Feuer

Ein Gang in die Alpen evoziert Bilder der Vergangenheit: von der Verfolgung und Vernichtung des Anderen, Fremden. Und sie gemahnen an einen Brennpunkt der Gegenwart. Ein Text der Gastautorin Adania Shibli.

Fotos: Hartwig Klappert

Ein Gang in die Alpen evoziert Bilder der Vergangenheit: von der Verfolgung und Vernichtung des Anderen, Fremden. Und sie gemahnen an einen Brennpunkt der Gegenwart. Ein Text der Gastautorin Adania Shibli.

Eine Wanderung mit einem Jäger in den Bergen. Ich gehe voraus auf dem nassen Weg, der uns höher in die Berge führt. Der ununterbrochene Nieselregen in den vergangenen Tagen hat die Farben, die die Berge, die Hügel und die kahlen Bäume zeichnen, feucht werden lassen. Der Jäger und ich teilen keine gemeinsame Sprache, und auch sonst nicht viel. Tatsächlich verheimliche ich, dass ich mich in Deutsch verständigen kann, und er, dass er Englisch versteht. Arabisch? Er lacht, während ich ernsthaft bin. Eine dritte Person, die alle drei Sprachen spricht, folgt uns, bereit, einzugreifen, falls nötig. Die Absicht, mit dem Jäger zu sprechen, habe ich schon aufgegeben, bevor wir losgegangen sind. Und er selbst zeigt keine Anzeichen, die auf einen ähnlichen Wunsch hindeuten. Für den Moment scheint es, dass wir beide die Abneigung teilen, ein Gespräch miteinander anzufangen, und zwar ganz höflich. Die Erkenntnis ist befreiend. Ich brauche nicht zu fragen, wie das tägliche Leben sich in dieser kaum besiedelten Gegend der Schweizer Alpen abspielt, oder wie viele Schüsse er gestern abgegeben hat, auf wie viele Hirsche er gezielt hat, welche Kugeln ihr Ziel erreicht haben. Bei genauerer Betrachtung wird man feststellen, dass es acht Hirsche sind. Er braucht mich nicht nach dem Leben in Palästina/Israel zu fragen, das unter Beschuss steht, während zur Beendigung des Kriegs aufgerufen wird, und auch nicht danach, wie viele Wörter ich gestern geschrieben habe, wie viele ich gelöscht habe und wie viele Zeilen diese Tilgung überlebt haben. Wahrscheinlich sind es acht Zeilen, falls das über den Tod der Hirsche hinwegtröstet. Das Geräusch unserer Schuhe auf dem Weg lindert die Stille, die sich seit unserem Aufbruch über uns gelegt hat. Wir gehen weiter. Später taucht rechts des Weges ein Abschnitt auf, in dem Bäume, Stämme, Farben, Erde und spärlich fliessendes Quellwasser in einer ...

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