Der Perimeter des «Schéma Directeur de l'Ouest lausannois» mit den strategischen Gebieten in rot. Fotos: www.ouest-lausannois.ch

Agglostadt? Bottom-Up!

An der Tagung «Agglomeration als Chance» wurde über die Perspektiven für öde Vorstädte diskutiert. Lösungsansätze gibt es viele, allen gemein ist: Die Bevölkerung muss mitreden.

Banal, belanglos, zufällig. So beschrieb ETH-Professor Marc Angélil das zusammenhangslose Konglomerat der Vorstädte an der Tagung des Nationalen Forschungsprogramms NFP 54. Er forderte einen radikalen Wandel auf dem «Schlachtfeld Agglomeration»: Statt die Spuren der Zeit zu verwischen, solle die Artenvielfalt der Stadt gefördert werden. Der Raum müsse verdichtet, die alten mit neuen Nutzungen überlagert und die Differenzen gepflegt werden. «Dieser Akkumulationsprozess hat ein gewaltiges Potential», so Angélil. Vorzeigebeispiel einer weitsichtigen Agglo-Planung ist der Richtplan für die Region «l’Ouest lausannois», die am 18. Juni mit dem Wakkerpreis ausgezeichnet wird. Projektleiterin Ariane Widmer schilderte die Geschichte der Vision, die seit zehn Jahren vorangetrieben wird. Sie wies immer wieder darauf hin, wie wichtig es war, den Dialog mit der Bevölkerung zu führen, sich auszutauschen und transparent zu informieren. Mit partizipativen Verfahren hätte man noch wenig Erfahrung. Dank der offenen Kommunikation sei es aber gelungen, die «Kleingärtnerpolitik zu zertrümmern» und die neun Gemeinden an einem Tisch zu vereinen. Nun müsse gezielt dort interveniert werden, wo die grösste Hebelwirkung vorhanden sei. So ist beim Bahnhof Renens eine neue Geleisequerung geplant, die das zerschnittene Quartier verbindet und einen zentralen Ort schafft. Die «massiven Investitionen» für die städtebaulichen Akupunkturen will Widmer gemeindeübergreifend finanzieren. Für sie ist klar: «Wir müssen die Chance beim Schopf packen.»

Die Vorstädte sollen sich also an den eigenen Haaren aus dem Agglosumpf ziehen. Dazu muss der «bacillus agglomeratus», wie Professor Michael Koch die infizierten Randstädte bezeichnete, aber erst aufgespürt werden. Denn: «Wir sehen nur das, was wir gelernt haben zu sehen», wie der Soziologe Lucius Burckhardt einst meinte. Es geht also darum, die Agglo zu erkennen, zu verstehen und ihre Qualitäten schätzen zu lernen. Unzählige Begriffe von der Zwischenstadt über die Patchwork City bis zur Netzstadt helfen, die Wahrnehmung dafür zu schärfen. Koch pochte darauf, von der einseitigen Fokussierung auf die Stadt als kompakte Bebauung wegzukommen: «Die Landschaft ist das Kapital.» Mit Grünräumen liesse sich Identität schaffen und städtebauliche Entwicklungen strukturieren. Koch sieht in einer Gartenstadt des 21. Jahrhunderts den Weg aus der grauen Vorstadtmisere.
Rückgrat und gleichzeitig Problembringer der Agglomeration ist die Strasse, die sie erschliesst wie zerschneidet. Jürg Dietiker, Professor für Verkehrswesen und Städtebau, plädierte für eine «Kultur der Langsamkeit und der Koexistenz». Er zeigte Beispiele aus Köniz und Grenchen, wo sich Autos und Fussgänger in der Innenstadt die Kantonsstrasse teilen. Oft aber verhindern die Gesetze solche neuen Lösungen: «Wir planen heute Projekte für morgen mit Normen von gestern», so Dietiker. Fortschritt sei deshalb nur durch sorgfältig bedachte Verstösse gegen diese zu erzielen. Auch er wies darauf hin, die Top-Down-Planung mit dem Bottom-Up-Ansatz zu verbinden. Als am Schluss die Frage nach den politischen Widerständen aufgebracht wurde, die grenzübergreifende Planungen verhindern, lautete das Zauberwort einmal mehr: Partizipation. Denn ohne Mitsprache der Bevölkerung hätten Visionen für die Zwischenstadt keine Chance, so der breite Konsens.

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