‹Rosebud›: Wenn der Schlittenholm zur Garderobe wird und Schatten wirft, wird die Erinnerung an Orson Welles wach. Fotos: Klemens Grund

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Designer können eintauchen in Phantasie und Geschichten wie wenige andere Berufsleute. Wenn der Schlittenholm zur Garderobe wird und Schatten wirft, wird die Erinnerung an Orson Welles wach.

Die Garderobe ‹Rosebud›: Acht Schlittenkufen aus Eschenholz sind an zwei konzentrische, um Unterarmlänge versetzte Stahlreifen geschraubt und halten das Möbel aufrecht. Am Ende der Bogen sind Kerben gefräst. An ihnen können Taschen eingehängt werden, auch Hüte und Jacken. Um dieses Möbel zu verstehen, ist ein kleiner Überbau nötig. Überall steht etwas. Stuhl, Tisch, Bett und auch Garderobenständer sind erfunden. Das ist eine schlechte Zuversicht für die Designerinnen, Fabrikanten und Händlerinnen. Aber sie ist nur scheinbar elend. Denn jeder Architekt will nicht nur eine Stadt, mindestens ein hohes und gewiss ein schönes Haus bauen, sondern auch ein Möbel, einen Stuhl am liebsten. An kreativem Druck ist kein Mangel. Und – die Diagnose war im Prinzip ja schon vor hundert Jahren richtig. Dennoch ist das Design- und Möbelgewerbe keineswegs untergegangen.

Diese unglaubliche Fülle, die Problemlosigkeit und der kreative Druck geben dem Möbelschaffen einen weiten Spielraum. Designer können eintauchen in Phantasie und Geschichten wie wenige andere Berufsleute. Sie können Dinge erfinden, die alle schon erfunden sind, und die dennoch viele lieben und begehren. Wir wollen an die Garderobe nicht nur den Mantel hängen, sondern sie auch als Zeichenspender nutzen, um uns aufzuladen mit Ausstrahlung, sei sie bürgerlich bieder oder elegant. Hilfreich ist, wenn der seinen Mantel abgebende Gast die Geschichte hinter dem Mantelhalter auch lesen kann. Im Fall dieser Garderobe ist gut, wenn er cineastisch gebildet ist, ist ‹Rosebud› doch der prominenteste Schlitten der Filmgeschichte. Orson Welles hat damit das Kindheitstrauma seines ‹Citizen Kane› abgebildet: Arbeiter verbrennen Kanes alten Schlitten ‹Rosebud›. Des Helden Erinnerung an seine Kindheit geht auf immer verloren.

Die Garderobe ‹Rosebud›: Acht Schlittenkufen aus Eschenholz sind an zwei konzentrische, um Unterarmlänge versetzte Stahlreifen geschraubt und halten das Möbel aufrecht.

So sagt uns die Garderobe, dass auch wir uns als kleine Kanes erinnern an einst, in Blitzeseile die Traumata der Kindheit verjagen können, geläutert den Mantel über eine der Kufen werfen und die Kennerschaft unseres Gastgebers lobend zu Tische gehen. Wo dann ‹Rosebud› schon Gesprächsstoff liefert. Aber auch ohne Filmliebhaberei stiftet die Garderobe Sinn: Was gibt es doch nicht immer wieder für Phantasie, ein Problem, das schon lange gelöst ist, neu zu lösen! Und wer auch das nicht sinnen mag, hat schlichte Freude an der Plastik des Readymade für Mantel, Hut und Schirm.

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