Strom intelligen bündeln

Hochspannung über Stadt und Land

Vor hundert Jahren wurde der widerstandsfreie Stromleiter entdeckt. Im Wallis wächst aber der soziale Widerstand gegen die Stromleitungen in der Landschaft.

1913 erhielt der holländische Physiker Heike Kamerlingh Onnes den Nobelpreis für Physik. Er hat herausgefunden, wer Quecksilber auf 270 Grad unter Null kühlt, schaltet die Atome gleich – so kann er Strom ohne Widerstand leiten. Onnes erfüllte den Kraftwerkbetreibern einen Traum. Theoretisch, denn in den hundert Jahren seit seiner Entdeckung haben es die Techniker nicht geschafft, daraus eine Erfindung zu machen. Sie haben zwar den Widerstand wesentlich herunter drücken können, aber er bleibt bis heute widerspenstig. Heute müsste Heike Kamerlingh staunen, welch mächtigen Bruder seine Physik erhalten hat. Strom leiten erfährt grossen sozialen Widerstand, wenn er über die grossen Kabel und Masten durch die Landschaft fliessen will. 

Bundesgericht, Demonstration, Initiativen

In Visp ging es neulich an einem Anlass der Stromnetzgesellschaft Swiss Grid hoch zu und her. Von Grundsatzrednerinnen bis zu den Gemeindepräsidenten sind alle dagegen, dass zwischen Chippis und Mörel eine 44 Kilometer lange neue Hochspannungsleitung gebaut werden soll mit 120 gut 70 Meter hohen Masten. Teils in gut gebrauchter, teils in einsamer Landschaft. Wie die Oberwalliserinnen sagen viele Menschen: schöne Landschaft ist mastenfreie Landschaft. Etliche wollen sich zudem den elektromagnetischen und magnetischen Feldern nicht aussetzen, andere fürchten den Krebs, einige wollen den Lärm nicht dulden, wenn die Koronaentladung brummt und Hundefreunde wollen deren UV Blitze nicht, die ihre Tiere sähen und darunter litten. Alle wollen Strom, aber sie wollen keine Stromleitung. Zumindest keine in der Landschaft sichtbare. Dass für die neue eine alte Leitung im Wallis abgebrochen wird, ist ein schwacher Trost, denn Gleiches wird mit gleichem ersetzt. Das Bundesgericht urteilt seit Jahren über Masten, setzt ab und zu Erdleitungen durch, der Walliser Kantonsrat stimmte einer Initiative für einen Baustopp zu, Demonstrationen gegen die Masten ziehen durch den Talboden, gegen den Ausbau der Walliser Leitung über das Val Formazza in Italien zu den Tessiner Kraftwerken gehen Cinque Stelle auf die Barrikaden. Kurz – der Widerstand für die schöne Landschaft ist doppelt so gross wie der der Physik. 

Der Stadt-Land-Graben

Die Swissgrid, die die Schweizer Stromleitungen organisiert, gäbe Heike Kamerlingh Onnes wohl einen zweiten Nobelpreis, wenn er zeigte, wie der Strom leitungslos zum Kochherd fände. Sie baut das Netz wegen der Energiewende und dem schwunghaften Wachstum, das den Wasserkraftwerken in den Alpen blüht, kräftig aus. Vorab indem ihre Monteure bestehende Leitungen von 220 Kilovolt auf 380 Kilovolt umbauen. Sie tun das zwischen dem Wallis und dem Mittelland, im Engadin, im Tessin und auch zwischen den Verteilstationen und Atomkraftwerken im Mittelland. 
Der Widerstand aber wogt überall wie zwischen Mörel und Chippis. Er ist auch erfolgreich, hunderte Kilometer Leitungen musste die Swissgrid vergraben (und hat den Kraftwerken so auch geholfen Strom zu sparen, denn die Leitung in der Luft verbraucht 6 Prozent mehr Strom als die im Boden). Der Erfolg zeigt aber auch, wie Landschaftskampf und -schutz entlang von Machtlinien läuft. Im Mittelland wird zügig Strom unsichtbar gemacht und eingegraben. Die Stromleitung zwischen Wädenswil und Horgen hat eine Bürgerinitiative schon lange in der Erde gezwungen. Zug hat vorgesorgt – für die 380/220 Kilovolt-Freiluftleitung quer durch den Kanton hat der Richtplan den Verlauf des Grabens schon eingezeichnet. In Littau holen die Kraftwerke ohne Not die Leitung vom Himmel. Kurz – wo schon alles vollgestellt ist, verschwinden die Masten, wo Landschaft noch relativ unbeschädigt ist, werden sie verstärkt und befestigt. 

Leitungen vergraben

Die Swissgrid hält am Modell aus der Mitte des letzten Jahrhunderts fest: Der Strom gehört auf dem Masten. Statt das Geld in neue Technik zu investieren, verpulvert sie es im Kampf für die Masten. Es braucht einen Wechsel von Gesinnung und Handeln zu Gunsten von Landschaft. Strom muss auch aus der noch einigermassen intakten Kulturlandschaft in der Peripherie fort, wenn seine Leitungen umgebaut werden. Swissgrid will das vorab aus Geldgründen nicht tun. Koste der Luftstrom 2,8 Mio Franken pro Kilometer, so koste der unterirdische 13 Mio pro Kilometer. So ist es halt – weniger beschädigte Landschaft hat ihren Preis. Aber Jammern ist unnötig, das von der Energiewende vorgehende Wachstum des Alpenstroms füllt die Kassen der Netzgesellschaft, denn je mehr Strom, desto mehr Geld fliesst. Und die Geldklage ist auch nur die halbe Wahrheit – auch die Kulturlandschaften in der Peripherie sind in den letzten fünfzig Jahren massiv ausgebaut worden. Tunnels führen durch Berge, Brücken über Schluchten, Eisenbahnen und breite Strassen durch Täler – die intelligente Bündelung von Infrastruktur kann nicht nur Geld sparen, sondern auch Landschaft schonen. Und um der Netzgesellschaft Beine zu machen, ist es nötig, dass die regionalen Bürgerinitiativen zwischen dem Wallis und dem Aargau, dem Tessin und dem Kanton Jura nicht nur den eigenen Garten leitungsfrei halten, sondern auf ein schweizweites Vorgehen drängen: Die Stromleitung gehört in den Graben. 

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