Kartografieren des Unbeständigen

Bei seinem ersten Besuch in der Schweiz widerfuhr Georgi Gospodinov das Wunder mit den Gerüchen. Wird er einen Reiseführer der Gerüche schreiben?

Fotos: Dafinka Stoilova

Bei seinem ersten Besuch in der Schweiz widerfuhr Georgi Gospodinov das Wunder mit den Gerüchen. Wird er einen Reiseführer der Gerüche schreiben?

Übersetzung: Alexander Sitzmann Ich kann mich erinnern, dass mir, als ich vor Jahren das erste Mal die Schweiz besuchte, das Wunder mit den Gerüchen widerfuhr. Bereits am Flughafen schlug mir der Geruch von etwas entgegen, das ich mit meiner Kindheit verband. Ich konnte nicht genau bestimmen, was es war, oder wollte nicht glauben, dass es das war. Auf der Autofahrt nach Zürich spürte ich, wie dieser Geruch stärker wurde, die Erinnerungen meiner Kindheit kehrten nach und nach zurück. Wonach riecht es da draussen, überwand ich mich, meinem Schweizer Mitreisenden diese stets heikle Frage zu stellen. Nach Gülle, antwortete er ruhig, offenbar an solche Fragen von taktlosen Fremden gewöhnt. Aber ja, das war der Geruch meiner Kindheit, mein Grossvater nahm Gülle aus einer Jauchegrube und besprengte den soeben bestellten Garten damit. Und der brachte dann die schönsten Tomaten, Gurken, Kirschen und Äpfel hervor. Mir wurde bewusst, wie wir diesen Geruch später mit den chemischen Kunstdüngern für immer verloren haben. Ich frage mich, wann endlich jemand einen Reiseführer durch die Gerüche der verschiedenen Städte der Welt schreiben wird. Schon seit Langem geht mir diese Idee im Kopf herum, und am Ende werde ich ihn selbst schreiben. Seltsam ist dieses Defizit und in gewisser Hinsicht auch historisch ungerecht. In all den Nachschlagewerken ist gerade der älteste Sinn am wenigsten vertreten – der Geruchssinn. Wir wissen alles oder fast alles über die Architektur bestimmter Städte, über die Geschichte von Häusern und Gebäuden, über ihre Vision, die Festigkeit der Grundmauern, das Jahr ihrer Errichtung, wir haben die Baupläne, alles, was man fotografieren kann, ist bereits aus allen möglichen Blickwinkeln fotografiert worden. Ich war jedoch immer der Meinung, dass es noch eine andere, eine unsichtbare, zerbrechliche und unbeständige Architektur gibt – nämlich die der...

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