Jakob freut sich an den «Prättigauer:innen»

Die RhB und die Prättigauer:innen

Lavin hat einen Bahnhof für Alle. Die Prättigauer Zeitung entscheidet sich für Typografie für Alle. Graubündens Design und Architektur bewegen sich. Flott so.

 

Die RhB verkündete einst, das Bahnhöfli Lavin müsse samt seines famosen Kulturcafé «Staziun» weichen. Dank des Widerstands des Dorfes und der Einsicht der Bahn steht es immer noch. Neulich stand ich staunend da, der Bahnhof hat an architektonischem Gewicht gar gewonnen, denn um ihn herum ist eine Anlage in die Erde und den Hang gegraben, die die Central Station von New York neidisch macht: Unterführung, Rampen, Galerie, Treppe, Wartsäli. Ein monumentaler Tiefbau, geschuldet der Absicht, die Eisenbahn Allen zugänglich zu machen. Auch wer schlecht zu Fuss ist, soll möglichst selbständig in den Zug aus- und einsteigen. Und weil ein Lift von der Unterführung aufs Perron ja stecken bleiben könnte in der einsam kalten Januarnacht, ist gross angelegter Rampenbau nötig. Wie in Lavin baut die RhB fast alle Stationen um – ein finanzieller, technischer Kraftakt sondergleichen, geschuldet einem Gesetz, das den Zugang für Alle will. Gut so.

Im Zug durch den Vereinatunnel heimwärts von Lavin las ich das Editorial in der «Prättigauer Zeitung». Ladina Steinmann und Christian Imhof, die beiden Redaktor:innen haben beschlossen, künftig einen «:» zu setzen, wenn sie mit einem Wort Frauen, Männer und Ichbinbeides mitmeinen. Niemanden wollen sie ausschliessen. Machos wie ich reden sich in diesem schon lange mottenden typografischen Streit mit dem generischen Maskulin heraus und behaupten: «Die Frauen und die Ichbinbeides sind mitgemeint.» Mein Leibblatt lesend denke ich: Das ist Spiegelfechterei. Ich stolperte kurz über die prättigauerische Kühnheit, auch weil der grosse Teil der Leser:innen aus diesem Tal ja recht stramm gegen kulturellen Fortschritt und sozialen Aufbruch sind. Und nun ist ihre Zeitung auf Augenhöhe mit der «Wochenzeitung WoZ», wenn es um Typografie geht, die den Zugang für Alle will.

Ich finde das schön. «Ünschi Zytig», wie wir unserer Zeitung in unserer Sprache sagen, hilft die gesellschaftlichen Veränderungen und kulturelles Vorankommen unumkehrbar zu machen. Und das in einem Tal, wo sie erst zaghaft angekommen sind. Und es hat denn auch regen Diskurs in Leserbriefen gegeben. Auch mein Lieblingskolumnist Flügg vam Bärg, der regelmässig heitere Kolumnen in «ünscher Schprach» schreibt, hat sich mit «gluaget, gloset und gädeicht» gemeldet. Er war einst Typograf und dann viele Jahre Redaktor meines Leibblattes und begrüsst die Sprachpolitik seiner Nachfolger:innen. Und er hat einen Treffer erster Güte gelandet. «Umkeert gits hüt au Männer in Frauaprüaf, aber da ändert schi eher nüd, ich glauba nid das mä äswenn gar no ‘Hebamm:er’ läsä würd.»

In Malans aus dem Zug schauend, dachte ich: Heieiei, hier wollte es man grad gar Allen recht machen wollen. Hier verfügen die Passagiere über eine Symphonie von Treppen, Rampen und Unterführungen. Die Autofahrerinnen haben eine eigene neue Rennbahn mit kurzem Tunnel und bald gibt es noch eine eigene unterirdische Passage für die Velofahrer und die Fussgängerinnen. Wie ist doch da der beherzte typografisch Entscheid der beiden Redaktor:innen glimpflicher und eleganter als die vollständige Zerstörung des Bahnhofes, neben dem ich aufgewachsen bin.

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Kommentare

max weber 17.11.2021 14:25
sehr amüsant und hübsch geschrieben, aber Entbindungspfleger, bitte! so hoffe ich, dass Mensch "Amm:er" nie lesen wird. ein einschub wie schauts eigentlich aus mit Bauherr und Baufrau ? Bauherrschaft ? was gibt es da für Neuerungen in der Praxis? (Bü bü bü Bündner Herrschaft ?)
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