Ein grosser des Designs ist gestorben
Michael Erlhoff, der Designprofessor und heitere Mensch aus Köln, ist am 1. Mai gestorben. Er war ein Ermutiger, ein Kritiker und ein Kreuz&Querdenker. Ein Nachruf von Köbi Gantenbein.
Abendämmerung in Fläsch. Ich sitze am Donnerstag Abend am Fenster meiner Stube, schaue in den Garten und höre die Kantate «Wie der Hirsch schreit». Es ist tröstliche, berührende Musik von Felix Mendelssohn mit einem schönen Schlusschor: «Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir?» Am Morgen hatte ich mit Uta Brandes in Köln telefoniert und gehört: Michael Erlhoff, ihrem Gefährten, ihrem Mann und Einundalles, geht es ganz schlecht. Ich ahnte, dass er sterben wird; am 1. Mai ist er gestorben.
Ich lernte Michael Erlhoff als junger Hochparterri 1989 kennen. Er war Geschäftsführer des Rates für Formgebung und Autor pfiffiger Aufsätze, die Kulturwissenschaft und Design verbündet haben. Ich wollte mich in Frankfurt kundig machen, was Hochparterre sinnvoll mit Design auch noch tun könnte. Auch Heidi hatte ja einst in dieser Stadt allerhand fürs Leben gelernt. Die Fahrt vor über dreissig Jahren begründete eine Freundschaft: Zu ihr gehörte Uta Brandes – nur einmal traf ich ihn in all den Jahren allein. Zur Freundschaft gehörte Gastfreundschaft mit gutem Essen und Trinken. Er liebte französischen Käse und guten Fisch; ich entdeckte dank ihm die ausgezeichneten deutschen Brote; ich erschien nie ohne eine Schachtel Luxemburgerli, die er «Schprünglis» nannte – das «i» betonend, um mir so seine Referenz an meine Schweizer Sprache zu geben. Auf dem Kleber, der die Schachtel zumacht, steht: «Bitte sofort geniessen». Ihn amüsierte köstlich, wie «Schprüngli», das Wesen der Schweiz auf den Kopf stelle. Und wir haben aus dem Spruch eine Designtheorie der Differenz zwischen Kulturen entwickelt. Ich bewunderte seine enorme Gelehrsamkeit und Belesenheit, schätzte sein scheinbar endloses Beziehungsnetz und mochte seine lebhafte Phantasie. Er schätzte nebst den «Schprünglis» aus Zürich und dem Rotwein aus der Bündner Herrschaft meine bodenständige Neugierde, er bewunderte mein erfolgreiches Kleingewerblerleben und staunte, dass ich mich auf seinem Jahr um Jahr weiter ausgelegten Parkett ins weltweite Design nicht elegant, sondern mit Bergschuhen, Seil und Haken bewegt habe. Verbunden hat uns eine herzliche und treue gegenseitige Zuneigung.
Hochparterre hat einen Gönner verloren; mein Beruf war der Beginn unserer Bekanntschaft. Drei Denker haben der Art, wie wir den Begriff Design für Hochparterre eingerichtet haben, die Grundlage gegeben. Lucius Burckhardt, Norbert Elias und Michael Erlhoff. Alle drei schienen früh in Hochparterre auf – der steinalte Soziologe Elias in einem seiner letzten Interviews; Burckhardt immer wieder in kleinen Begegnungen – mit Michael Erlhoff und Uta Brandes habe ich über lange Jahre geredet, wie Design im Wirbel von Warenästhetik bis Ethnografie, von Gesellschaftskunde bis zur technischen Verfertigung eine Zeitschrift sinnvoll machen könnte. Die Weltluft, die Offenheit, die Neugierde für die eckige Runde, die die Grundlage des Unternehmens Hochparterre auszeichnen, haben viel mit ihm und Uta zu tun – Briefe, Telefonate, Besuche waren verständnisreiche, ab und zu harte Kritiken – «ach, ach, ihr Schweizer». Rührend war, wie Michael Erlhoff mich und Benedikt Loderer mit Anregungen zum Gedeihen des Kleingewerbes im Spätkapitalismus 1991 ermuntert hat, den Verlag auf eigene Beine zu stellen. Auf seinem Balkon an der Hahnenstrasse 8 in Köln stiftete er Jahre später eine Begegnung mit dem Besitzer der Zeitschrift Form an, mit der Idee, Hochparterre solle sie kaufen – gescheitert ist der Handel nicht am Geld, aber Benedikt Loderer oder ich hätten nach Deutschland zügeln müssen – das ging nicht. Zu weit weg von den Bergen. Er hat es schwer verstanden: «Ach, ach, Du Schweizerlein.»
Neugierig hat Michael über all die Jahre Hochparterres und meinen Weg verfolgt, und bedauert, dass ich mich immer mehr den Alpen und der Landschaft zugewendet habe – das sei schon recht, aber kein Vergleich mit der Welthaltigkeit und Bedeutung von Design. Und überhaupt – zu viel zu Fuss gehen und ausserhalb der Stadt leben, sei ungesund. Mit den Alpen hatten wir es dennoch zusammen: Als Präsident der Raymond Loewy Foundation lancierten er und Uta einen Designkongress; ich brachte den Ort ein und so gründeten sie 2000 den «St. Moritz Design Summit», der sechsmal im Hotel Suvretta-House in Saus und Braus über die Bühne ging. Ich war gerne der Fremden- und Bergführer für die Weltrunde von Designstars aus Amerika, Japan und Europa. Und schmunzelte, wie Michael Erlhoff Hof halten konnte – eloquent, heiter, selbstbewusst. Und die Tabakindustrie zahlte die Zeche aller.
Nach seiner Zeit beim Rat für Formgebung wurde Michael Erlhoff 1991 Gründungsdekan und Professor für Design an der Fachhochschule Köln, und Uta Brandes Professorin. Sie holten mich als Lehrer dahin. Einen, zwei Blockkurse jährlich übers Zeitschriften machen gab ich ein paar Jahre lang und war also Zaungast, wie sie und ihre Kolleginnen und Kollegen die Designabteilung komplett auf den Kopf stellten. Sie gaben der Ausbildung eine kulturwissenschaftliche und -historische Grundlage – er war ein begeisterungsfähiger Lehrer in Designgeschichte. Sie lösten die Ausbildung aus der berufskundlichen Fessel und es gelang ihnen, mit der Köln International School of Design KISD eine der über Deutschland hinaus wichtigen Hochschulen für Design aufzubauen und zu etablieren. Könner des handfesten Industrial Design lehrten da ebenso wie Forscherinnen zu neuen Themen wie Gender Design oder Service Design. Grossen Wert legte der Dekan darauf, seine Professorinnen und Professoren freundschaftlich zu verbünden bei gutem Essen und Trinken. Mich berührte, wie stolz er bei den für die ganze Abteilung öffentlichen Freitagspräsentationen auf die Studentinnen und Studenten war. Er lobte und pries auch pringe Entwürfe als mögliche Gassenfeger und Kassenschlager. Und nach der Schau brach er auf und spurte wie ein Chefarzt im grossen Spital auf Visite allen voran durch die Gänge zur nächsten Schau – mit der rauchenden Zigarre in der Hand.
Ich war in den Neunziger Jahren neben Hochparterre auch Lehrer für Design an der heutigen Hochschule der Künste in Zürich. Die Kunstgewerbeschule war unterwegs zur Fachhochschule machte mich zum Leiter des Studienbereichs Design. Ich hatte zusammen mit meinen Kolleginnen und Kollegen ein Curriculum zu entwerfen, das auch in Zürich das Design von der Berufs- in die Hochschule verwandeln sollte. Mit unseren Plänen im Koffer reiste ich immer wieder nach Köln an die Hahnenstrasse 8, wo Michael Erlhoff meine Gedanken kritisierte und bereicherte. Er legte so Spuren im Design in der Schweiz, denn bis ins Jahr 2002 war ich fleissig, mit der Auflösung des klassenweisen Unterrichts, mit Blockkursen von Koryphäen, mit der öffentlichen Präsentation der Projekte und mit kulturwissenschaftlicher Grundierung den Studienbereich Design zu verwandeln.
Michael Erlhoff kam 1946 zur Welt. Er studierte Literaturwissenschaften und Soziologie und arbeitete am Theater; er gab zusammen mit Uta Brandes – die zwei waren ein Lebenspaar – eine Kunstzeitschrift heraus und betreute den Kurt Schwitters Almanach; Erlhoff war ein Kenner des Dadaismus und baute mit Uta Brandes eine kleine Sammlung zeitgenössischer Kunst auf – «unsere Pensionskasse». An der Documenta 8 in Kassel war er für das Thema Design engagiert und prägte es fortan in Deutschland und in der Welt mit – als Lehrer, als Redner, als Ausstellungsgestalter, als Schriftsteller, als Netzeknüpfer, als Ermunterer und Performer. Von 1991 bis 2013 war er Gründer, Leiter, Herz und Seele der KISD; nach der Emeritierung stieg er bald als Ehrenprofessor in Braunschweig ein, reiste mit Uta redend und lehrend um die Welt. Vor einem Jahr erkrankte er schwer, erholte sich nach grossen Operationen, mochte wieder ab und zu Zigarren schmauchen und war unerschütterlich optimistisch. Vor ein paar Tagen erschien sein letztes Buch und sein erster Roman: «Musils Mulis». Er spielt in Hannover, Berlin und vor dem Paradies.
Ich kondoliere Uta Brandes herzlich, verlassen nun auf der Erde – ohne Mikel.