Momentaufnahme aus der Denkwerkstatt: Wie entwickelt sich das Basler Bahnhofsgebiet bis 2050? (Illustration: Stephan Liechti)
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«Baden, picknicken, feiern und spielen»

In der Mitte der Rhein und rundherum Grenzen. Areale, die aus jüngsten Entwicklungen lernen sollten. Hochhäuser und Pharmagiganten. Wie das in Basel zusammenkommt? Beat Aeberhard und Astrid Staufer im Gespräch.

Beat Aeberhard, vor Ihrem Job als Basler Kantonsbaumeister waren Sie Zuger Stadtarchitekt. Seit 2000 ist Zug um ein Drittel, Basel bloss um 3 Prozent gewachsen. Ist das neue Amt gemütlicher?

Beat Aeberhard: Keineswegs. Die Städte sind vergleichbar: Beide haben eine prononciert auftretende Wirtschaft, die stärker wächst als die Bevölkerung. Beide verstehen sich als Stadtstaat. Und in beiden prägen heterogene Inseln die städtebauliche Entwicklung. Schon in Zug hat mich das beschäftigt: Wir erarbeiten einzelne Stadtbausteine nach allen Regeln der Kunst, vergessen dabei aber den Zusammenhang, die Freiräume und ihre Vernetzung. In Basel haben wir letztes Jahr eine städtebauliche Begleitgruppe gegründet, ein informelles Gremium von Ortskundigen und Aussenstehenden, das sich alle paar Monate trifft.

Astrid Staufer, Sie sind als Architektin vor allem in und um Zürich präsent. Hat sich Ihre Sicht auf Basel verändert, seit Sie gemeinsam mit Angelus Eisinger und Andreas Bründler Teil dieser Begleitgruppe sind?

Astrid Staufer: Vorher kannte ich vor allem die Einzelbauten der Neunzigerjahre. Nun beginne ich, die Stadt zu verstehen. Wir versuchen eine Gesamtlektüre, sprechen explizit nicht über Bauten und Ensembles, sondern über Zwischenräume. Unser Zugang ist idealistisch. Wir ignorieren technische und rechtliche Hürden und werfen einen unvoreingenommenen Blick auch auf weit fortgeschrittene Planungen. Besonders beeindruckt hat mich, wie der Zeichner Stephan Liechti die Debatten abbildet. So merken wir, ob wir vom Gleichen sprechen.

Was zeigt seine Zeichnung des Bahnhofsgebiets?

Astrid Staufer: Der Bahnhofplatz blickt eigentlich in die falsche Richtung. Ein neuer Bahnhof könnte die Achse von der Margarethenstrasse zur Heuwaage stärken, die stadträumlich wichtiger wäre als die Passerelle von Gundeldingen zum Aeschengraben. Doch der historische Bahnhof und die Passerelle sind identitätsstiftend. Richtig wäre darum wohl ein zweiter Übergang, der langfristig zum wichtigeren werden könnte.

Beat Aeberhard: Die Logik des Basler Bahnhofs ist die oben liegende Verbindung quer zu den Gleisen. Würde man diese verlängern, liesse sich die Margarethenbrücke zum Platz mit Gleiszugang ausbauen. Dasselbe gilt für das Nauentor als Ersatz des Postreitergebäudes. Zur Entlastung der Passerelle haben die SBB eine Unterführung vom Meret-Oppenheim-Platz zum Elsässer Tor vorgeschlagen, also in eine Tiefgarage. Für das Shoppingcenter mag das sinnvoll sein. Doch die Zeichnung zeigt, wie viel plausibler drei oben und quer liegende Achsen wären.

Astrid Staufer: Und dann merkt man, dass eine Längsverbindung fehlt. Die heute leer stehenden SBB-Hallen könnten dabei zu wichtigen Bindegliedern werden. Im nächsten Schritt geht es um die ganze Schicht zwischen Bahnhof und Nauentor mit ihren Einzelbauten.

Beat Aeberhard: Mit dem Meret-Oppenheim-Hochhaus, dem Nauentor, den Türmen der Baloise und dem Turm der BIZ entsteht hoffentlich ein kraftvolles Bild, das die exaltierten Einzelarchitekturen absorbieren kann.

Hochhäuser als Zeichen städtebaulicher Knoten und als Allzweckwaffe zur Stadtreparatur?

Beat Aeberhard: Das wohl kaum. Der Reflex, an wichtigen Orten ein Hochhaus zu bauen, ist falsch. Die linearen Zentren der Gründerzeitquartiere zeigen das: die Güterstrasse im Gundeli, die Klybeckstrasse in Kleinbasel, die Elsässerstrasse im St. Johann. Auch unsere Zeit muss städtebauliche Akzente ohne dominante Vertikalen formulieren können. Im Übrigen ist der Umkehrschluss genauso verkehrt. Hochhäuser entstehen oft aufgrund wirtschaftlicher Opportunitäten. Das Roche-Areal ist ein weithin sichtbares Zeichen für ein globales Life-Science-Unternehmen, kein Ort für die allgemeine Stadt.

Astrid Staufer: Aber ein wertvolles Zeichen im Stadtkontext. Hier zeigt sich die globale Vernetzung, die Basel so reich gemacht hat. Und hier zeigen sich die Kräfteverhältnisse: Letztes Jahr haben Novartis und Roche weltweit jeweils mehr als fünfzig Milliarden Franken umgesetzt. Das Budget des Kantons beträgt gerade einmal vier Milliarden.

Beat Aeberhard: Offensichtlich geht es hier vorab um den Platzbedarf von Roche. Aber spricht daraus nicht auch eine unglaubliche Treue des familiengeführten Konzerns zum Standort Basel? In der Agglomeration wäre eine solche Expansion für Roche sicherlich deutlich einfacher.

Basel rechnet bis 2035 mit 20 000 neuen Einwohnern und 30 000 neuen Arbeitsplätzen. Wo soll das alles hin?

Beat Aeberhard: Es gibt überschaubare Ausnützungsreserven, und punktuell sind auch Aufzonungen sinnvoll, nämlich dort, wo weder Ökokorridore, wertvolle oder zu junge Baubestände noch bereits dicht bebaute Gebiete sind. Mit 113 Hektar auf Transformationsarealen hat Basel die Möglichkeit, den Löwenanteil des Wachstums zentrumsnah zu bewältigen, ohne die funktionierenden Quartiere umzupflügen. So lautet der politische Wille.

Astrid Staufer: Das ist fantastisch. Grossflächige Aufzonungen würden eine gnadenlose Ersatzneubauwalze nach sich ziehen. Die Entwicklung der Areale schützt die bestehenden Strukturen und hilft ausserdem, Subzentren zu etablieren. Eine hohe Dichte ist dort also doppelt sinnvoll.

Basel als polyzentrische Stadt – ein Zukunftsbild?

Beat Aeberhard: Das muss das Ziel sein. Dabei ist eine Besonderheit interessant: Basel ist ein Stadtstaat. Das hat viele Vorteile. Die Wege sind kürzer, wir bewilligen unsere Bebauungspläne selbst. Seit 1977 schöpft der Kanton die Hälfte der Planungsmehrwerte ab. Das ist grossartig. Umgekehrt ist Basel aber auch von Kantons- und Landesgrenzen umgeben. Das verkompliziert die Infrastrukturplanung. Allein einheitliche Tarife zu etablieren, ist schier unmöglich. Darum hat Basel noch immer kein effizientes S-Bahn-Netz. Die beiden grossen Bahnhöfe, der Badische Bahnhof und der Bahnhof SBB, funktionieren de facto wie Sackbahnhöfe. Das Herzstück soll dieses Problem bis 2035 lösen. Es bringt unter anderem die Stationen Wolf und Klybeck. Hier werden die Subzentren Basels entstehen.

Kommt die S-Bahn für die Entwicklung im Basler Norden nicht zu spät?

Beat Aeberhard: Sie kommt knapp. Allerdings gibt es auch neue Tramlinien. Jene, die durch das Klybeck-Areal führt, folgt einem historischen Gleisbogen. Das ist das Tolle am Weiterbauen. Der Bestand bietet Strukturen, auf die sich aufbauen lässt. Das Klybeck-Areal mit seinen riesigen Bauten kann ein total spannendes Stück Stadt werden. Seine Massstäblichkeit weiterzustricken, kommt Investorenwünschen entgegen und bietet typologische Chancen.

Astrid Staufer: Das gilt auch für den Bestand. Hier stehen Meilensteine der Industriegeschichte, auf die man sich schlicht beziehen muss. Das schafft plausible Lösungen, weil man dem Zeitgeist weniger ausgeliefert ist als auf der grünen Wiese. Ausserdem sind Erfindungen möglich. Auf dem Sulzer-Areal in Winterthur wurde eine Halle zur Parkgarage und eine andere zum kollektiven Raum eines Wohnhauses. Es wäre undenkbar, so etwas neu zu bauen.

In Zürich Nord hat man in den Nullerjahren wenig stehen lassen. Was kann Basel daraus lernen?

Astrid Staufer: Durchmischung, Durchmischung, Durchmischung. Schon während meines Studiums prophezeite unser Soziologieprofessor, der Computer werde Wohnen und Arbeiten wieder vereinen. Doch noch immer bauen wir Wohnsiedlungen und Bürokomplexe. Für die Stadt der kurzen Wege wäre ein Verhältnis von Einwohnern und Arbeitsplätzen von eins zu eins ideal.

Beat Aeberhard: Wir sind hier gut auf Kurs. Allerdings muss die Balance nicht auf jedem Areal, sondern innerhalb der Stadtteile stimmen. Nehmen wir den Süden: Der Dreispitz dürfte etwa ausgeglichen werden, auf dem Wolf entstehen wohl deutlich mehr Arbeitsplätze, am Walkeweg bauen wir eine reine Wohnsiedlung für 700 Menschen. Bodennahes, wenig dichtes Wohnen direkt neben den Hochhäusern beim Dreispitz – ich finde das toll.

Astrid Staufer: Den Reiz dieses Gegensatzes kann ich verstehen. Aber dieses Bild – die Kinder spielen vor der Haustür im Garten –, können wir uns das so zentral noch leisten?

Heisst Durchmischung nicht auch Durchmischung von Eigentümerschaften?

Beat Aeberhard: Natürlich müssen unterschiedliche Bauträger zum Zug kommen, damit sich die sozialen Schichten mischen. Auf dem Klybeck- und dem Westquai können wir das steuern, denn hier gehört uns das meiste Land. Auf dem Klybeck-Areal nebenan haben wir uns fünf Hektar als Wirtschaftsflächen gesichert. Zudem ist das Ziel von einem Drittel gemeinnütziger Wohnungen im Richtplan festgeschrieben. Ich bin zuversichtlich.

Aber die Gefahr bleibt, dass private und genossenschaftliche Inseln entstehen, so wie auf der Erlenmatt. Apropos: Dort wirkt der Bebauungsplan wie aus der Zeit gefallen. Sollten wir prozesshafter planen?

Beat Aeberhard: Ich glaube durchaus an den grossen Plan, aber nicht im Sinne von Bauvolumen, sondern von Aussenräumen und robusten Grundstrukturen. Wir müssen die Verkehrswege und Freiräume definieren. Nutzungsvorstellungen ändern sich schnell. Aktuell wollen alle nur Wohnungen bauen, aber das wird kippen. Und damit ändern sich die Typologien. Das Gebaute muss offen bleiben.

Astrid Staufer: Und das Unbebaute möglichst intensiv. Man sieht es in den Flussbädern und Parks: Die Menschen wollen nicht nur wohnen, sondern auch baden und picknicken, feiern und spielen. Erst grosszügige Freiräume machen Dichte lebenswert. Als unverrückbare leere Mitte bietet der Rhein eine einmalige Chance.

Beat Aeberhard: Unser Ziel ist es, dass die Areale nachher mehr Freiraum bieten als vorher. Der Dreispitz macht es vor: Weil ein Parkplatz zum Park wird, bleibt die Hälfte unbebaut. Das Gundeli profitiert, und das schafft Akzeptanz für die Hochhäuser. Ähnliche Chancen bieten sich im Norden für die Quartiere Klybeck und Kleinhüningen.

Astrid Staufer: Zu einer robusten Grundstruktur gehören aber auch soziale Infrastrukturen. Schulhäuser, Bäder und Sportplätze kommen in der Stadtentwicklung chronisch zu spät. Das muss Basel besser machen.

Beat Aeberhard: Einverstanden. Auf dem Klybeckquai könnte eine Schule als Initialnutzung Familien anziehen. Im Übrigen gehören Gemeinschaftsbauten nicht auf Restparzellen, sondern an die besten Lagen.

Last but not least: Wie wird Basel klimafit?

Beat Aeberhard: Wie alle Städte macht auch Basel jetzt einen Richtplan Klima. Bei den Arealen geht es um viel Grün, um die erwähnten S-Bahn-Stationen und um sanfte Mobilität. Im Schulbau wenden wir uns von den gängigen Hightechlösungen ab, und die Wohnsiedlung am Walkeweg wird autoarm. Das klingt jetzt vielleicht lächerlich?

Nicht lächerlich, aber zu wenig radikal. Wie wäre es mit einem Quartier, das eigene Nahrungsmittel produziert und Massstäbe im ‹urban manufacturing› setzt?

Beat Aeberhard: Als Planer können wir bloss den Rahmen abstecken, Anreize schaffen und Initiativen nicht durch blödsinnige Vorgaben verhindern. Attraktive Areale ziehen hoffentlich Menschen an, die etwas tun wollen. Falls jemand Nahrungsmittel auf einem alten Hallendach produzieren will: Unsere Türen stehen offen.

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Kommentare

Axel H. Schubert 01.03.2020 12:40
Ja, eine Stadt der kurzen Wege hat auch mit der Nutzungsmischung zu tun. Auch wenn wesentlich wesentlicher die Geschwindigkeit ist, mit der Orte erreicht werden können: Denn die Reduktion der Raumwiderstände, z.B. durch Strassen(aus)bau, führt zu langen Wegen, da das durchschnittliche Reisezeitbudget der Menschen praktisch konstant ist. Oder umgekehrt: wer kurze Wege glaubhaft will, muss zuallererst die Raumwiderstände erhöhen - in Basel sollen aber Autobahnen ausgebaut werden... Wer es mit Nutzungsmischung versucht, setzt jedenfalls an einem ineffizienten Hebel an. (Hier ein paar Quellen zur Thematik: https://www.archplus.net/home/archiv/artikel/46,3645,1,0.html) Aber - ok. Was heisst das nun eine Stadtentwicklungspolitik mit plus 30'000 Arbeitsplätzen und 20'000 Einwohner*innen für Basel? Wir haben in Basel einen täglichen Einpendler*innen-Überschuss von knapp 70'000 Personen (68'697, Statistisches Amt BS, 2018). 30'000 weitere Arbeitsplätze ergeben gemäss durchschnittler Haushaltszusammensetzung in Basel von ziemlich exakt 2 Personen/Haushalt weitere 60'000 Personen. Warum dann nur zusätzlichen Platz für 20'000 Einwohner*innen? Auch ist heute in Basel im Schnitt knapp jede 2. Person erwerbstätig. Mit Wohnraum für 20'000 Einwohner*innen finden ca. 10'000 Erwerbstätige mehr Wohnraum in Basel. D.h.: Bei +30'000 Arbeitsplätzen werden tatsächlich 20'000 weitere Einpenderler*innen generiert. Nichts anderes, als eine Stadt der langen Wege. Im Jahr 5 nach dem Klimaabkommen von Paris. Axel H. Schubert, ehemals als Stadtplaner im Kanton Basel-Stadt tätig
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