Bild von Claude Monet: Porträt von Victor Jacquemont, Öl auf Leinwand, 99 x 61 cm. Das Bild gehörte der Sammlung Carl Sachs. Aktueller Aufbewahrungsort: Kunsthaus Zürich.

Für Kunst. Gegen Raub

Über Städtebau und Architektur des Kunsthausneubaus in Zürich wird heiss diskutiert. Der Ethnologe Heinz Nigg weist auf einen weiteren Aspekt der Debatte hin: «Die von der Bührle-Stiftung dem Kunsthaus als Dauerleihgabe überlassenen Kunstschätze sind nicht über jeden Verdacht erhaben. Es handelt sich teilweise um Bilder, die während der Nazi-Zeit aus Deutschland und aus dem von den Nazis besetzten Paris auf undurchsichtige Weise in die Schweiz und in den Besitz des Industriellen E.G. Bührle gelangten und zur Kategorie von Raubkunst und Fluchtgut zu zählen sind.» Ein Gastkommentar.

Die Diskussion um den Kunsthaus Neubau in Zürich kommt kurz vor der Abstimmung vom 25. November so richtig in Fahrt. Nach Abwägen der verschiedenen Argumente pro und kontra Erweiterungsbau schliesse ich mich den Gegnern der jetzigen Vorlage an. Ich begrüsse zwar den Standort und die Architektur von Chipperfield, die dem zwinglianisch nüchternen Heimplatz ihre Reverenz erweist und doch einen frischen urbanen Kontrapunkt setzt. Und trotzdem sage ich nein zum geplanten Vorhaben: Die von der Bührle-Stiftung dem Kunsthaus als Dauerleihgabe überlassenen Kunstschätze sind nicht über jeden Verdacht erhaben. Es handelt sich teilweise um Bilder, die während der Nazi-Zeit aus Deutschland und aus dem von den Nazis besetzten Paris auf undurchsichtige Weise in die Schweiz und in den Besitz des Industriellen E.G. Bührle gelangten und zur Kategorie von Raubkunst und Fluchtgut zu zählen sind. Nur wenn die Stiftung Bührle bereit ist, alle Akten über ihre Kunstsammlung vollumfänglich der Forschung zugänglich zu machen, werden die Kunsthausbesucherinnen und -besucher den ausserordentlichen Bilderschatz auch voll geniessen können.
 
Die Provenienz der von Bührle vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg erworbenen Kulturgüter soll von unabhängiger Seite nochmals überprüft werden. Wir kennen nur einzelne Geschichten im Zusammenhang mit dem Erwerb von Raubkunst und Fluchtgut. So kaufte Bührle während des Kriegs 13 Bilder aus französich-jüdischen Sammlungen. Als Vermittler von 11 dieser Bilder wirkte u.a. die Galerie Fischer in Luzern, die ihrerseits zehn davon aus einem Tauschgeschäft mit dem Kunsthändler Hofer in Berlin erhielt. Hofer wiederum hatte die Bilder Hermann Göring abgekauft, dem Oberbefehlshaber der Deutschen Luftwaffe. Und Göring kam in deren Besitz, nachdem sie von Reichsleiter Rosenberg im Auftrag des Nazi-Regimes von ihren ursprünglichen Besitzern beschlagnahmt worden waren.
 
Wie sich die einzelnen Puzzleteile über die Herkunft der Bührle-Sammlung zu einem ganzen Bild zusammenfügen lassen, wissen wir noch nicht. Die Autorinnen und der Autor des ersten Bands des Bergier-Berichts, der von der "Unabhängigen Expertenkommission Schweiz - Zweiter Weltkrieg (UEK)" in Auftrag gegeben wurde, bestätigen klar, dass die Aufarbeitung der Kunstsammlung von E.G. Bührle bis heute nicht abgeschlossen ist: "Bührle hat mindestens 13 'Raubbilder' angekauft; diesen steht eine unbekannte Anzahl von Fluchtgütern gegenüber: Wir konnten die Fluchtguterwerbungen von Emil G. Bührle nicht systematisch aufzeigen, sondern nur für einzelne Werke die Herkunft abklären." (S. 107)
 
Die Stimmberechtigten der Stadt Zürich sagen mit einem Nein zum Kunsthaus Neubau auch Nein zu einem wenig transparenten Umgang mit Raubkunst und Fluchtgütern. Sollte der Kunsthaus Neubau jedoch angenommen werden, entbindet dies weder die Bührle-Stiftung, das Zürcher Kunsthaus noch Stadtpräsidentin Mauch von ihrer Verantwortung, alles zu unternehmen, dass die Geheimnisse um die Herkunft der Bührle-Sammlung gelüftet werden. So wie es dem Kunsthaus geglückt ist, im Hinblick auf die Abstimmung eine interessante Ausstellung über den geplanten Neubau zu inszenieren, wird es auch möglich sein, eine aufklärende Schau über Raubkunst und Fluchtgüter in der Schweiz zu gestalten. Gerade auch mit gestohlenen Bildern aus der Zeit des Impressionismus.
 
Ich bin bis heute ein Fan der Impressionisten geblieben. Als 16-Jähriger begab ich mich mit unserem Mittelschulklub "Freunde der Kunst" zum ersten Mal ins Kunsthaus Zürich. Ein Lehrer führte uns in die Methoden der Bildbetrachtung ein. In Erinnerung bleibt mir ein Bild von Monet, das einen jungen Mann mit Sonnenschirm zeigt, der in Begleitung eines Hundes durch den lichtdurchfluteten Wald spaziert. Ein Aufruf zum fröhlichen Müssiggang, der bei mir gut ankam. Kunst bedeutet Freiheit. Sie soll auch in aller Freiheit erschaffen und vermittelt werden.

Zur Person: Dr. Heinz Nigg ist freiberuflich tätig als Ethnologe und Kulturschaffender

Carl Sachs

Als Mitbegründer des Vereins Jüdisches Museum unterstützte Carl Sachs die Pflege der jüdischen Tradition in Breslau. Der Kunstsammler war über Breslau und Schlesien hinaus bekannt. Mit Leihgaben bereicherte er Ausstellungen in Breslau, Berlin, Köln, Zürich und Basel. Als die Nazis an die Macht gelangten und die Judenverfolgung einsetzte, deponierte Carls Sachs vorausschauend eine Reihe hochwertiger Kunstwerke in Zürich. 1939 emigrierten er selbst mit seiner Frau in die Schweiz. Dabei war er gezwungen, über 60 Gemälde, Zeichnungen und Plastiken in Breslau zurück zulassen. Sie wurden nach der «Verordnung über den Einsatz jüdischen Vermögens» von den Behörden beschlagnahmt. Die Bilder in der Schweiz musste er nach und nach verkaufen, um leben zu können. Carls Sachs starb 1943 in Basel. Das Schicksal dieses Bilds von Claude Monet (siehe oben) zeigt auf, dass die Thematik «Raub- und Fluchtkunst» nicht auf die Kunstsammlung der Stiftung Bührle beschränkt ist.

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