Wie verhandeln Sie? Wählen Sie eines der Tiere – und lesen Sie unten, für welches Verhaltensmuster beim Verhandeln es steht. Fotos: Barbara Schrag

Spiegeln lernen

Mit dem Hersteller über Rechte am Entwurf verhandeln, mit dem Bauherrn über Honorare – ein Workshop lehrt geschicktes Verhandeln in Design und Architektur.

Es treffen sich ein Fuchs, zwei Elefanten, eine Eule, eine Giraffe und ein Adler – so beginnt für einmal kein Witz über Tiere im Wald, damit startet der Rechtsanwalt Robert Stutz den Workshop ‹Erfolgreich und selbstbewusst verhandeln› in seiner Kanzlei an der Thunstrasse in Bern. Aufgereiht auf einem Tisch in der Mitte des Sitzungszimmers der Stadtvilla stehen Gummifigürchen, wie sie früher die Kinderärztin nach dem Untersuch verteilte. «Wählt alle ein Tier, dessen Charakter euch bezüglich euren Erwartungen an den heutigen Kurs durch den Tag führt», begrüsst der Leiter die fünf Teilnehmerinnen und Teilnehmer – eine Textildesignerin, eine Landschaftsarchitektin, einen Industriedesigner, einen Architekten und einen Fotografen.

Danach startet der Dozent mit knapper Theorie: Was verhandeln bedeutet, und auf welchen Ebenen wir kommunizieren. Nur etwa zu einem Fünftel hänge vom Inhalt ab, ob wir ein Gespräch oder einen Vortrag als gelungen beurteilen, den Grossteil bestimme die nonverbale Kommunikation – also Intonation, Mimik und Körpersprache. Die Zahlen und Fakten, die jemand in einem Gespräch vermittelt, sollen den Verlauf einer Verhandlung also kaum beeinflussen, viel wichtiger sei es, wie jemand verhandelt. Diese Prämisse bestimmt den Rest des Tages: Im Workshop werden nicht Markenrecht und Designschutz vermittelt, sondern Tipps und Tricks fürs richtige Auftreten und Lesen des Gegenübers.

Panther – der Krieger: Sie beweisen den eigenen Wert durch Stärke und Mut und leben den Grundsatz ‹Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg›.

Kein Opfer sein

Wie aber kommt ein rational denkender Rechtsanwalt, Dr. iur. LL.M., auf die Idee eines solchen Workshops? «Immer wieder wurde ich von Designerinnen und Designern angefragt, juristische Inhalte zu vermitteln», erzählt Stutz, der als rechtlicher Berater für die Swiss Design Association arbeitet. Er ist auf Designrecht spezialisiert und Mitautor eines Kommentars zum schweizerischen Designgesetz. Doch je öfter er über geistiges Eigentum und Geschmacksmuster dozierte, desto klarer wurde ihm: Ob jemand beruflich erfolgreich ist oder scheitert, entscheidet sich anderswo.

Stets hörte er im Lauf seiner Beratungen dieselben Aussagen: «Ich bekomme den Pitch eh nicht», «Die nehmen sowieso nicht mich», «Im Ausland arbeiten sie ohnehin billiger». In diesen Aussagen ortet der Anwalt den Kern des Problems: «Es sind lauter defensive Glaubenssätze, die jede Art von Verhandlung bereits im Vorhinein verloren glauben – mit dieser Einstellung hilft alles Wissen über Lizenzverträge nichts.» Zwar gebe es Naturtalente, die sich zu verkaufen wüssten, die seien in gestalterischen Berufen aber untervertreten. Deshalb setzt Stutz nun woanders an. Zog er zu Beginn noch die Berner Kommunikationspsychologin Jnes Müller bei, bildete er sich vor vier Jahren zum Coach, Trainer und Systemcoach weiter und absolviert eine Ausbildung zum Supervisor. Nun gibt er die Kurse selbst oder gemeinsam mit der Human-Resource-Fachfrau Irene Morueco – nicht nur für Kreative, sondern etwa auch für Ärzte. Er lehrt die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, in Gesprächen auf den Atem des Gegenübers zu achten, zeigt auf, warum es für den Verlauf der Verhandlung wichtig ist, Fragen zu stellen, und vermittelt ihnen, was Spiegelneuronen sind.

Schaf – das Opfer: Sie halten sich für machtlos und glauben nicht, die Kontrolle über Ihre Handlungen zu haben.

Mitfühlende Neuronen

Anfang der Neunzigerjahre untersuchten italienische Neurologen, wie das Gehirn eines Affen arbeitet, wenn das Tier nach Futter greift. Dabei stellten sie überrascht fest: Bestimmte Nervenzellen im Affenhirn feuerten nicht nur, wenn das Tier selbst nach einer Erdnuss greift, sondern auch, wenn der Makake nur dabei zusieht, wie ein anderes Tier oder einer der Forscher die Hand nach der Nuss ausstreckt. Die Zellen, folgerten Giacomo Rizzolatti und Vittorio Gallese, spiegeln die Bewegung eines Gegenübers.

Zwar kritisieren vor allem jüngere Neurowissenschaftler einen zu lockeren Umgang mit den wenig erforschten Spiegelneuronen, die in Populärliteratur für allerhand herhalten mussten. Dennoch scheinen Sympathie und Vertrauen essenziell, geht es darum, die Gefühle anderer nachempfinden und angemessen darauf reagieren zu können. Wir erleben ein Gespräch, ja selbst einen kontroversen Dialog, als gelungen, wenn er achtsam und respektvoll geführt wurde – wer allerdings immer nur mit sich selbst und dem beschäftigt ist, was sie oder er sagen will, kann nicht auf andere eingehen und hinterlässt beim Gegenüber ein ungutes Gefühl.

Füchsin – die Jägerin: Schlau und gerissen, schlagfertig und damit auch eine geschäftstüchtige Verhandlerin.

Rollen spielen

Diese Inhalte vermittelt Stutz anhand von Situationen aus dem Alltag der Teilnehmenden. «Je anschaulicher ein Problem behandelt wird, desto besser», sagt er. «Um etwas zu lernen, muss jemand erleben, wie sich dieses oder das andere Verhalten im konkreten Fall anfühlt.» Den Nachmittag widmet die Gruppe deshalb Rollenspielen und systemischer Aufstellung. In einer ersten Runde sitzt die Textildesignerin einem Produktmanager – gespielt vom Fotografen – gegenüber, um ihr Projekt zu verkaufen. Stutz steckt dem Vorgesetzten immer wieder Zettel mit neuen Eigenschaften zu, die er verkörpern soll: ‹abwehrend›, ‹autoritär›, ‹besserwisserisch›, ‹ängstlich›. Die Designerin wiederum versucht anzuwenden, was sie am Morgen gelernt hat. Es ist interessant zu sehen, wie sie mit Gegenfragen seinen Argumenten begegnet. Diese Taktik funktioniert besonders gut, als der Produktmanager Angst äussert, seinen Entscheid vor seinem Verwaltungsrat rechtfertigen zu müssen. «Wovor haben Sie konkret Angst?», fragt sie. Und weiter: «Was könnte denn passieren, wenn Sie sich für eine Zusammenarbeit mit mir entscheiden?» Indem sie abermals nachhakt und ausformuliert, steht die angebliche Angst weniger dominant im Raum, und das Gespräch verläuft gleichwertiger.

Auch schön zu sehen, wie die Designerin die Theorie des Spiegelns versucht: Sie wählt ähnliche Wörter wie der Produktmanager, spricht von ‹Touchpoints› und ‹Personas›, streicht sich durch die Haare, wenn er es tut, oder greift synchron zum Kugelschreiber. «Die Kunst dabei ist, das Gegenüber nicht nachzuäffen», kommentiert Stutz. Zwar sind die Spiegelneuronen eine interessante Entdeckung – sie taugen aber nicht als Universalformel. An ihre Grenzen kommt die Designerin tatsächlich, als der Manager mit vermeintlichen Designrechtsfakten argumentiert. «Auch wenn der Inhalt nicht matchentscheidend ist – natürlich ist eine gute Vorbereitung nötig», mahnt der Kursleiter. Welche Grundkenntnisse empfiehlt er? Stutz: «Man sollte den Unterschied zwischen Design- und Urheberrecht, Marke und Patent kennen – also was sich an einem Entwurf schützen lässt und unter welchen Voraussetzungen.» Dann sei es nötig, die wichtigsten Elemente zu kennen, die in einen Vertrag gehörten – gehe es etwa darum, Rechte zu übertragen, was einem Verkauf gleichkomme, oder Lizenzen, der Vermietung ähnlich. Und schliesslich müsse man die Branchenüblichkeit kennen, also wie viel andere für bestimmte Leistungen verlangen.

Opossum – das Ängstliche: Ängstliche zeigen sich in Verhandlungen als schüchternes Mauerblümchen oder als kontrollierter Spielverderber.

«Die Hände kribbeln»

Auf die Rollenspiele folgt eine systemische Aufstellung einer Verhandlungssituation. Dabei stellt ein Teilnehmer die anderen Personen stellvertretend für bestimmte Menschen und eine konkrete Frage im Raum auf. An diesem Nachmittag in Bern ist es der Industriedesigner. In seinem Fall geht um einen Hersteller, der sich die Rechte am Entwurf sichern will, ohne dafür zu bezahlen. Die Textildesignerin übernimmt die Rolle des Industriedesigners, ihr gegenüber stehen der Chef der Firma und etwas hinter ihm der Produktentwickler, mit dem er verhandeln muss. Als alle durch den Designer platziert sind, fragt Stutz die Stellvertreter der Reihe nach, wie sie sich fühlen und ob der zugewiesene Platz für sie stimmt. «Meine Hände kribbeln.» – Fühlt sich jemand unwohl, gilt es, dies eine Zeit lang auszuhalten. Erst später dann: «Besser einen Schritt nach rechts.» Nach einigem Hin und Her simulieren die Stellvertreter auch hier nochmals ein mögliches Gespräch, der betroffene Designer beobachtet die Szene. Erst ganz zum Schluss fordert Stutz ihn auf, seine Position einzunehmen. Er übernimmt den Platz der Textildesignerin und soll nun dem Firmenchef seine Forderung klar und deutlich sagen – hier passiert Wunderliches: Der vorher selbstsichere Designer, der am Morgen den Adler gewählt hatte, wirkt plötzlich einen Kopf kleiner, seine Stimme versagt, und es fällt ihm schwer zu sagen, was er sich vorgenommen hatte: «Meine Arbeit ist es wert, angemessen bezahlt zu werden.»

Adler – der Herrscher: Sie streben nach Kontrolle und Macht, leben diese Autorität auch in der Verhandlung und zeigen wenig Bereitschaft, vom eigenen Standpunkt abzuweichen.

Warum sind solche systemischen Aufstellungen Teil des Kurses? «Sie liefern keine konkreten Antworten, es geht darum, sich einer persönlichen Herausforderung bewusst zu werden», erklärt Stutz. Deshalb ist er auch mit Analysen vorsichtig: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollen selbst entdecken, woran sie zukünftig arbeiten und in welche Richtung sie sich entwickeln wollen. Beim Designer etwa sei es faszinierend gewesen zu sehen, wie ihn im entscheidenden Moment das Selbstbewusstsein verliess – so etwas lasse sich trainieren.

Schimpansin – die Schöpferin: Experimentierfreude und Kreativität sind Ihre Markenzeichen. Sie wollen Ihre Visionen in die Tat umsetzen, und zwar zu jedem persönlichen Preis.

Drei Wochen später

Weil die Teilnehmenden anonym bleiben wollten, befragen wir Designerinnen und Designer früherer Kurse nach ihren Erfahrungen. Servicedesignerin Lena Sunier hat sich Wissen für ihr Projekt ‹Ethiket› geholt: «‹Wer fragt, führt› ist ein Grundsatz, den ich seit dem Kurs mit mir trage und anwende», sagt sie. Besonders geschätzt hat sie Stutz’ anschauliche Didaktik – durch die Rollenspiele etwa. Der Landschaftsarchitekt Roger Jans wiederum hatte die Aufstellung als Methode in einem solchen Kurs nicht erwartet: «Es braucht viel Vertrauen gegenüber den anderen Kursteilnehmern, weil ganz persönliche Schwächen zutage treten.» Er kann sich aber vorstellen, dass einen diese Blösse im Alltag vorwärts bringt. Für seine Arbeit, bei der er zu Beginn über Honorare und bei Projektanpassungen über Mehrleistungen verhandeln muss, sind die vermittelten Tricks nützlich. Auch Milan Rohrer schliesslich, der als Industriedesigner und Fotograf arbeitet, fand den Kurs gelungen. Allerdings fehlten ihm nebst dem Verhandeln von Angesicht zu Angesicht angemessene Online-Strategien: «Der grösste Teil läuft heute via E-Mail, da bringen Spiegelneuronen leider wenig.» Ein Input, der sich für den Dozenten zu bedenken lohnt. 

Wer eine konkrete Handlungsanweisung sucht, ist in Robert Stutz’ Kurs an der falschen Adresse. Empfehlen lässt sich so ein Tag aber allen, die eigene Verhaltensmuster durchbrechen und neu denken möchten.

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