Rosmarie Baltensweiler in Ebikon. Fotos: © BAK / Marc Asekhame

«Design als Teamarbeit»

Einer von drei «Grand Prix Design 2019» geht an die Leuchtenmacherin Rosmarie Baltensweiler. Hier die Laudatio von Jörg Boner, dem Präsident der Eidgenössischen Designkommission.

Ein Holzbau mit Giebeldach, in den steilen Hang gebaut. Unterhalb die Luzernerstrasse. Vielbefahren. Wir sind in Ebikon, kurz vor Luzern. Währenddem unten Shops und Imbisse um Aufmerksamkeit buhlen, ist es oben beschaulicher. Viel grün, Chalets, Kleingewerberäume, der Blick in die Luzerner Voralpen. 

Ich komme nicht mal bis zur Tür. Schon kommt mir Rosmarie Baltensweiler auf den Vorplatz entgegen. Die Begrüssung draussen unter freiem Himmel. «Ich bin die Rosmarie», bietet Sie mir gleich bei der Ankunft das Du an. Viel eher einer Direktheit, einer Unmittelbarkeit geschuldet, denn einer Formsache. Ich trete ein, wir setzen uns an das Ende eines langen Tisches, der früher mal noch viel länger war. Damals als alle Mitarbeiter der Firma Baltensweiler sich hier regelmässig zur Morgenpause einfanden. Sie, immer mitten drin, als Designerin genauso wie als Unternehmerin. 

Ihr erster Satz in unserem Gespräch bricht gleich mit einem der hartnäckigsten Mythen im Design. «Weisst Du», sagt sie mir, «Design habe ich immer als Teamarbeit verstanden.» Zuerst mit ihrem Mann Rico, später kamen Mitarbeiter dazu, Techniker, und in jüngerer Zeit auch Designer. Entwerfen ist eine dialogische Angelegenheit. Im besten Fall ist eine Idee grösser als die Summe aller daran Beteiligten. Rosmarie Baltensweiler ist der Sache verpflichtet. Schon das alleine wirkt wie Balsam in der heutigen Zeit. Gerade heute, wo wir Nachhaltigkeit, Sorgfalt und Umsicht einfordern. Manchmal aber vergessen haben, wie man das bewerkstelligen könnte. Alles beginnt mit dem Entwurf. Definitiv. Und dennoch, Design ist mehr als die Fähigkeit schön zu zeichnen. Denn die schöne Zeichnung nützt wenig, wenn man sie nicht lebt. 

Ein Baltensweiler-Entwurf für Knoll aus dem Jahr 1959.

Aber erstmal alles von Anfang an. Wenn man denn so genau wüsste, wann und wie etwas beginnt. Rosmarie Baltensweiler arbeitet in den frühen Fünfzigerjahren bei Max Bill. Er, zu der Zeit schon stark engagiert an der Schule in Ulm. Sie, beschäftigt mit der Realisation von Projekten des Studios Bill. Beispielsweise mit dem Länderpavillon an der Triennale in Milano. Für sie taten sich neue Welten auf in dieser Hauptstadt des Designs. Milano, die südliche Version der Schriften zur guten Form. Rico ihr damaliger Freund und späterer Mann war fast ein bisschen eifersüchtig auf soviel Welt und Weltgewandtheit. Nicht verlegen vertiefte er sich in die Texte Bills. Studierte präzise seine Arbeiten. Was die Leuchten betrifft, sagt der Ingenieur und Tüftler zu Rosmarie, da wäre noch ein bisschen was zu machen. Erste gemeinsame Leuchten entstanden. Meistens in den Abendstunden, neben Beruf und Familie. Der Rest ist grosse Schweizer Designgeschichte.

Rosemarie Baltensweiler: «Design habe ich immer als Teamarbeit verstanden.»

Als Rico im Jahre 1987 überraschend starb führte Rosmarie Baltensweiler das Unternehmen mit Ihren Kindern weiter. Inzwischen ist schon die dritte Generation im Betrieb. Die Firma Baltensweiler produziert heute mit rund 40 MitarbeiterInnen Leuchten in Luzern. Ein Gang durch alle Leuchtenentwürfe, die mit den vielen unterschiedlich geformten Teams, in denen Rosmarie Baltensweiler immer eine tragende Rolle gespielt hat, entstanden, wäre in diesem Rahmen nicht zu machen. Nur schon die wichtigsten Entwürfe zu nennen wäre ein abendfüllendes Programm. 

Nur ein paar der unzähligen Baltensweiler-Leuchten.

Am Guggerli, einem der sehr frühen Entwürfe zeigt sich so viel, das sich später bestätigen wird. Bunte Rohre in verschiedenen Längen. In den Rohren weisse, leuchtende Glaskugeln, die das Licht durch Ausschnitte in der Aussenwand des Kunstoffrohrs in den Raum entlassen. Die Kugeln sind frei drehbar und so entsteht auf einfachste Art und Weise gelenktes Licht. Aus jeder der Kugeln fällt ein Kabel und wird damit zu einem Teil der Inszenierung.

Das «Guggerli» ist einer der sehr frühen Entwürfe.

Der Entwurf scheint von einem Denken in Systemen weit entfernt. Er atmet viel künstlerische Freiheit. Und ist bei näherer Betrachtung doch sehr überlegt und systematisch entwickelt. Fast nonchalant liegen die Kugeln auf tiefgezogenen Verformungen ins innere der Rohre. Eine Mechanik, die keine sein will. Fast unsichtbar, selbstverständlich. Diese Leuchte ginge heute glatt als gefeierte Neuheit durch. Sie hat aber schon mehr als 60 Jahre auf dem Buckel. Was für ein Beweis, wie nachhaltig echte Schönheit sein kann. Als ich Sie nach dieser Leuchte frage, lacht Rosmarie Baltensweiler schelmisch: «Ja, die ist auf meinem Mist gewachsen.» Sie nennt sie kunstgewerblich. Vielleicht trägt sie einfach eine sprühende Jugendlichkeit in sich, eine Frische. Und das heute noch, genauso wie damals.

Blick ins heutige Baltensweiler-Lager.

Leuchten nehmen in der Welt der Produkte eine Sonderstellung ein. Einerseits sind sie Teil der Räume, im weitesten Sinn also Teil einer Atmosphäre. Andererseits sind es Geräte mit einer klaren Funktion. Es gilt also die Balance zu halten zwischen einem durchdachten, technischen Anspruch und einem visuellen Ausdruck. Einer Ästhetik, der Form. Die rein künstlerische Herangehensweise führt genau so wenig zum Ziel wie die technische Lösungsfindung. Rosmarie Baltensweiler kann Beides. Und das ist sehr selten. In Zeiten in denen Designer Ihre Entwürfe gerne den firmeninternen Produktentwicklern überlassen um sie fertig zu lösen und umzusetzen. Serienreif zu machen. Wenn man entwickelt, dann muss man sich mit hunderten, scheinbar sehr profanen Problemen umschlagen. Denn ein streifendes Schraubenköpfli kann ganze Konzepte lahmlegen. Das verlangt Bodenhaftung. Und genau diese Bodenhaftung ist wiederum gefährlich für die Fähigkeit Konzepte visionär zu denken. Für die Schönheit, die Raffinesse in Form und Ausdruck. Das ist ein Teufelskreis. Rosmarie Baltensweiler kann sich darin bewegen und kann diese zwei diametralen Pole balancieren. 

Die Type 600: Sechs Gelenke geben ihr Form und Namen.

Und wenn wir von Balance sprechen, dann führt uns das unweigerlich auf die Type 600 Leuchte. Sechs Gelenke machen sie aus und geben ihr den Namen. Sie sind dazu da, eine feine Balance in allen Lagen zu halten. Immer mit dem Ziel den emblematischen Leuchtenkopf an den richtigen Ort im Raum zu führen. Die Leuchte muss der Realität standhalten. Oder noch besser, wie in diesem Fall, sie muss in der Realität tanzen, sich scheinbar mühelos bewegen lassen, so dass man nicht mehr von ihr ablässt. Le Corbusier hat sie in Musterwohnungen eingesetzt. Bei Jaques Tati hat sie eine Rolle im Film «mon Oncle» erhalten. Knoll International bekam eine optimierte Version, die in ein kleines Paket passte. 

Und nun noch eine kleine, grosse Sache, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte: Immer wieder, in der ganzen Firmengeschichte von Baltensweiler, arbeiteten auch Leute im Betrieb, die wohl kaum je eine Stellenbewerbung geschrieben hätten. Autostöppler, die Ihr Mann Rico manchmal von seinen Auslieferungstouren mit nach Hause brachte. Oder Jugendliche, die grad ein paar Dinge auf dem Kerbholz hatten. Oder ganz einfach Leute, die grad in einer Krise in ihrem Leben standen. In Rosmarie Baltensweilers Worten hört sich das so an: «Die konnten zu uns kommen und in unserem Unternehmen ein bisschen auftanken. Lebenselixier finden. Bis sie dann wieder weiterzogen. Oder blieben. Die schöne Zeichnung leben, auch davon handelt dieser Grand Prix.

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