Ausverkauf Luzern? Der Flyer der IG Industriestrasse. Fotos: Rüssli Architekten und IG Industriestrasse

Bauernopfer Investorenwettbewerb?

Günstiger Wohnraum im Baurecht oder Investorenprojekt? In Luzern kreuzten am 5.9. Gegner und Befürworter des Projektes Industriestrasse die Klingen.

Am 23. September stimmt Luzern darüber ab, ob das Areal «Industriestrasse» hinter dem Bahnhof an die Bietergemeinschaft von Rüssli Architekten und Allreal verkauft werden soll. Sie sind die Gewinner eines Investorenwettbewerbs, der ein Projekt für eine gemischt genutzte Überbauung suchte. Eine Initiative, die erst nach Abschluss des Wettbewerbes eingereicht wurde, fordert nun, dass die 8700 Quadtratmeter im Baurecht an einen gemeinnützigen Bauträger geht. Der Wettbewerb könnte daher zum Bauernopfer einer nicht geführten Wohnbaupolitik-Diskussion werden.

 
Gestern hat der SIA Zentralschweiz die Projektverfasser sowie Befürworter und Gegner zur Debatte eingeladen. Der Architekt Justin Rüssli und Martin Küng von Allreal haben zu Beginn ihren Entwurf «Urban Industries» städtebaulich, architektonisch und in Zahlen vorgestellt und gepriesen. Schnell wurde aber klar, dass sich die Diskussion bald über das eigentliche Projekt hinaus entwickeln würde. Denn an der «Industriestrasse» kristallisieren sich viele Themen, die in Luzern scheinbar bis anhin nicht oder zu wenig aufgenommen wurden. Es sind dies die Forderungen nach günstigen Wohnraum, Nischen für Alternativkultur und erschwinglichen Flächen für Kleingewerbe.


Marcel Budmiger, SP-Grossrat und Vertreter des Komitees «Lebendige Industriestrasse» forderte deshalb, dass der erste Schritt der Umsetzung der Initiative für günstigen Wohnraum, welche die Luzerner Mitte Jahr deutlich annahmen, sofort und eben an der Industriestrasse gemacht werde. Sein politischer Gegenspieler, Markus Mächler, CVP-Grossrat und Vertreter des Pro-Komitees, bestreitet den Bedarf nach Wohnraum für die Mittelschicht keineswegs, wehrte sich aber dagegen, die Spielregeln des Projektes Industriestrasse während des Rennens zu ändern. Für die Umsetzung der Initiative für günstigen Wohnraum sehe Mächler viel mehr Spielraum im Rahmen einer Anpassung der Bau- und Zonenordnung, denn Luzern besitze sowieso viel zu wenig Land, um den Volkswillen auf eigenem Boden umzusetzen. Martin Küng zeigte sich über die Initiative selbstverständlich nicht erfreut, denn ein Investor brauche klare Spielregeln und Rechtssicherheit. Dass die Behörden das Wettbewerbsprogramm mit zu vielen Anforderungen überladen hätten und beim Aufgleisen und der Abwicklung des Wettbewerbes geschlampt hätten, liess Stadtarchitekt Jürg Rehsteiner nicht gelten. Hingegen Kritik an der Ausschreibung, die offen liess, ob die Verfasser ein Kauf- oder Baurechtsangebot machen wollten, könne er annehmen. Philipp Ambühl, Gewerbetreibenden mit Lager auf dem Areal und Befürworter der Initative, rechnete vor, dass in die geplanten Wohnungen, Gewerbe- und Atelierräume aufgrund der Mietpreise kaum je Familien mit Kindern, ein Bäcker oder Friseur einziehen würden – was dem Quartier sicherlich nicht zugute käme.


Nach rund einer Stunde gesitteter, aber engagierter Diskussion war dennoch ein bisschen Konsens zu spüren: Der Wunsch nach einer Grundsatzdiskussion der Wohnbaupolitik, nach mehr Transparenz und Information in und über Planungsverfahren, nach einer vielfältigen Stadt und nach einem längeren Planungsgedächtnis. Denn was jetzt diskutierte werde, sei in der einen oder anderen Form schon vor Jahren von der einen wie auch anderen Partei längst eingefordert worden, so ein Votum aus dem Publikum.


Auch das Schweizer Radio DRS hat die Diskussion aufgenommen. Hier zum Beitrag im Regionaljournal vom 5.9.

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