Blick in die Ausstellung «Savoir-faire & laisser-faire», Galerie Mark Müller, Zürich. Fotos: Conradin Frei

Savoir-faire & laisser-faire

Kunst, Design, Architektur treffen sich im Prozess. Ihn zu beherrschen bildet ihr Können. Doch wie steht es mit dem Geschehenlassen? Das zeigt «Savoir-faire & laisser-faire» in der Galerie Mark Müller.

Kunst, Design und Architektur treffen sich im Prozess: Ihn zu beherrschen vereint die Disziplinen. Sie alle bauen dabei auf die technē, auf das Können. Es erlaubt die Kontrolle über das, was am Schluss vor uns steht. Zugleich müssen sich Künstlerinnen wie Gestalter mit der Frage nach dem Geschehenlassen auseinandersetzen. Wie viel Freiheitsgrade lassen die Keramikerin, der Designer, die Künstlerin, der Architekt beim Entwurf und in der Umsetzung zu? Nutzen sie den Eigensinn des Materials, die Unwägbarkeiten der Verfahren?
 

Studio Mumbais «Net Room» nimmt temporäre Moskito-Schutzbauten auf; Frédéric Dedelleys «Objet Noir No. 1» untersucht Form und Funktion; Reto Bollers Assemblage «T-18.1» den Zufall.
Die beiden Pole – das Können und das Geschehenlassen – verschränken sich, sagt Frédéric Dedelley. «Nur wer das Savoir-faire wirklich beherrscht, kann es los- und so die Überraschung zulassen, die Material und Verfahren bereithalten.» Zum vierten Mal kuratiert der Produktdesigner zusammen mit und für Mark Müller in dessen Galerie eine Ausstellung. Sie knüpft an seine 2015 gezeigte Untersuchung «La confusion des genres» an. Damals ging es ihm um die Schnittstellen, die zwischen Kunst und Design einen eigenen Raum eröffnen. Auch in der aktuellen Ausstellung geht es um den Blick auf unterschiedliche Disziplinen. Die Ausstellung versammelt sechzehn Positionen und Werke aus den Jahren 1993 bis 2018. Neu hinzu kommt die Architektur: sie ist mit dem Raum definierenden Objekt «Mirror» von Studio Anne Holtrop und mit zwei Arbeiten von Studio Mumbai vertreten.
 

Wie Kunstwerke auf einem Sockel präsentiert: die Kollektion «Berg|See» von Nora Wagner, Cornelia Tröschs Steinzeugobjekte und Carlo Clopaths Schale.
Auf einem Sockel präsentiert wirkt jedes Objekt museal. Cornelia Tröschs urtümliche Steinzeuggefässe machen augenfällig, wie der Prozess das Objekt mitdefiniert: Die verbrannte Asche hinterlässt Spuren auf dem stark schamottierten Material. Bis die blaue Verfärbung stimmte, bis sie das Material beherrschte, brauchte Nora Wagner unzählige Versuche mit dem 3-D-Drucker, der ihre Schalen aus der Serie «Berg | See» fertigt. Der Drucker übersetzt die topographischen Daten von Bergseen in delikate, zerbrechlich wirkende Objekte – die verwendete Keramik widerspricht der technischen Herstellung. Und in der mit Graphit eingefärbten, gedrechselten und in Segmenten gefügten Schale von Carlo Clopath, die so industriell gefertigt wirkt, schreibt sich das widerständige Material ein – wer genau hin- und hineinschaut, entdeckt die Spuren.
 

Carlo Clopaths «Structura» verbindet Joseph Marionis «Green Painting», das die Farbe fliessen lässt, mit Giacomo Santiago Rogados Bild «Intuition», in dem sich die Farbe auf der Baumwolle selbsttätig formiert.
Carlo Clopath hat mit dem freistehend platzierten Sideboard «Structura» ein weiteres Objekt beigesteuert, das zwischen Autonomie und Gebrauch die Balance hält. Das konzeptionelle Talent, mit welchem der Designer eine einzigartige Lösung findet, das Quellen und Schwinden der geseiften Fichtenbretter unter Kontrolle und also die Bretter in der Waagrechten zu halten, paart sich mit der handwerklichen Perfektion des Schreiners Serge Borgmann. Wo hört das Können auf, wo beginnt die Kunst?
 

Farbe spielt eine Rolle: Marcia Hafifs Gemälde hinter Keramik von Cornelia Trösch und Nora Wagner sowie Objekten von Carlo Clopath und Frédéric Dedelley. Rechts Wandobjekte von Urs Frei.
Farbe spielt eine zentrale Rolle. Auch sie verbindet Kunst mit Design, Design mit Kunst. Das zeigt sich am Vergleich von Marcia Hafifs Gemälde «FP: Rose Painting» und Frédéric Dedelleys orange eingefärbten, gedrehten Aluminium-Objekten. Aus völlig unterschiedlichen Positionen entwickelt, regt deren Nachbarschaft dazu an, über Farbe und ihre Rolle nachzudenken. Denn beide Werke setzen Farbe als Material ein: Bei Hafif, der grossen amerikanischen Monochromistin, macht die Farbe eine Fläche zum Raum. In Dedelleys Objekten lässt die farbig eloxierte Oberfläche die kleinen dreidimensionalen, perfekt gedrehten Körper in ein gerendertes Bild kippen.
 

Das Objekt «Mirror» von Studio Anne Holtrop definiert den Raum neu; rechts hat Reto Bollers «T-18.2 (gesichert)» seinen Platz gefunden.
Die Spannung, die zwischen dem Können und dem Loslassen in den einzelnen Werken ablesbar ist, überträgt sich auf die gesamte Ausstellung. Denn auch sie entsteht in einem Prozess, der das kuratorische Können mit dem Geschehenlassen befruchtet und umgekehrt. Material und Verfahren sind in diesem Spiel der Galerieraum mit seinen Idiosynkrasien, der zum Teil langjährige Austausch mit den Künstlerinnen und Designern, die Werke selbst und deren «Gespräch» untereinander. Frédéric Dedelley und Mark Müller haben sorgfältig ausgewählt. Die Inszenierung der Werke im Raum ist bedacht. Aber auch hier spielt der Zufall mit: So wurde die Arbeit «T-18.2 (gesichert)» von Reto Boller bei der Anlieferung gleich beim Eingang hingestellt, provisorisch. Die abgesägte Tischecke, die mit Kette und Schloss an der Wand befestigt wird, hatte damit ihren perfekten Platz gefunden. Als hätte sie von selbst gewusst, wo sie am besten zur Geltung kommt.

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