Das Aeschbachquartier in Aarau: Dicht und städtisch. Fotos: Beat Schweizer

Ein schönes Quartier, aber keines für alle

Aarau hat ein neues Quartier. KCAP hat es geplant, verschiedene Architektinnen und Architekten haben gebaut. Städtebau und Atmosphäre überzeugen. Ein grosses Aber bleibt.

Im Industriegebiet Torfeld Süd nahe des Bahnhofs Aarau wurden früher Knet- und Mischmaschinen und Sprechapparate gebaut. Ab 2001 kaufte das Immobilienunternehmen Mobimo Grundstück für Grundstück für eine Arealentwicklung. Im Sinn eines Mehrwertausgleichs vereinbarte man mit der Stadtverwaltung, dass die historische Aeschbachhalle stehen und dass Platz für einen öffentlichen Park bleiben solle. Die Städtebauerinnen und Architekten von KCAP und die Landschaftsarchitektinnen von Studio Vulkan gossen dieses Programm in einen Städtebau. Ute Schneider von KCAP erzählt im Video von ihrer Arbeit.

Ute Schneider erläutert den Städtebau im Aeschbachquartier.

Das Aeschbachquartier in Aarau: Dicht und städtisch.

Blick von der Buchserstrasse. Landmark des Quartiers ist das Gastrosocial-Hochhaus.

Der Städtebau wirkt auf dem Plan zwar schematisch zoniert, vor Ort aber überzeugt er. Zuhinterst, im ruhigen Teil, stehen Reiheneinfamilienhäuser mit eigenem Garten. Dann folgen Mehrfamilienhäuser mit Eigentumswohnungen. Sie blicken in die grüne Pause: In den Oehler-Park. Wobei Park übertrieben ist, aber Grünstreifen wäre wiederum untertrieben. Es ist ein freier Raum mit Wiese, Sträuchern und jungen Bäumen, der Luft verschafft und gross genug ist zum Fussballspielen und Picknicken.

Zuhinterst stehen Townhouses, Reiheneinfamilienhäuser mit Gärten. Die nächste Schicht bilden Mehrfamilienhäuser mit Eigentumswohnungen.

Der Oehler-Mini-Park ist gerade gross genug.

Ein Schritt weiter und man steht in einer Ministadt. Die Häuser stehen dicht beieinander. Hier befinden sich die Mietwohnungen für verschiedene Geschmäcker und Lebenszeiten. Neben KCAP haben auch Gmür Geschwentner und Schneider Schneider Architekten gebaut. Die Typologien und Dimensionen variieren, die Farben sind dagegen ähnlich, während Materialien und Ausführungen wieder wechseln. Solche feinen Unterschiede sind es, die eine städtische Atmosphäre stützen – im Gegensatz zum Monotonen und Gesichtslosen. Ein Neubauquartier der feinen Sorte.

Eine Mini-Stadt mit Plätzen und Zwischenräumen.

Es gibt verschiedene Haustypen. Grösse, Gestaltung und Materialisierung sind ähnlich, aber nicht gleich.

Gruppiert sind die Häuser um ein Unikum: Die riesige Aeschbachhalle, die alte zentrale Industriehalle, in der nun Restaurant und Bar, Bühne und Saal, Co-Working-Plätze und Sitzungszimmer eingerichtet sind. Die Unternehmer Biesenkamp, die in Thun die Halle 6 betreiben, setzen hier ihr vielseitiges Nutzungskonzept mutig ein zweites Mal um. In der Halle schlägt das alte Herz des Quartiers weiter.
Ganz zuvorderst der Wermutstropfen: An der Schnittstelle zum Bahnhofsgebiet wäre der Ort für einen Stadtplatz gewesen, mit Boulevard-Café und mondän überragt vom eleganten Gastro-Social-Hochhaus. Doch ausgerechnet hier gähnen seltsame kleine Wiesen und Wege – es sind Versickerungsflächen für ein Jahrhunderthochwasser. Der Platz ist zerstückelt. Da haben Technokraten geplant und an der Ausführung hat Mobimo erst noch gespart. Aber davon abgesehen ist dieses neue Stück Aarau gelungen und ein Modell, um Leute mit dem Traum vom Einfamilienhaus in der Stadt zu halten, wo sie weniger Auto fahren und keine Wiesen zubetonieren.

Der Wermutstropfen: Am Eingang zum Quartier wäre der Ort für einen städtischen Platz gewesen. Stattdessen hat ihn der Hochwasserschutz gestaltet und an der Ausführung wurde ganz offensichtlich gespart.

Die Hauptachse führt auch am Eingang der alten Aeschbachhalle vorbei (Glasfront rechts im Bild). Ganz hinten im Bild das Einkaufscenter Gais, das nicht mehr zum Areal gehört.

Ein grosses Aber bleibt. Sozial betrachtet ist das neue Quartier eine Monokultur. Hier lebt, wer 1600.- Franken Miete für 2,5 Zimmer oder 2500.- Franken Miete für 4,5 Zimmer zahlen kann. Oder 1 Million Franken Kaufpreis für ein Haus. Die Tamilin, die in der Aeschbachhalle kocht, kann mit ihrer Familie nicht im schönen neuen Quartier wohnen. Auch nicht die Bosnierin, die die Eingangshalle des stolzen Gastrosocial-Turm reinigt. Auch nicht der Albaner, der als Landschaftsgärtner den kleinen Park pflegt. Und auch nicht die Rentnerin, die nachmittags zwischen den Häusern spazieren würde. Für alle sind die Wohnungen nicht erschwinglich. Vielleicht müssen sie sogar weiter wegziehen, denn eine Folge des gehobenen neuen Quartiers kann sein, dass Eigentümer und Vermieter rundherum den Braten riechen, ihre Wohnungen sanieren und ebenfalls verteuern.

Erst Regeln bringen Durchmischung
Aeschbach ist überall: Auf die Rendite achtet die Immobilienbranche bekanntlich ganz gut und sie wird auch besser darin, ökologischer zu bauen. Doch zählt zur Nachhaltigkeit nicht auch die Gesellschaft? Eine soziale Monokultur ist nicht nachhaltig. Sie ist realitätsfremd, denn ohne Menschen, die mit kleineren Löhnen auskommen, könnten wir Restaurants, Spitäler und Grossverteiler schliessen. Doch genauso wie der Chefarzt soll auch die Pflegehelferin zu Fuss oder mit dem Velo in einer Viertelstunde zu Hause sein und in der Stadt wohnen, wo sie arbeitet. Ein sozial nachhaltiges Quartier bietet deshalb günstige und teure Wohnungen, kleine und grosse. Für jung und alt, für Familien und Singles, für solche, die nicht mehr bezahlen können oder wollen.
In Zug können Gemeinden Zonen für preisgünstigen Wohnungsbau einrichten. Dort muss mindestens die Hälfte der Geschossflächen als preisgünstiger Wohnraum vermietet werden. Im Gegenzug dürfen Investorinnen und Investoren 10 Prozent mehr Flächen bauen. Im Kanton Zürich können als Resultat einer Volksinitiative Gemeinden bei Auf- oder Einzonungen einen Mindestanteil von preisgünstigen Wohnungen festlegen. Hätte Aarau eine solche Regel, dann wohnten nun vielleicht auch Menschen mit tamilischen, bosnischen und albanischen Wurzeln im Aeschbach-Quartier. Erst solche Regeln bringen die Investorinnen und Investoren dazu, Wohnungen für verschiedene Portemonnaies und dadurch sozial durchmischtere Quartiere zu bauen. Sind die Regeln gemacht, dürften sie Investorinnen und Investoren kaum noch stören. Sie wissen damit umzugehen, sie können damit rechnen.

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Kommentare

Andreas Konrad 01.08.2019 15:51
Hilmer & Sattler sprachen bei der Wiederbebauung des Berliner Zentrums mal vom « Singen im Chor » . Hier auf sehr schöne Weise bewerkstelligt , wobei das filigran und elegant gezimmerte Hochhaus den Glanzpunkt bildet . Aarau lehrt , was Zürich lernen könnte . Die Fenstersprossen sind schmal , die Materialien wertig und passend , die Blöcke stehen angenehm zueinander und die Farben sind nicht aus der Baumusterzentrale . Ein Kompliment für den Bauherrn und die Architekten , jetzt müssen nur noch die Mieten runter .
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