Lieber Beno

Benedikt Loderer wird heute 80. Bekannt wurde er als Stadtwanderer und Gründer der Zeitschrift Hochparterre. Ein Bilderreigen aus Benos Zeit bei Hochparterre und ein Geburtstagsgruss von Axel Simon.

Fotos: Bildauswahl Barbara Schrag

Benedikt Loderer wird heute 80. Bekannt wurde er als Stadtwanderer und Gründer der Zeitschrift Hochparterre. Ein Bilderreigen aus Benos Zeit bei Hochparterre und ein Geburtstagsgruss von Axel Simon.

Lieber Beno

Ich habe dir viel zu verdanken:

Deinen Schreibtisch, den du mir vor 15 Jahren überlassen hast. Ja, das gesamte Hochparterre gäbe es heute nicht, hättest du nicht vor beinahe 40 Jahren die Idee gehabt, es zu gründen. Aber beides meine ich nicht.

Auch nicht deine Kriterien für gute Architektur, die du zum Abschied im Hochparterre niedergeschrieben hast. Sie waren nie meine.

Trotzdem habe ich durch dich gelernt, was Architekturkritik ist.

Stets gehe es darum, etwas zu fördern oder etwas zu verhindern, das hast du mir damals mitgegeben. Als Schreiber sei man nie die Richterin, sondern entweder Verteidiger oder Anklägerin. «Wer beim Schreiben nicht an die Wirkung denkt, ist kein Journalist, sondern Architekturtheoretiker zum Beispiel oder Schriftsteller. Was keine Schande ist, nur ein anderer Beruf.»

Es geht also ums Werten. Etwas ist gut oder es ist schlecht. Und doch hast du einmal geschrieben: «Ein Text besteht aus Worten, nicht aus Urteilen.» Schreiben, das sei zuallererst Text, sei Arbeit an der Form. Man schreibe, um gelesen zu werden, und nur ein Text, der gelesen wird, könne auch wirken. Das hat mir gefallen.

Danke, Beno, für deine Wirkung und deine Formen. Und: Herzlichen Glückwunsch zum Achtzigsten vom ganzen Hochparterre-Team!

Axel

1988. Dieser ums Eck gewundene Haufen ist die Truppe aus Leuten
von Curti Medien, die das Schifflein Hochparterre aufgetakelt haben.
Ihre Blicke zeigen grimmige Entschlossenheit. Mit dabei sind nach
zwei Jahren nur noch Loderer, der Mann in zerknitterter Hose,
und Gantenbein, der Mann im verrumpfelten Hemd. Der Verleger
war Hannes Hinnen, der Anzugträger (auch zerknittert).

1992. Selbstbewusst, Heldenbrust (haarlos), Markenuhr am Handgelenk, Hemd und Hose im Architektenschwarz. So steht ein Beweger und Erfinder in der Welt.

1992. Aus der grimmigen Truppe des ersten Jahres wird die heiter lachende. Hochparterre geht es finanziell miserabel, aber Aufgeben gilt nicht.

1993. Hochparterre gehört nun denen, die es machen. Zum Gründungsquartett gehören neben Loderer (an Gewicht zulegend) und Gantenbein (an Gewicht verlierend) die energische Walliserin Sarah Mengis als Verlagsleiterin und Anzeigenfrau und die keck vorwärts lachende Grafikerin Trix Stäger, nie mehr war jemand in Hochparterre in so edle Stoffe gehüllt wie die tolle Trix.

1996. Alle sprachen: «Ihr geht unter». Wir sprachen: «Wir blühen auf». Zwei in vielem anders tickende Männer – Städter der eine, Bergler der andere; keck der eine, vorsichtig der andere; Aussenminister der eine, Innenminister der andere. Die zwei wachsen zusammen zu einem Paar, das auch nach der Pensionierung des Jüngeren eine unverbrüchliche Freundschaft feiert.

1996. Auch wenn die Pionierjahre streng waren und Legende werden: «weisch no dua…» Heitere Zuversicht pfeift aus dem letzten Loch, denn am Himmel scheint die Sonne über Hochparterre.

1996: Hochparterre zügelt vom Rand von Glattbrugg ins alte Haus an der Ausstellungstrasse mitten in Zürich. Die «Neue Werkstatt» hat die Lampen geschlossert und den Stehpult, auf dem jeweils das werdende nächste Heft liegt. Mit dabei bleibt über die Jahre und bis heute nur Barbara Schrag mit strohblonder Frisur und erlesenem Ohrschmuck.

1997. Benedikt Loderer freut sich, wenn Freunde (der Zeichner Sambal Oelek links) und Verwandte (der Vater Oswald Loderer) Hochparterre ihre Aufwartung machen. Barbara Schrag, die Grafikerin, hilft bei der Freude.

1997: Statt die glorreichen Sieben schreiten die glorreichen Neun über die staubige Strasse von Dodge City und feiern den Einzug des Sheriffs (in Hosenträgern).

1998. Das legendäre Bild der Schweizer Mediengeschichte. Hochparterres Redaktion macht Reklame in der NZZ und im Tages-Anzeiger für ein Themenheft zur Designgeschichte der Unterwäsche.

1998. Fünf Abende von sieben Wochenabende sind Loderer und Gantenbein jahrelang unterwegs - auf der Gasse, an der Barkante, an Anlässen mit der Inseratemafia. Begleitet immer wieder von Martin Peer, dem Fotografen, der 2009 hat sterben müssen.

1998. Die Gründer tragen immer noch die Hemden, die sie schon zur Gründung trugen. Die Brillen aber sind ganz im Stil der Zeit. Und wie Yin und Yang füllen sie mittlerweile den chinesischen Zirkel – zwei Kräfte, die es miteinander können, weil sie anders sind und weil der eine dem andern blind vertraut.

1999. Das Wetter garstig, die Blicke grimmig, die Anzeigen freundlich, die Leserzahlen steigen – Hochparterre ist eine Baustelle. Langsam gibt es Gewinn für jeden. Die geneigte Leserin beachte den modisch drappierten Schal um Bendedikt. Sein Sakko überdauerte 25 Jahre Hochparterre.

1999. Hochparterre hat immer so viel Geld zurück gelegt, dass es reichen würde, ein Restaurant aufzumachen, wenn die Zeitschrift zusammenbricht. Geübt hat die Redaktion am «Design Preis Schweiz» in Solothurn.

1999. Zufrieden und etwas verklärt schaut der Wirt Loderer den Gästen ins Glas. Rechts von ihm Uli Huber, Chefarchitekt der SBB, und Hochparterres ewiger Freund.

2000. Wenn Hochparterre falliert, ist genügend Geld in der Kassa um ein Hotel in den Bergen zu übernehmen. Einmal im Jahr lädt Hochparterre seine Inserenten in Gantenbeins grosse Küche ein. Christine Karrer serviert, Köbi  kocht und Benedikt ist der Portier und das Faktotum.

1999. Jedes Jahr gibt es ein Gruppenfoto als Grusskarte für die Inserenten: «Vertraut diesen Leuten Eure Inseratefranken an. Sie werden es euch mit frechen Geschichten zurückzahlen.» Man beachte, dass Loderer ein nobles Brusttuch trägt (wenn auch über einem T-Shirt) und Gantenbein statt seine ewigen Hemden aus dem Brockenhaus einen Sakko.

2004. Hochparterre arbeitet, Hochparterre wandert, Hochparterre tafelt und die Kellnerin schenkt Susanne von Arx, der Verlagsleiterin, das Glas voll. Und Hochparterre besinnt sich an Retraiten ab und zu - so im Schloss Wartegg am Bodensee.

2007. Innert 15 Jahre ist aus der Vierergruppe der Gründer ein Haufen lustiger Männer und Frauen geworden, die den Patriarchen mit Bart und Schal umringen. Auf Weisung des Fotografen sollen alle in ein Büchlein schreiben. Ach je…

2008. Heiter führt Benedikt dem Raumplaner Silver Hesse seine Fest- und Feieruniform vor: Rotes Sakko, blaue Krawatte mit Edelweiss, Strickmütze mit Hochparterres Logo, weisses Hemd, graue Hosenträger und randlose Brille.

2008. Zu Hochparterres 20. Geburstag dichtet Benedikt eine Festspiel, das vor vollem Saal im Dadahaus uraufgeführt und auf einer CD verewigt wird.

2008. Benedikt Loderer hat seine Buddah-Form verlassen und wird drahtig und schlank. Wie er als Schreiber unerbittlich für das Gute kämpft, so tut er dies als Gerätestrampler wöchentlich. Und siehe da, das Sakko, das er einst füllte, umweht nun seinen Leib. Das Auge und das Gemüt aber sind heiter und froh.

2008. Immer noch ist Hochparterre eine Baustelle, wenn auch flott mehr Leute am Werk sind. Zuoberst steht Ariane Idrizzi, Hochparterres erste Lehrtochter als Kauffrau und in der gefühlten Mitte, das rechte Bein lässig entlastet, steht Benedikt, mittlerweile heisst sein Amt «Starschreiber ohne Führungsaufgaben». Auch Köbi Chefredakter hat sein Bein standesgemäss gewinkelt.

2009. Auch als altgedienter Reporter geht Loderer noch ins Feld. Denn beschreiben will er nur, was er gesehen, gefühlt, gerochen hat. So das umstrittene Schulhaus Leuschenbach in Zürich. Begleitet wird er von Werner Huber, dem Ort elegant angemessen angezogen in kurzen Hosen.

2015. Vor fünf Jahren hat sich Benedikt pensioniert. Er lebt nun mit seiner Frau Manette in Biel, wo er Stadtrat der Grünen ist und bald Stadtratspräsident wird.

2016. Benedikt singt, heiter ermuntert von Manette, seiner Frau, Köbi zu dessen 60. Geburstag ein Liebeslied. Lächelnd hören Gaby und Julia im weissen Kellnerinnenhemd der Hyme zu bevor sie den nächsten Gang auftragen, gekocht auch von Hochparterris.

2016. Dezent geworden ist Benedikts Feier- und Festtagsgewand. Von Susanne Kreuzer, Hochparterres ehemaliger Grafikerin, lässt er sich die Schönheit der Welt erläutern.

2016. Etwas verstrubelt schon sind die zwei Altvorderen. Hochparterre hat zu Gantenbeins 60. Geburstag ein grosses Fest ausgerichtet. Innig gratuliert der Ältere im schwarzen Architektengewand dem Jüngeren im kragenlosen Älplerhemd.

2018. Neugierig und erfreut studieren zwei das Jubelheft, das Hochparterre sich und der Welt zum 30. Geburtstag geschenkt hat.

2018. Wahlkampf für einen Sitz als Grüner Stadtrat von Biel. Diskret platziert Kandidat L. seine Karten. Er springt von einem hinteren Listenplatz nach vorne und bald sitzt er im Parlament, dessen Präsidium seine kurze, schöne Karriere als Politiker 2024 krönt.

2018. Hochparterre ist dreissig Jahre alt. Lilia Glanzmann, heute Professorin an der Hochschule Luzern, und Rahel Marti, heute Co-Leiterin der Stiftung für Landschatsschutz, damals Redakterinnen von Hochparterre, schenken dem Pionier ein Kunstwerk, was diesen heiter freut.

Keep on stadtwandering, lieber Beno!

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