lassen. Das Vorhaben hat er mit Stadtbewohnerinnen und Gästen entwickelt, es gegen Widerstände der ‹Gehtnichte› durchgesetzt und dank Beteiligung vieler finanziert. Der prägende Teil der neuen Stadtstrasse steht in der Tradition von Beuys’ wegweisendem Landschaftskunstwerk. Der Pfingsthain wird Symbol für die lebensfrohe und mutige Stadt. Er wird vielfältig brauchbarer Raum und trägt mit seiner dichten Baumkronenlandschaft substanziell zum erklärten Ziel der Stadt Zürich bei, sich mit Bäumen gegen die Folgen der Klimaerwärmung zu wappnen.
7: Stadt heisst wohnen
Die Arbeitsgruppe ‹Josef will wohnen› siehe ‹Josef will wohnen›, Themenheft von Hochparterre, Oktober 2023 zeigte auf, wie auf dem Josef-Areal, entlang der Pfingstweidstrasse, vielfältige Wohnungen für 700 Menschen entstehen können. Vorhaben für mehr und besseres Wohnen harzen an der Garstigkeit der Strassenräume. Je langsamer gefahren wird, desto sicherer ist der Strassenraum und desto geringer der Lärm. Je mehr Strassen auch zu Frei-, Bewegungs- und Aufenthaltsräumen werden, umso eher gedeihen Wohnungen. Liegt der Wohnanteil eines Tages statt bei den aktuell 12 Prozent bei 30 Prozent, wird Zürich West als Wohnstadt aufleben. Der Pfingsthain – das grüne Band zwischen Hardbrücke und Toni-Areal – kann das Seine dazu beitragen. ●
Zum «Pfingsthain für Zürich West» ist ein gleichnamiges Themenheft von Hochparterre erschienen. Es kann hier bestellt und hier bequem als E-Paper gelesen werden.
Am Freitag, 21. Juni, lädt Hochparterre zur Heftvernissage mit Podiumsdiskussion.
Der Anlass findet um 19.00 Uhr im Kulturpark in Zürich West statt.
Was ist die Arbeitsgruppe Pfingsthain?
Die Arbeitsgruppe Pfingsthain wurde von der IG Zentrum Hardbrücke (IGZH) ins Leben gerufen, einem Zusammenschluss von Fachleuten aus Stadtplanung, Architektur, Soziologie, Verkehrsplanung, Kultur, Gastronomie, Politik und Verwaltung.
Hinter der IGZH steht die Zürcher Hamasil Stiftung, die sich seit ihrer Gründung 1988 für eine nachhaltige Entwicklung von Zürich West einsetzt. Sie ist auch Betreiberin der Wohn- und Gewerbeüberbauung Kulturpark an der Pfingstweidstrasse.
www.zentrum-hardbruecke.ch
Die Arbeitsgruppe Pfingsthain besteht aus folgenden Mitgliedern:
– Martin Hofer, Architekt und Immobilienexperte, Gockhausen (Leitung)
– Köbi Gantenbein, Soziologe, Fläsch (Leitung)
– Katharina Thalmann, Landschaftsarchitektin, BÖE Studio, Zürich
– Stefan Rotzler, Landschaftsarchitekt, Gockhausen
– Wolfgang Rossbauer, Architekt, Zürich
– Lukas Fischer, Verkehrsplaner, Metron, Brugg
– Thomas Schweizer, Verkehrsplaner, Hedingen
– Alain Thierstein, Professor für Raumentwicklung, München / Zürich
– Markus Koschenz, Aussenraumklimatik, HSLU Luzern