Den Begriff im Griff: Carmen Greutmann (*1956), Wolfgang Meyer-Hayoz (*1947), Urs Greutmann (*1959) und Mugi Yamamoto (*1988) beim Generationengespräch. Fotos: Rita Palanikumar

Was Design soll

Drei Generationen, ein Begriff: Mugi Yamamoto, Carmen und Urs Greutmann sowie Wolfgang Meyer-Hayoz sprechen über Design von 1988 bis heute – und in dreissig Jahren.

«Jeder Friseur nennt sich heute Hairdesigner», heisst es in der ersten Hochparterre-Ausgabe im November 1988 auf Seite 59. Der inflationäre Gebrauch des Begriffs Design war bereits im damaligen Porträt über die Düsseldorfer Gruppe ‹Kunstflug› siehe ‹Designer im Kunstflug›, Seite 27 ein Thema, und sogar der Vergleich zum Hair- und Naildesigner hat sich über die Jahre gehalten. Wie aber hat sich der Begriff seither entwickelt, was ist gleich geblieben, und wie hat sich das Berufsbild verändert? Drei Generationen treffen sich im Herbst 2018 zu einem Gespräch in der Designlounge des Museums für Gestaltung in Zürich: Mugi Yamamoto, 1988 geboren und als die besagte Ausgabe erschien, gerade mal sieben Monate alt. Er lebte mit seinen Eltern in Tokio, zog mit fünf Jahren in die Schweiz und arbeitet heute als Industriedesigner im Chamer Büro Ito Design. Mit dabei sind Carmen und Urs Greutmann, die vor dreissig Jahren mit dem eigenen Büro starteten und heute darüber nachdenken, wer ihr Geschäft dereinst übernehmen soll. Die Runde komplettiert Wolfgang Meyer-Hayoz, 1988 bereits zehn Jahre im Geschäft und Präsident der heutigen Swiss Design Association (SDA), die damals SID hiess.

Hochparterres Titelgeschichte ‹Designer im Kunstflug› setzte 1988 den Begriff Design erstmals ins Heft. Was ist Ihnen bei der Lektüre dreissig Jahre später aufgefallen?

Wolfgang Meyer-Hayoz:  ‹Kunstflug› provozierte, indem sie Bauhaus-Dogmen kritisierten. Damals sagte ich, wir brauchen Leute, die Design Research machen und Neues anstossen. Designer, die nicht nur auf die technischen Lösungen fokussieren, sind wichtig für die Branche – allerdings haben mir die ‹Kunstflug›-Macher nachträglich zu viel versprochen und ihre Ideen nicht weiterentwickelt.

Carmen Greutmann: Gerade fertig mit dem behüteten Innenarchitekturstudium an der Kunstgewerbeschule – wir Studentinnen durften kaum eine Fräse anfassen und wurden in Watte gepackt – fand ich deren Entwürfe total abgefahren. Ich dachte, so etwas würde ich auch gerne mal machen! Amüsiert hat mich die ‹Kunstflug›-Skizze eines Wandschranks: begehbar und mit Vitrine als Fenster – damals revolutionärer Entwurf, heute gewöhnliches Möbel.

Urs Greutmann: Ich wiederum wollte auf keinen Fall so enden: Mir ging es darum, mit Design Geld zu verdienen. Die Diskussion, die sie anstiessen, ist allerdings interessant. Auch heute noch gefallen mir die Statements verschiedener Designer über die ‹Kunstflug›-Ideen – wenn Stefan Lengyel etwa sagt, dass ‹Kunstflug› zwar die Kür mache, gutes Design aber nach der Pflicht verlange.

Mugi Yamamoto: Ich kannte ‹Kunstflug› nicht. Mich hat erstaunt, wie vieles ich wiedererkenne. In einer Ausstellung in New York sah ich vor zwei Monaten projizierte Tapeten – wie die ‹Kunstflug›-Installation ‹Kulissenmöbel›. Und sogar die heutigen Ticketautomaten ähneln dem ‹Fahrkarten- und Service-Automaten› für den Flughafen Düsseldorf. Ich hätte nicht gedacht, dass ich so viele Parallelen entdecke. Das war fast ein bisschen unheimlich (lacht).

«Vielleicht braucht es Design ja gar nicht mehr», provozierte ‹Kunstflug› vor dreissig Jahren. Würde das heute noch funktionieren?

Mugi Yamamoto: Auch heute provozieren Designer, indem sie die Disziplin und ihren Nutzen hinterfragen – es gibt aber genauso viele, die für die Industrie arbeiten wollen. Ich gehöre zur zweiten Gruppe.

Carmen Greutmann: Ideen, die damals provozierten, indem sie sich gegen die gängigen Produktionsprozesse stellten, finden sich heute oftmals im Kunstkontext und wirken so wenig provokant.

Die extravaganten ‹Kunstflug›-Entwürfe kommentierten die Kollegen 1988 als «Kunsthandwerk im besten Sinn». Was hat die Vermarktung von Design durch Galerien mit der Disziplin gemacht?

Carmen Greutmann: Einst galt, wenn sich etwas multiplizieren lässt, ist es keine Kunst mehr. Wenn ich heute an der Design Miami eine Vase aus Bronze sehe, die ein Kollege von uns entworfen hat, finde ich das schon seltsam. Die Grenze, wer Künstler ist und wer Designer, ist unscharf geworden.

Urs Greutmann: Ich sehe das pragmatisch, Design Art ist eine ökonomische Nische: Haben Designer und Architektinnen keine Aufträge mehr, machen sie Kunst.

Wolfgang Meyer-Hayoz: Für mich wiederum zeigt das Interesse der Sammler, welchen Wert Gestaltung darstellen kann, und deshalb fördert dieser Bereich unsere Profession. Ich empfehle jedem jungen Gestalter, auch freie Arbeiten mit neuen Materialien und Methoden zu wagen, das bringt frische Ideen.

Mugi Yamamoto, wie diskutiert Ihre Generation die Differenz von Kunsthandwerk und Design?

Mugi Yamamoto: Ich kenne viele Kolleginnen und Kollegen, die um die Welt reisen, in Afrika, Mexiko oder Island nach neuen Materialien suchen oder dort mit lokalen Handwerkern arbeiten. Zurück in der Schweiz versuchen sie die entstandenen Objekte zu kommerzialisieren. Oder aber sie starten direkt ein eigenes Geschäft mit selbst produzierten Kleinserien. Ich führe immer wieder dieselbe Diskussion: Sie verstehen sich als Industriedesigner, für mich sind diese Arbeiten aber Kunsthandwerk, weil sie nicht industriell produziert werden.

Sie arbeiten alle für die Industrie. Wie hat sich Ihr Alltag über die Jahre verändert?

Wolfgang Meyer-Hayoz: Stark verändert hat sich das Verhältnis zum Auftraggeber. Früher gab es meist einen einflussreichen Patron, der direkt in den Designprozess involviert war. Heute wechseln diejenigen, die entscheiden, alle zwei bis drei Jahre. Darunter leiden der ganzheitliche Ansatz eines Projekts und die langfristige Zielerreichung eines Unternehmens, was es eigentlich im nachhaltigen Sinn mit Design erreichen will.

Carmen Greutmann: Die Hierarchien in den Betrieben sind heute flacher. Manchmal hilft dieser niederschwellige Zugang, manchmal wird es für uns Designerinnen aber schwierig – wenn alle alles können und die Firmen behaupten, die Konstruktionsabteilung könnte unsere Arbeit ebenso gut erledigen.

Mugi Yamamoto: Wir arbeiten oft für asiatische Kunden. Direkt mit CEOs habe ich kaum zu tun, eher direkt mit dem Marketing oder den Konstrukteuren.

Urs Greutmann: Am stärksten verändert hat sich die Entwurfsarbeit und der Umgang mit dem Computer (siehe ‹Einzug der Mäuse ins Designstudio›, Hochparterre 11/18). Das merken wir besonders an unseren Studenten. Letzthin waren wir zu einem Workshop in China eingeladen und sollten mit einer Klasse die Möglichkeiten des Materials Bambus erforschen – die Studierenden waren so auf die Arbeit am Laptop konzentriert, es dauerte zwei Tage, bis sie den Werkstoff überhaupt anfassten.

Auch ‹Kunstflug› erprobte neue Technologien und prognostizierte eine elektronische Zukunft. Zentral waren für die Gruppe aber die Printmedien. Sie ging so weit zu sagen: «Wird ein Produkt von uns gedruckt, ist es so, als ob es produziert würde.» Welche Rollen spielen die Medien heute?

Mugi Yamamoto: Durch Publikationen generierten die Düsseldorfer offenbar auch Aufträge. Das ist noch immer so. Heute lässt sich ein Produkt via Blogs, Magazine und Social Media wohl noch schneller verbreiten – allerdings ist dadurch auch die Konkurrenz grösser. Für meine Diplomarbeit etwa war das extrem wichtig: Der Drucker ‹Stack› wurde ein Erfolg, obwohl er nie produziert wurde. Ich war nicht darauf vorbereitet, was dieser Rummel zur Folge haben würde. Ich hätte den Drucker gerne realisiert gesehen. Weil er aber schon publiziert war, blieb das Interesse der Hersteller an der Idee aus. Die Klicks und die Aufmerksamkeit haben mich zwar beruflich weitergebracht. Ich wäre aber froh gewesen, es hätte mich jemand davor gewarnt.

Carmen Greutmann: Nutzt ihr denn Social Media? Ich beobachte viele Studierende, die solche Plattformen nur noch für ihre Arbeit nutzen – alle persönlichen Inhalte löschen sie.

Mugi Yamamoto: Im Büro setzen wir Instagram vor allem ein, um Praktikantinnen und Praktikanten zu finden. Grössere Unternehmen engagieren Social Media Manager, um ihre Angebote über diese Kanäle zu pushen. Ich persönlich nutze sie nur spärlich. Um Aufträge zu generieren, gar nicht, dafür sind traditionelle Publikationen besser, sie werden ernster genommen.

Urs Greutmann: Presse ist vor allem gut für die Eitelkeit. Obwohl: Unseren allerersten Auftrag bekamen wir ebenfalls über einen Artikel in der NZZ. Dort wurde über den Braun-Preis berichtet, den ich mit meiner Diplomarbeit gewonnen hatte.

Wie hat sich denn das Verständnis auf Seite der Kunden bezüglich Design gewandelt – schon ‹Kunstflug› beklagte sich über «die veritable Design-Mode und Friseure, die sich Hairdesigner nennen»?

Wolfgang Meyer-Hayoz: Was Design ist und leisten kann, ist in vielen Betrieben angekommen. Eine kritische Entwicklung ist jedoch der firmeninterne Trend zum ‹Design Thinking›, also die Arbeitsmethode, wie eine Designerin oder ein Designer zu denken. Ich besuchte vor einiger Zeit ein Innovationsforum, bei dem auch ein Workshop zu diesem Thema stattfand. Wir bauten in kleinen Gruppen Türmchen aus Spaghetti, und alle waren happy. Allerdings gab es mehr als 200 Teilnehmende und viel Interesse. Es gilt also, diese ‹Bewegung› ernst zu nehmen und sie für unsere Profession mit sinnvollem Inhalt zu füllen.

Urs Greutmann: Die Methode an sich ist interessant. Positiv interpretiert kann es bewirken, dass sich Kunden die nötigen Prozesse besser vorstellen können. Ich empfinde ‹Design Thinking› aber eher als Konkurrenz. Es ist problematisch für unseren Berufsstand, wenn sich Laien nebenher mit Design beschäftigen. Umso wichtiger ist es, dass wir eine Rolle übernehmen, bei ‹Design Thinking›-Workshops etwa die der Moderatoren.

Mugi Yamamoto: Bemerkenswert ist wiederum, dass diese neue Arbeitsweise interdisziplinärer Teams für uns auch Aufträge schafft, weil sich durch die flexible Einrichtung die Möbel in den Büros verändern (lacht).

Welche Rolle spielt der Berufsverband SDA für Ihr Verständnis als Designerinnen und Designer?

Wolfgang Meyer-Hayoz: 1988 waren wir eine kleine Gruppe, damals noch mit Willy Guhl. Seither ist der Verband gewachsen, wir haben ein Sekretariat aufgebaut, das rund um die Uhr da ist, den Dialog mit der Industrie gesucht und uns gegenüber anderen Disziplinen geöffnet.

Urs Greutmann: Die ersten zwanzig Jahre unserer Tätigkeit waren wir nicht Mitglied im Verband. Beigetreten sind wir, um den Berufsstand zu unterstützen. In erster Linie interessiert mich aber ein Netzwerk mit der Industrie.

Mugi Yamamoto: Ich bin dabei, um die Interessen der Designer und die Branche zu stärken. Solche Netzwerke sind dafür enorm wichtig. Ich engagiere mich etwa auch für die Plattform ‹Money not Love›, denn viele Kreative haben dieselben Probleme: Wie kalkuliere ich, wie viel darf ich offerieren? Indem wir unsere Erfahrungen austauschen, vereinfachen wir die Arbeit aller.

Haben Sie im Studium nicht gelernt, Offerten zu schreiben?

Mugi Yamamoto: Nein, das lernte ich on the job.

Carmen Greutmann: Das war schon früher so und ist noch immer der Schwachpunkt vieler Ausbildungen: Kreative lernen nicht, wie sie sich verkaufen müssen und was sie für ihre Leistung verlangen können.

Wolfgang Meyer-Hayoz: Gerade deshalb ist es wichtig, sich mit Kolleginnen und Kollegen im Verband auszutauschen. Auch bezüglich des Selbstbewusstseins unserer Profession – eine aktuelle Umfrage zu den Honoraren soll zukünftig Orientierung geben. Schliesslich geht es auch darum, sich vielfältig auf die Anforderungen der Zukunft vorzubereiten. Hierfür finde ich den Begriff der ‹World Design Organisation› wertvoll: Design als strategisches Tool soll mithelfen, die Probleme der Welt in einem optimistischen und konstruktiven Sinn zu lösen. Diese globale Definition wäre vor dreissig Jahren nicht möglich gewesen, den Blick auf das grosse Ganze gab es damals noch nicht.

Mugi Yamamoto, Sie sind dieses Jahr dreissig Jahre alt.Was wünschen Sie sich für die nächsten dreissig Jahre?

Mugi Yamamoto: Wir Designer müssen unsere gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen und so die Disziplin stärken – damit sie in Zukunft noch ernster genommen wird.

 

Sehen Sie in einem Video, wie Mugi Yamamoto, Carmen und Urs Greutmann sowie Wolfgang Meyer-Hayoz im November 1988 ausgesehen haben.


Hier geht es zur Titelgeschichte ‹Designer im Kunstflug›

Kunstflug: Die Cover-Geschichte der ersten Ausgabe Hochparterre.

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