Ken Bugul lebte 2017 ein halbes Jahr als Writer in Residence in Zürich. Fotos: zvg

Hütten, Paläste und eingeschlossene Zürcher

Aufgewachsen ist die Schriftstellerin Ken Bugul in der Sahelzone. Als Writer in Residence in Zürich schreibt sie über die Diskrepanz der Bauten und des Zusammenlebens.

Übersetzung aus dem Französischen: Irene Bisang Ich wurde in einem kleinen Dorf in der Sahelzone geboren, wo es zwar an einer üppigen Natur fehlte, aber wo eine Harmonie zwischen der mit Sträuchern bewachsenen Landschaft und den Menschen und Tieren zu spüren war, die diesen Ort mit seinem endlosen Horizont bewohnten. Als Kind kannte ich nur solche weiten Flächen mit riesigen Baobab-Bäumen – die einzigen, die jedem Wind und Wetter trotzen konnten. Es gab keine Autos, keine Busse und auch keine asphaltierten Strassen. Wir gingen zu Fuss, und über weite Strecken reisten wir mit Karren, die von Pferden gezogen wurden. Unendliche Weiten haben also die ersten Jahre meines Lebens geprägt. Rund um das Gehöft unserer Familie, das aus Hütten mit spitzen Strohdächern und einem typischen Innenhof bestand, in dem mittendrin ein ausgefallenes Gebäude thronte, gab es nichts anderes als Buschland – grenzenlose Räume, die sich wie Pergamentrollen aus Luft und Licht vor unseren Augen ausbreiteten. Die Eisenbahnlinie aus der Kolonialzeit trennte das Dorf in zwei Teile. Sie durchquerte das ganze Land von einer Seite zur andern, um für den Export bestimmte Feldfrüchte zu verfrachten und Fertigwaren aus Europa zu uns zu bringen. Es gab einen aus Stein gebauten Bahnhof mit einem roten Ziegeldach und hohen Räumen. Ich liebte es, dorthin zu gehen, um die grossen Plakate mit Zügen und die aufgehängten Fahrpläne zu bestaunen. Nahe beim Bahnhof, hinter dem wieder der ewige Busch kam, standen die Häuser der syrischen und libanesischen Einwanderer, die seit dem 19. Jahrhundert ins Land gekommen waren, um den Kolonialherren bei der Bewirtschaftung des Bodens und beim Verkauf ihrer Fertigprodukte zu helfen. Diesen Teil des Dorfes jenseits der Geleise nannten wir ‹taxya›, was so viel wie ‹Gebäude› bedeutet. Am Nachmittag kamen die Menschen jeweils aus ihren Hütten und gingen am Rand...
Hütten, Paläste und eingeschlossene Zürcher

Aufgewachsen ist die Schriftstellerin Ken Bugul in der Sahelzone. Als Writer in Residence in Zürich schreibt sie über die Diskrepanz der Bauten und des Zusammenlebens.

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