Rettet die Landschaft!
Landschaft ist mehr als Abstandsgrün, geschützte Moore oder Ackerland. In den Köpfen vieler bleibt sie dennoch ein Sehnsuchtsbild fernab der Realität. Am Städtebaustammtisch zeigten Experten, wie sie die Freiräume ins Rampenlicht rücken und vor der Zersiedelung bewahren wollen.
Am Städtebaustammtisch von Hochparterre und dem Bund Schweizer Landschaftsarchitekten BSLA diskutierten gestern Experten in luftiger Höhe über das ganz unten am Boden. 140 Leute quetschten sich in den Konferenzsaal auf dem Prime Tower. Der gelbe Teppich im Raum erinnerte an eine zertrampelte Wiese und illustrierte so das Thema des Abends: Der Druck auf die Landschaft nimmt zu. In der Stadt wird sie wegverdichtet, in der Agglo als Gestrüpp dazwischen vergessen und im Dorf existiert sie nur noch als Thujagrün – zumindest in den Köpfen der Fertighausbesitzer. Dagegen wehrt sich der BSLA mit einem Manifest und stellt vier Forderungen auf. Er verlangt Freiräume, wo verdichtet wird. Er will keine Planung ohne Freiraumkonzept. Die Raumentwicklung will er der Landschaft unterordnen. Und für die Landschaft an den Siedlungsrändern fordert der BSLA Konzepte per sofort! Die vier Podiumsteilnehmer waren sich einig: Die Landschaft braucht mehr Aufmerksamkeit. Doch über die Wortwahl des Manifests zeigten sich alle unglücklich. Maria Lezzi, Direktorin des Bundesamtes für Raumentwicklung, widersprach dem 3. Punkt vehement. Sie will keine Sonderstellung für die Landschaft: «Raumentwicklung heisst verschiedene Interessen abwägen.» Forstingenieur und Umweltexperte Mario F. Broggi bemängelte die technokratische Sprache der Streitschrift. «Sie ist zu wenig emotional, zu wenig aus dem Bauch.» Laut Landschaftsarchitekt Lukas Schweingruber drängt das Manifest seine Profession «in die grüne Ecke». Dabei sei genau das Gegenteil gefragt: «Wir müssen mehr zusammen denken. Landschaft ist alles.» Und Anette Freytag, ETH-Dozentin für Landschaftsarchitektur, vermisste den Menschen: «An wen richtet sich das Manifest?»
Wer ist also zum Handeln aufgefordert? Broggi plädierte dafür, die Leute breit abzuholen und ihr Bewusstsein für Landschaft zu schärfen. Für Schweingruber liegt das Problem im Vakuum zwischen den Experten, in dem sich niemand für die Landschaft zuständig fühle. Er sieht in dieser Schnittstelle den Schlüssel für seine Disziplin und sprach sich für den Landschaftsarchitekten als Spezialisten fürs Ganze aus. «Die Landschaftsarchitektin wird aber oft zu spät miteinbezogen», konstatierte Freytag. Und bei allem Willen der Planer dürfe man nicht vergessen: «Alles geht über die Ökonomie.» Mit Landschaft lässt sich im Unterschied zum Bauen nicht sofort Geld machen, sie zahlt sich erst langfristig aus. Lezzi sieht dennoch ein Umdenken: «Landschaftsqualitäten tauchen vermehrt auf in Städte-Rankings.» Nicht alle Gemeinden hätten dies indes gemerkt. Dass die Finanzen fehlen, kann Schweingruber nicht verstehen: «Bei Landwirtschaft und Verkehr ist genügend Geld vorhanden.» Um jene Töpfe anzuzapfen, müsste in der Bevölkerung aber erst ein Umdenken stattfinden. Laut Broggi bleibt der Eidgenosse aber zutiefst der Heidi-Mythologie verhaftet: «Die Schweizer sind keine geborenen Städter.» Schweingruber allerdings will nicht ausharren, bis alle Agglohauser gemerkt haben, dass sie nicht mehr auf dem Land leben. «Wir könne nicht warten. Bund und Kantone müssen die Führung übernehmen.» Die Bevölkerung will er mit konkreten Bildern wachrütteln, wie er dies bereits als Mitglied der Gruppe Krokodil mit der Vision für eine Stadt im Glattal gemacht hat. Er bezweifelt allerdings, dass die Gemeinden ihre Planung jemals koordinieren. Die Aussichten bleiben also düster. Und wer alleine auf weiter Flur steht, wird nicht gehört. «Sucht euch verbündete», forderte Broggi den BSLA daher zum Schluss auf.