Die Schweizer Delegation beim Podium zum preisgünstigen Wohnungsbau: Andreas Hofer (Referent) mit Łukasz Pietrzak und Werner Huber (Moderatoren). Fotos: Rafał Kłos

Urban Laboratory in Warschau

Der öffentliche Raum, der Architekturwettbewerb, der preisgünstige Wohnungsbau und die Energieeffizienz – das waren Themen der ersten polnisch-schweizerischen Stadtwerkstatt in Warschau. Werner Hubers Tagebuch.

Der öffentliche Raum, der Architekturwettbewerb, der preisgünstige Wohnungsbau und die Energieeffizienz – das waren die vier Themen des «Urban Laboratory», der ersten polnisch-schweizerischen Stadtwerkstatt in Warschau. Jede der vier Veranstaltungen ging vor weitgehend gefüllten Rängen über die Bühne im Saal des polnischen Architektenverbandes SARP; rund 300 Personen nahmen an jedem Panel teil.

Aus der Schweiz reiste neben den vier Referenten und den beiden Organisatoren eine Gruppe von rund einem Dutzend Architekten, Planerinnen und Architekturinteressierten an. Für sie ergänzte ein Besichtigungsprogramm die abendlichen und nachmittäglichen Diskussionsrunden.

Impressionen liefert unsere Bildergalerie.

Donnerstag, 11. April

Nach der Anreise traf sich die Schweizer Delegation am Nachmittag zu einem ersten Stadtrundgang durch die südliche Innenstadt, wo die unterschiedlichen Massstäbe und Typologien gut zu erkennen sind. Zum Zvieri waren wir zu Gast bei Botschafter Lukas Beglinger und seiner Frau Barbara Beglinger, die uns in die polnischen Eigenheiten aus diplomatischer Sicht einführten.

Um 18 Uhr eröffneten die drei Veranstalter die Konferenz: Für SARP sprachen die Vorsitzenden Mariusz Ścisło (nationaler Verband) und Marcin Mostafa (Warschauer Sektion), für Hochparterre Redaktor Werner Huber und für die Schweizerische Botschaft Lukas Beglinger. Und auch die Republik Polen war im Begrüssungsreigen prominent vertreten: mit Minister Olgierd Dziekoński von der Kanzlei des Staatspräsidenten.

Anschliessend traf sich die erste Runde zum Gespräch. Stephan Herde (Rotzler Krebs Partner Landschaftsarchitekten) und der Warschauer Architekt Krzysztof Domaradzki führten in einer Präsentation in ihr Schaffen ein. Unter der eloquenten Leitung von Bogna Świątkowska debattierten die beiden Referenten und vor allem das Publikum im Saal über das Thema. Doch es war schliesslich nicht der öffentliche Raum, der den Saal in Schwung brachte, sondern die mehrmals gestellte Frage nach einer partizipativen Planung.

Den würdigen Abschluss dieses «offiziellen» Tages bildete der von der Botschaft offerierte Networking Cocktail, an dem zahlreiche Visitenkarten ausgetauscht wurden.

Freitag, 12. April

An diesem Morgen fuhr die Gruppe zuerst nach Ursynów, ein Wohnquartier aus den Siebzigerjahren im Süden der Stadt. Hier erhielten die Schweizer eine Einführung in die Eigenheiten des polnischen Wohnungsmarktes «gestern und heute». Ein Treffen mit zwei Vizedekanen der Architekturabteilung des Warschauer Polytechnikums zeigte uns über Mittag die grosse Diskrepanz zwischen den Hoffnungen und Erwartungen der jungen Berufsleute und der schulischen Realität, die offenbar den Anschluss an die heutige Zeit nicht gefunden hat. Beim anschliessenden Stadtrundgang stand das eher touristische Warschau im Zentrum der Aufmerksamkeit: die nach dem Krieg wieder aufgebauten oder sanierten historischen Teile im Zentrum.

Doch schon um 18 Uhr stand das zweite Podium zum Thema Architekturwettbewerb auf dem Programm. Der Winterthurer Stadtbaumeister Michael Hauser erläuterte das schweizerische Wettbewerbswesen mit seiner langjährigen Tradition. An Stelle des eingeplanten früheren Chefarchitekten von Warschau, Michał Borowski, konnte Wojciech Kaczura praktisch über Nacht einspringen. Er stellte seine Wettbewerbserfahrungen vor und blickte – offensichtlich mit Wehmut – auf seine Zeit in der Schweiz zurück, wo er studierte und mit Mario Botta und Aurelio Galfetti zu tun hatte. Als Moderator war Dariusz Hyc engagiert, ein Mitglied des SARP, der selbst auch einiges zu sagen hatte. Das Gespräch unter den Experten und mit dem Publikum drehte sich dann vor allem um Gesetze, Reglemente und Verordnungen und weniger um das grundsätzliche Bekenntnis zum Architekturwettbewerb, wie es von der behördlichen Seite nötig wäre.

Das anschliessende Essen mit den Organisatoren und der Schweizer Gruppe bildete für viele den Auftakt zu einer langen Nacht.

Samstag, 13. April

Erstmals schien nun die Sonne, was die ideale Voraussetzung war, um von der Terrasse des Kulturpalastes die Stadt zu betrachten. Doch vorher standen der kürzlich sanierte Zentralbahnhof und die vergeblichen Planungen für das Gebiet um den Palast im Fokus.

Bereits um 14 Uhr stand das erste Panel auf dem Programm. Das Thema: preisgünstiger Wohnungsbau. Architekt Andreas Hofer vom Büro Archipel stellte das System des gemeinnützigen Wohnungsbaus in Zürich vor. Dieser spielte im Referat von Jaceck Bielecki, dem Präsidenten der polnischen Immobilienentwickler, keine Rolle. Er plädierte zwar für den Ausbau des praktisch inexistenten Mietwohnungsbaus. Dieser sollte aber ausschliesslich auf privater Basis realisiert werden. Der Architekt Maciej Miłobędzki zeigte Beispiele aus seiner Praxis. Er meinte, dass sich die Warschauer Stadtbehörden nicht durch grosse planerische Entscheidungsfreudigkeit auszeichneten. Zu den drei Referenten gesellte sich mit Łukasz Pietrzak und Werner Huber ein Moderationsduo, das durch die knappe Zeit führte. Am Anfang der Diskussion stand ein Zitat von Teodor Toeplitz, der 1937 in Warschau den ersten Wohnkongress durchgeführt hatte und die damalige Wohnsituation und den Mangel an erschwinglichem Wohnraum schilderte. 85 Jahre später hat sich daran nichts geändert. In der Diskussion zeigte sich, dass vor allem die ältere, vom Kommunismus geprägte Generation, gemeinnützigen Modellen ablehnend gegenüber steht, während das jüngere Publikum durchaus daran interessiert ist.

Gleich anschliessend ging das vierte und letzte Panel über die Bühne: Energieeffizientes Bauen. Peter Schürch (Halle 58 Architekten und Berner Fachhochschule BFH-AHB) zeigte Beispiele aus seiner Praxis als Architekt, als Professor und Experte. Dariusz Śmiechowski behandelte das Thema eher auf einer allgemeineren, bisweilen philosophischen Ebene. Moderator Stephan Mäder, Leiter des Departements Architektur, Gestaltung, Bauingenieurwesen der ZHAW versuchte, die beiden Sphären zusammenzubringen. Gestreift wurde schliesslich auch der wichtige Aspekt der Mobilität: Was nützt es, energieeffiziente Gebäude zu bauen, wenn diese die Landschaft zersiedeln und enormen Verkehr produzieren – in Warschau vor allem Autoverkehr. 

Ein Aperitif in einer Bar markierte den Schlusspunkt des Urban Laboratory und den Anfang einer langen Nacht.

Sonntag, 14. April

So verwundert es nicht, dass die Gruppe, die sich am Sonntag Morgen traf, etwas dezimiert unterwegs war. Die, die dabei waren, erlebten unter der Führung von Grzegorz Piątek eine weitere spannende Facette Warschaus: das Quartier Saska Kępa jenseits der Weichsel, in dem zahlreiche Perlen der Moderne der Zwanziger- und Dreissigerjahre stehen. Schon um 15 Uhr wartete am Hotel der Bus zum Flughafen und bald war das Warschau-Abenteuer definitiv zu Ende.

Nun werden die Veranstalter Bilanz ziehen und sich – hoffentlich – bald an die Vorbereitung einer weiteren Ausgabe des Urban Laboratory machen.

 

Urban Laboratory

1. Polnisch-Schweizerische Stadtwerkstatt, Warschau, 11. bis 14. April 2013

– Organisation: Schweizerische Botschaft in Warschau (Miguel Perez, Initiator); Polnischer Architektenverband SARP, Warschauer Sektion (Maciej Kowalczyk, Jan Sukiennik). Hochparterre (Werner Huber, Łukasz Pietrzak)

– Produktion: Black Salt Production (Joanna Trytek)

– Sponsoren: Ricoh (Hauptsponsor), Schindler

– Links: Website Urban Laboratory, Facebook SARP Warschau

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Kommentare

Michael Hauser 16.04.2013 09:13
Lieber Werner Lieber Werner, vielen Dank! Die Reise war zusammen mit der Schweizer Botschaft und SARP perfekt organisiert. Unglaublich, wie schnell sich man so ohne Vorwissen ein Bild vom örtlichen Geschehen machen kann. Dein Bericht ist eine ausgezeichnete Zusammenfassung. Ich hatte den Eindruck, dass sich die „Szene“ in Warschau im Umbruch befindet. Die junge Generation ist nichtmehr bereit, den (durchaus verständlichen) nachkommunistischen Neoliberalismus mit zu tragen und verlangt Qualität und auch Gestaltungswille des Staates. Aufhorchen lassen hat mich die Aussage, wonach nach der Wende der ganze Boden staatliches Eigentum war. Gerade hier hätte der Hebel angesetzt werden können. Ich habe auch das Gefühl, das das patriarchal-technokratisches Planungsdenken nichtmehr auf offene Ohren stösst und von der jüngeren Generation nun verlangt wird, dass sich nach dem Wirtschaftssystem auch die Denk- und Planungskultur ändern muss. So wurden in der Diskussion ja auch immer wieder nach partizipativen Ansätzen im Rahmen der aktuellen europäischen Diskussion um Städtebau und Architektur gefragt. Warschau hat grosses Potenzial, es wird gebaut wie wild. Es gilt, diese Chance noch besser zu nutzen. Wie auch immer – ich freue mich, wenn der Austausch noch weiter geht.
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