Alles in Allem – die Salonparty, aufgeführt an der Station «Zehntenhaus, Affoltern»

Theater mit Stadtrundfahrt

«Alles in allem» ist Zürichs Stadtroman. Nun ist er als Stadtrundfahrt zu einem Theaterereignis geworden. Zwölf Stunden, acht Schauplätze, viel Unterhaltung, allerhand Einsicht.

Auf dem Treppenaufgang zur Bühne im Kulturmarkt in Zürich Wiedikon versammeln sich die Schauspielerinnen und Macher des Theaterereignisses «Alles in allem». Tosender Applaus des Publikums, das mit gut drei Dutzend Theaterleuten über zwölf Stunden unterwegs war. Sie haben Ausschnitte aus «Alles in Allem» aufgeführt – dem Roman von Kurz Guggenheim aus den Fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Wie Meinrad Inglins «Schweizerspiegel» oder Otto F. Walters «Die Zeit des Fasans» ist «Alles in allem» einer der grossen Schweizer Epochenromane. Guggenheim entwarf auf über tausend Seiten ein Bild der Stadt Zürich vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Peter Brunner, seit kurzem als Leiter des schmucken «Sogar Theaters» pensioniert, hat das vielseitig ausufernde Buch nun zu einem Theaterereignis gestaltet, das ein Mythos werden wird, denn schon wenige Stunden nach dem Vorverkauf waren alle Aufführungen ausverkauft. 

Stadtbau- als Sozialgeschichte

«Alles in allem» ist der Schweizer Stadtroman schlechthin. Zürichs rasante Entwicklung von den Eingemeindungen Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Zweiten Weltkrieg legte dem Stadtraum und seiner Planung die Geländer an, die heute noch halten – Bau der grossen Infrastrukturen für Gas, Elektrizität, Mobilität, aber auch die Regierungshäuser im Kreis 1, die Gotteshäuser für Katholiken, für die jüdische Gemeinschaft, das Landesmuseum, die Kaserne, die Wohnanlagen der Baugenossenschaften, die Schulhäuser. 
Diese Stadtbildung ist die eine Bühne von Guggenheims Roman, der hunderte Episoden ineinander schiebt und neben und mit der Liebes- und Ehegeschichte eines Paares, weit über hundert Figuren auftreten lässt. Denn noch vor dem Stadtbau feiert Kurt Guggenheim die Stadt als Institution der sozialen und kulturellen Integration all der Herbeireisenden. «Alles in allem» ist ein zu tiefst optimistisches Buch. Die Stadt hält all die Spannungen aus, sie ist politisch stark genug, mit Planung und Bau ungemeines Wachstum räumlich zu bewältigen, schafft damit sogar viele Chancen und Einkommen für alle möglichen Menschen. Und die Stadt kann das Fremde als Bereicherung aufnehmen – der Jude Kurt Guggenheim führt das mit vielfältige Geschichten aus dem jüdischen Zürich vor – in den letzten Szenen im Kulturmarkt legt der Guggenheim-Versteher Brunner da noch eins drauf und zelebriert eine jüdisch-christliche Hochzeit, die Alles mit Allen auf Gedeih und Verderb verbindet.

Acht Stationen

Entlang der zwei Dimension «Stadtbau- und Sozialgeschichte» hat Brunner den Roman bühnentauglich gemacht. An acht Stationen von der Villa Patumbah im Zürcher Seefeld über das alte Gaswerk in Schlieren, die Kaserne, das Zehntenhaus in Affoltern, das Seewasser-Werk Moos in Wollishofen bis zum Zwinglihaus in Wiedikon verdichtet er für die zwei Dimensionen wichtige Episoden aus dem Roman. Während zwölf Stunden führt der sein Publikum von Schauplatz zu Schauplatz, vom lauschigen Park im Seefeld bis in Wasserstollen in Wollishofen. Die acht Orte sind Bühnenbild, ganz wenige Requisiten sind nötig. Von Ort zu Ort fährt der Doppelstockbus. Nach vielen Jahren Bekanntschaft mit Zürich für die Meisten im Publikum die erste Stadtrundfahrt – allerdings an Orte, an die man sonst nicht so ohne weiteres hin kann, in den Waffensaal oder alte Offiziersmesse der Kaserne, in die luftige Höhe des Gasometers von Schlieren oder in die Wasserversorgung. Formal variieren Brunner und seine Theatermacherinnen theatralische Möglichkeiten an den ja nicht fürs Theater gerüsteten Schauplätzen – nebst Lesungen, klassisches Kleintheaterspiel, Vortrag und Videoprojektion. Der virtuose Musikant Martin Schuhmacher hält die Episoden mit der Es-Klarinette zusammen, dem wichtigen Instrument der Klezmer-Musiker; die Inszenierung übernimmt so geschickt ein wichtiges Motiv Guggenheims – die Schönheit einer den Einheimischen fremden Lebensformen als Bereicherung. 

 

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