Die Podiumsteilnehmer: Roger Boltshauser, Andreas Sonderegger, Rahel Marti, Richard Wolff, Lothar Ziörjen, Wilhelm Natrup.

Eine Grossstadt? Sauglatt!?

Der Blick ging weit, der Raum war knapp: Rund 250 Neugierige versammelten sich gestern im 11. Stock des Glatt-Tower, um den Ausführungen des Krokodils zu lauschen.

Matthias Müller und Daniel Niggli (EM2N) präsentierten die Pläne der Zürcher Architektengruppe (EM2N, Pool, Boltshauser, Zierau) für eine Grossstadt im Glattal, in der Titelgeschichte des aktuellen Hochparterre erstmals veröffentlicht. Auf dem anschliessend von Rahel Marti geleiteten Podium standen neben Roger Boltshauser und Andreas Sonderegger (Pool) noch Wilhelm Natrup (Kantonsplaner Zürich), Richard Wolff (Überparteiliche Arbeitsgruppe Zürich Nord) und Lothar Ziörjen (Stadtpräsident Dübendorf) Rede und Antwort.

Mulmig konnte einem werden. Nicht von der Aussicht oder der Enge des Raumes, sondern ob der Einigkeit aller Beteiligten: Alle, aber auch wirklich alle klopften dem Krokodil auf die Schulter! «Befruchtend!» (Ziörjen), «Froh!» (Wolff), applaudierte man den Revoluzzern. Was sich jedoch nach und nach herausstellte: Alle wähnten sich auf der gleichen Seite. Längst würden sie an der Grossstadt im Glattal arbeiten. Die vom Krokodil erzeugten Bilder kämen ihnen gerade recht, denn vor allem ginge es darum, den Menschen das Bild der Stadt zu vermitteln. Der sich zu Wort meldende Leiter der Raumplanungskommission Glattal («froh und dankbar») ging sogar soweit zu sagen: «Wenn ihr das nicht von euch aus gemacht hättet, hätten wir euch beauftragen müssen!» Verhindert man die Explosion, indem man die Granate schluckt?

So waren es vor allem Nebenschauplätze, an denen sich eine Diskussion entzündete. Zum Beispiel am Tauschhandel der Ausnutzungen, mit denen das Krokodil das Glattal füllen und andere Regionen frei halten möchte: «Der Flugplatz Dübendorf ist unser Pfand, die Zersiedlung zu stoppen.» (Boltshauser) Kantonsplaner Natrup glaubt nicht daran und vertraut seinem frischen Richtplan: «Die Siedlung auf der Grünen Wiese wird es so nicht mehr geben!» Viele waren skeptisch, glaubten den hehren Worten nicht, sahen das heraufkommen, was momentan schon entsteht: ein zersiedeltes Glattal und zersiedelte Regionen rundherum.

Richard Wolff führte ein fulminantes Wort für den Flughafen als Zentrum und kannte auch schon den Namen der neuen Grossstadt: «Glattfurth». Sein Statement, auch den Fluss der Wertschöpfung zu bedenken, hallte noch nach, als die Runde ausklang, wie sie anfing: mit Lob. «Wahnsinniger Beitrag!» (Peter Ess), «enorm wichtig!» (Frank Argast) Wie weiter? Das nächste Jahr Arbeit daran hätte es schon budgetiert, sagt das Krokodil, das an diesem Abend nicht wirklich bissig war. Wie auch, wenn alle streicheln? Doch tatenfreudig ist es: Jetzt wolle es ans breite Publikum gehen, ein Buch, eine Ausstellung, einen Film machen. Applaus. Und nach dem labyrinthischen Weg durch das real existierende Glattal in Form des Einkaufsriesen Glatt gingen im dortigen Sternengrill 140 Würste und ebenso viele Bierflaschen über die Theke.

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Kommentare

Diego Dudli 03.02.2011 23:48
Aus der Sicht der Raumplanung, die immer wieder für die Zersiedlung des Landes verantwortlich gemacht wird, sei folgendes zum Projekt anzumerken: Die zu Beginn der Präsentation angeprangerte Vernichtung des Bodens von 1m2 pro Sekunde ist zynisch! Das vorgeschlagene Konzept wird dran NICHTS ändern, im Gegenteil, wahrscheinlich wird dann doppelt oder dreimal so viel Fläche pro Sekunde verbaut, resp. versiegelt! Es sein denn, es wird in der Schweiz im allgemeinen und in Zürich im speziellen nach INNEN verdichtet. D.h. erstens, INNERHALB des bestehenden Siedlungsgebietes, zweitens nicht nur Einzelbauweise, sondern ganze Strassengevierte, resp. Quartiere und drittens in einer Dichte, die auch den Namen Urbanität verdient. Die grössten Boden- und Raumverschwender sind die einige hunderttausend Einfamilienhaus-Teppiche der Nachkriegszeit. Peripher gelegen, schlecht erschlossen, mittlerweilen überaltert und unterbelegt, schlecht isoliert und mit klimaschädigenden Ölheizungen versehen, etc. Ähnliches gilt für die einige tausend 2-4-geschossigen Reihenmehrfamilienhäuser der 50-er und 60-er Jahre (bin in solchen aufgewachsen). Es wurde am Schluss der Veranstaltung bedauert, dass keiner eine Frage hat. Obige Ausführungen veranlassen mich zu zwei zentralen Fragen: 1. Wie ist das Flächenverhältnis zwischen Baugebiet auf der grünen Wiese und dem Baugebiet im gebauten Siedlungsgebiet (ha und %) für die neue Glattalstadt von 400'000 Einwohnern? 2. Was wird unter städtischer, urbaner Dichte verstanden, die so oft zitiert wurde?
Diego Dudli 03.02.2011 15:44
@Axel Simon Ihr Fokus auf Wüste und Bier hat offenbar dazu geführt, die kritischen Wortmeldungen auszublenden, u.a. die Meinige: Zwar habe auch ich die Arbeit als interessanten Beitrag gewürdigt. Gleichzeitig aber, im Sinne der Kritik (und zur Dämpfung der Euphorie 'endlich wieder grüne Wiese wo wir Architekten frei von Einschränkungen drauflos bauen können) habe ich mit Nachdruck darauf hingewiesen (ihr macht einen Denkfehler), das die Kernstadt Zürich das ZENTRUM des Entwicklungsraumes ist UND bleibt (und nicht etwa der Flugplatz Dübendorf). Zum zweiten gehöre die LIMMATTALSTADT ebenso zum Verdichtungsraum Zürich (siehe hierzu RZU-Studie 2007, an der breit abgestützt Vertreter des Kantons, der Regionalplanung sowie der Stadt Zürich und der Gemeinden mitgewirkt haben) und sei deshalb GLEICHZEITIG und GLEICHWERTIG zu entwickeln. Ebenso teile ich das gleichfalls kritische Votum von R. Wolf, dem nicht entgangen war, dass dieses scheinbar stimmige Bild einer 'Insel' gleich praktisch keinen Bezug hat zur Metropole Zürich, resp. die städtebauliche und funktionale Anbindung an die Stadt Zürich im Raum Zürich-Oerlikon ungenügend sei, resp. fehle.
Axel Simon 03.02.2011 13:40
Der Richtigkeit halber sei noch korrigiert: Es waren 236 Würste und 223 Bierflaschen, die über die Theke gingen...
stefan kurath 01.02.2011 13:54
ganz so unkritisch waren meiner meinung nach die voten nicht. sie wurder leider nur etwas zu gut in watte gepackt. die unterkomplexität der präsentierten arbeit wurde aber mehrfach angesprochen (stichworte realpolitik, partizipation, wertabschöpfung, grünkorridore, etc.). die architekten sind dennoch zumindest teilweise ihrer rolle gerecht geworden, die sie einzunehmen haben, um die realisierungschancen städtebaulicher ziele im 21. jahrhundert zu verbessern. sie haben ihre inhalte (leer-dicht, zersiedelungsstopp, top-down) mit dem gang an die öffentlichkeit proaktiv in den gesellschaftlichen aushandlungsprozess eingebracht (vielleicht müsste man noch darüber sprechen?). hoffen wir, dass sie auch den zweiten teil ihrer aufgabe erfüllen, indem sie die rückübersetzungsproblematik städtebaulicher inhalte ernst nehmen und beim Buch-, Film- und Ausstellungsmachen nicht nur ihre bisherigen planwelten reproduzieren, sondern auch aussagen zu allianzfähigen umsetzungsstrategien machen (aussagen zur praxis des städtebaus). dies einzig der politik zu überlassen wird nicht reichen - wie wirkungsgeschichtliche rekonstruktionen der stadtplanung der letzten 70 jahren bereits mehrfach und eindrücklich aufzeigen. man kann aber zuversichtlich sein, schliesslich haben em2n und pool diesbezüglich in anderen arbeiten bereits innovative ansätze aufgezeigt.
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