Die Gegenwart der Vergangenheit, wiederaufgeführt

Es ist Kunstbiennale – und im Schweizer Pavillon wird Architektur inszeniert, mit falschem Marmor, synthetischen Stoffen und künstlichen Säulen. Was sagt uns das?

Fotos: Samuele Cherubini

Es ist Kunstbiennale – und im Schweizer Pavillon wird Architektur inszeniert, mit falschem Marmor, synthetischen Stoffen und künstlichen Säulen. Was sagt uns das?

Hinter der Backsteinmauer mit dem Schriftzug ‹Svizzera› ragt ein mächtiger Baumstrunk in die Höhe, die Erinnerung an eine schöne Platane. Krank geworden und abgestorben, wurde sie für die letztjährige Architekturbiennale komplett entastet und auf sechs Metern Höhe geschnitten. Was damals ein skulpturales Objekt zwischen Natur und Artefakt war, dient dieses Jahr, wo gemäss Turnus wieder die Kunst an der Reihe ist, als eine Art Ehrensäule für die Kapitolinische Wölfin, die mythische Urmutter der römischen Zivilisation, das ewige Symbol der Ewigen Stadt. Sentimentaler Zauber Die Wölfin, die auf dem Baumstrunk zu sehen ist, säugt allerdings keinen Romulus und auch keinen Remus mehr. Sie hat sich aufgerichtet, ist halbwegs Mensch oder, genauer, Person of Color geworden, vielbrüstig und stolz. Das verhüllende Tuch in venezianischem Rot und Gold hat sie unter den Arm geklemmt, dem vorbeiwandelnden Publikum in den Giardini der Biennale zeigt sie ihre nackte Hinterseite. Im Innern des Schweizer Pavillons wird man ihr noch mehrmals begegnen, als singendes Hologramm oder als Filmfigur, dargestellt von der brasilianischen Performerin Ventura Profana, die der Statue auf dem Baumstrunk als Modell gedient hat. ###Media_2### In satten Farben bemalt, die Augen und spitzen Goldohren in naivem Realismus ausgearbeitet, ruft die Statue den sentimentalen Zauber von Jahrmarkts- und Geisterbahnfiguren in Erinnerung. Man kann das als Triggerwarnung lesen: Der Schweizer Beitrag zur Kunstbiennale, ausgedacht und eingerichtet vom schweizerisch-brasilianischen Künstler Guerreiro do Divino Amor, frönt dem Populären und Plakativen, dem Billigen und Falschen. Der Schweizer Pavillon, wie wir ihn kennen, die aufgeräumt-intellektuelle Architektur Bruno Giacomettis, verschwindet hinter Tapeten mit aufgedruckten Marmormustern in Altrot, Grün und Rosa. Ein synthetischer Teppich führt entlang fals...

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