Alessandro Mendini (1931-2019), hier in einer Aufnahme von 2014. Foto: Wikicommos Fotos: Wikicommons

Alessandro Mendini, lassù

Alessandro Mendini ist gestern in Milano 87-jährig gestorben. Er stand ein für die Revolution des zeichenhaften Designs.

Was kommt nach der Moderne? In Italien wurde diese Frage früher als anderswo gestellt. Alessandro Mendini und seine Kollegen des Radical Design antworteten darauf mit einer Reihe von spielerischen, zeichenhaften, emotionalen Entwürfen. Sie waren radikal in ihrer Absage an den Funktionalismus – und verhalfen der Postmoderne im Design zum kommerziellen Durchbruch. Doch davor ging es im Kollektiv erst um das grosse Ganze, um eine Neubestimmung des Designs, befreit von Industrie und modernistischen Dogmen. 1973 war Mendini Gründungsmitglied der Gruppe Global Tools, einer Initiative, an der neben Archizoom, Gruppo 9999 und Superstudio auch Designer wie Ettore Sottsass und Gaetano Pesce teilnahmen. 1978 schloss sich Mendini dem von Antonio Guerriero 1976 gegründeten Studio Alchimia an: hier traf er auf Designerinnen und Designer wie Ettore Sottsass, Michele De Lucchi, Andrea Branzi und Paola Navone, aber auch auf Robert und Trix Haussmann – ein Netzwerk, das sich selbst als postradikales Diskussionsforum verstand, allerdings weniger politisch agierte als Global Tools. Im selben Jahr entstehen Mendinis Re-Designs, als ironische Kritik am naiven Fortschrittsglaube und mit heldenstürzlerischer Freude dekoriert er Marcel Breuers Sessel B3 und ein Thonet-Stuhl um, bringt an Gio Pontis Stuhl «Superleggera» kleine Fähnchen an und erweist mit dem  Sessel «Proust» eine Hommage an den französischen Schriftsteller. 1981 verliess Ettore Sottsass die Gruppe und gründete die weniger konsumkritische Gruppe Memphis. Mendini arbeitete ab 1989 zusammen mit seinem Bruder Francesco im Studio Mendini.

Der an Politechnico Milano ausgebildete Architekt, der ebenso gerne und schwungvoll zeichnete und schrieb wie er entwarf, war Chefredaktor von Casabella, Modo und Domus, von Zeitschriften, die er als Teil eines Designprozesses verstand wie die Aufträge, die er für Alessi, Swatch, Cassina, Zanotta und andere ausführte: ein Design, das zeichenhaft, experimentell und auf überraschende Weise alltägliche Handlungen animierte wie es der Korkenzieher «Anna G» vorführt, den er für Alessi entwarf.

Doch bevor es so weit kam, musste im Feuer verschwinden, was als Phönix aus der Asche steigen sollte, in einer legendären Aktion, die Mendini konzipierte, dokumentierte, verwertete und die seinen erweiterten Designbegriff auf den Punkt bringt. Seine ikonische Aktion um den Lassù-Stuhl von 1974 kann im Nachhinein als Startpunkt für die Postmoderne im Design gelesem werden – genauso wie Charles Jencks die Sprengung der Pruitt Igoe-Siedlung 1972 als Start der architektonischen Postmoderne sah. Wie kam es dazu? Mendini entwarf mit dem Lassù-Stuhl (dt.: dort oben/dort hinauf) ein Bild des idealen, einfachstmöglichen Stuhls, ein Ausdruck, der nichts anderes sein sollte als die Verkörperung der modernistischen Auslegung von Sullivans «Form ever follows function». Er setzte den Stuhl wie einen Thron auf einen Sockel, zündete das Objekt in zwei Ausführungen an und dokumentierte die Aktion, die vor den Büros der damals von ihm herausgegebenen Zeitschrift Casabella stattfand. Eines der Bilder verwendete er als Cover für die Ausgabe 391 – ein Ritual, eine Aktion, eine Skulptur, der Arte Povera verwandt, aber wohl auch eine ironische Referenz an die Vergangenheit und vor allem ein Befreiungsschlag, der die Grenze zwischen Kunst und Design niederreissen sollte. Bei einer zweiten, noch im selben Jahr veranstalteten Aktion, verbrannte Mendini einen mit Stufen versehenen Lassù für ein Werbebild der Produktlinie Bracciodiferro (dt.: Eisenarm). Der italienische Möbelproduzent Cassina wollte unter diesem Namen Objekte anbieten, die den Widerspruch zwischen Design und Industrie betonen. Teil dieser Produktlinie waren auch Entwürfe von Alessandro Mendini. 

Die Emanzipation vom industriellen Apparat als allein formbestimmend gelang Alessandro Mendini auch deshalb, weil er Design als Arbeit am Ausdruck verstand. So bereitete er und andere seiner Generation das Autorendesign vor. Mit dem steten Risiko, dass die Einzigartigkeit der Autorschaft  kommerziell vermarktet wurde und die Radikalität des Aufbruchs in banalen stilistischen Wiederholungen ertrank. Es ist Zeit, nicht nur die Originale wieder zu entdecken, sondern vor allem den damit verknüpften Anspruch, dem Mendini treu blieb. Von oben nun wird Alessandro Mendini gewiss neugierig auf die Fortsetzung herunterschauen.

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