Minou Afzali, Design Researcher, in den für sie konzipierten massgeschneiderten Kleidern. Fotos: Daniel Sutter

Persönlichkeit zeigen

Global agierende Modekonzerne, E-Commerce und Instagram schmelzen Modetrends zum Einheitsbrei. ‹A Post-Globalized Style Book› lotet neue Ansätze des Kleidermachens aus.

Ob wir eine Strasse in Mailand, Shanghai oder Warschau entlanggehen, macht kaum einen Unterschied – überall tragen Passanten fast dieselben T-Shirts, Hosen oder Pullover. Die Modedesignerin Sandra Lemp und der Grafiker Jörg Kühni versuchten mit einem Gedankenexperiment, die globalisierte Bekleidungskultur der Gegenwart aufzubrechen.

Sie baten zwölf Probandinnen, sich in ihre Kinder- und Jugendjahre zurückzuversetzen und den Vorstellungen über das eigene Erwachsensein nachzuspüren. Diese fiktive Zeitreise lieferte Ideen für eine Serie grob skizzierter archetypischer Outfits. Ihre massgeschneiderten Kleider präsentierten die Probanden in der Publikation ‹A Post-Globalized Style Book›. Die Suche nach neuen vestimentären Ausdrucksformen ist für Lemp und Kühni auch ein Versuch, über künftige Formen des Modedesigns und der Herstellung von Kleidern zu spekulieren.

Was motivierte Sie, dieses Projekt zu initiieren?
Jörg Kühni: Eine Beobachtung. Wir können Fotografien nicht mehr klar durch darauf abgelichtete Artefakte wie Kleider oder Möbel einer Stilperiode zuordnen. Seit Mitte der 1990er-Jahre erkennen wir keinen sichtbaren modischen Paradigmenwechsel mehr – jedenfalls nicht mit Eindeutigkeit. Wir vermuten einen Zusammenhang dieses Phänomens mit der weltweiten Gleichzeitigkeit, erzeugt durch Internet, Social Media und hyperglobalisierten Wertschöpfungsketten. Instagram & Co. führen nicht zu mehr stilistischer Vielfalt, sondern zu einem weltumspannend immer schneller rezyklierten Einheitsbrei.
Sandra Lemp: Als Designerin beschäftigt mich zudem die Frage, welche Bedeutung meine Arbeit mit Textilien in dieser Zeit des Überflusses hat. Wäre es möglich, nur ein paar Outfits zu besitzen, die als eine Art individuelle, metaphorische Uniform funktionieren? Wie kann ich das Konzept des künstlerischen Designprozesses umdenken und Kleider nur noch ‹made on demand› anbieten? Wie können wir uns ein Kleidungsstück als Ausdrucksmittel, als zweite Haut aneignen und zurückerobern?

Céline Omole, Schülerin

Monica Germann, Künstlerin

Stefan Humbel, Dozent

Erkannten sich die ProbandInnen in den für sie entworfenen Kleider wieder?
S.L.:
Wir hatten höhere Ambitionen. Im besten Fall sollten sie darin unerkannte oder vergessene Facetten ihrer selbst entdecken. Informationen aus Fragebögen und Gesprächen dienten als Grundlage für Moodboards und Skizzen. Aus diesem Prozess formten wir Metaphern, auf denen die Gestaltung der Outfits basiert. Die Ideenfindung war ein kollaboratives Projekt, doch der initiale Entwurf entstand in meinem Atelier. Das erste Zusammenspiel von Person und Outfit war spannend. Manches funktionierte auf Anhieb, bei anderen brauchte es radikale Umdeutungen des Entwurfs, ohne dabei die ursprüngliche Metapher aus den Augen zu verlieren. Für manche ProbandInnen ergab sich ein ‹Aha-Moment› erst bei der Betrachtung der fotografischen Portraits.     

Wie könnte man das Projekt weiterdenken?
J.K.:
Ganz unmittelbar suchen wir zunächst finanzielle und verlegerische Unterstützung für eine Publikation von ‹A Post-Globalized Style Book›. Der Titelzusatz ‹Vol.1› soll indes nicht suggerieren, dass wir bald ‹Vol. 2› realisieren. Er ist vielmehr unser Eingeständnis, dass wir kein abschliessendes Buch zu so einem uferlosen Thema liefern können. Dasselbe Buch wäre ja auch aus anderen konzeptionellen Blickwinkeln realisierbar, etwa mit einem textil-technologischen statt einem künstlerischen Ansatz. Eine Möglichkeit könnte sein, dass wir unser ursprüngliches Konzept in Partizipation mit Fachpersonen aus anderen Disziplinen weiterdenken und umsetzen könnten. Konkret haben wir das Experiment zudem für die Lehre adaptiert.

Vorerst liegt ‹A Post-Globalized Style Book› als Prototyp vor.

Das Projekt ist Teil einer interdisziplinären Ausstellung an der Schule für Gestaltung in Bern.

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