Pierre Keller war von 1995 bis 2011 Direktor der Lausanner Ecole Cantonale d'Art. Fotos: Anoush Abrar

Adieu, Pierre

Pierre Keller, Grafiker, Künstler und charismatischer Ex-Direktor der ECAL, ist am Wochenende 74jährig in Gilly (VD) gestorben.

Auch nach seinem Rücktritt als Direktor der ECAL im Juni 2011 war mit ihn zu rechnen. Bestens vernetzt im In- und Ausland, portierte er die Schule und deren Studierende, in Juries, Reden und in Ausstellungen. Sein Arbeitsinstrument war sein Adressbuch, das der begnadete Netzwerker bei jeder Gelegenheit hervorzog; seine bevorzugte Spielwiese der Apéro, zu dem nie ein Vin du terroir fehlen durfte. Sein Einfluss war umgekehrt proportional zu seiner Körpergrosse und spiegelte die unerschöpfliche Energie, mit der er sich für das Design einsetzte.

Pierre Keller war Grafiker, der an derselben Schule ausgebildet wurde, die er als Direktor zu internationalem Ruhm bringen sollte. Doch die Grafik war dem Verleger, Künstler, Kunstberater, Organisator und Motivator nie genug. Seinen Weg zum Pädagogen und Schuldirektor fand er über die Werbung und die Kunst. Als Sohn eines Waadtländer Maler- und Gipsermeisters, der Solides für seinen Sprössling im Sinn hatte, floh Keller früh aus der Enge der Schweiz. Sein künstlerisches Werk begann er im New York der 1970er Jahre, in dessen Kunst- und Schwulenszene er eintauchte und in einem fotografischen Tagebuch mit über 4000 Polaroids festhielt. Die radikal subjektive, tabulose Sicht auf diese Zeit erschien letztes Jahr in Buchform unter dem bezeichnenden Titel «My Colourful Life».

Zugleich wusste Keller stets, wie wichtig Institutionen als Hebel sind, um eigene Interessen voranzutreiben. Er repräsentierte die Schweiz bei Ausstellungen wie etwa 1983 bei der Internationalen Biennale von São Paulo. Später war er Mitglied der eidgenössischen Kommission für Kunst und Gestaltung. An der 700-Jahr-Feier amtete er von 1988 bis 1991 als Delegierter der Waadtländer Regierung und erarbeitete sich beste Referenzen. Vier Jahre später übernahm er die Leitung der ECAL, einer über die Stadt verzettelten Schule für Gestaltung. Der damalige Erziehungsdirektor Jean-Jacques Schwaab hatte Keller gegen die Empfehlung der Berufungskommission durchgedrückt. Und ihm dem Auftrag erteilt, aus der Kantonalen Kunstschule die beste Schweizer Fachhochschule für Kunst und Design mit internationaler Ausstrahlung zu machen.

Keller spürte, dass im industriell geprägten Westen Lausannes Entwicklungsmöglichkeiten liegen, verfügte über die nötigen Kontakte in die Waadtländer Regierung und in die Kommunalpolitik. Er hatte das Talent, seinen guten Freund, den Architekten Bernard Tschumi, sowie den Besitzer der aufgelösten Strumpffabrik Iril in Renens für ein gemeinsames Projekt zu begeistern. Den Kontakt zum Besitzer stellte übrigens ein Schüler her, der einst den Zeichenunterricht von Pierre Keller am Gymnase du Bugnon besuchte. Keller wollte dem Ort eine neue Bestimmung einhauchen und konnte sich ein Denkmal setzen.

Die Schule führte er von Beginn weg wie eine Kreativagentur. Er sah sie nicht als nationales, sondern als internationales Institut und hatte wenig Sinn für eidgenössische Zusammenarbeit. Entsprechend genervt reagierten die Kollegen Hochschuldirektoren auf seinen grossspurigen Auftritt, der durch ungezählte Presseartikel und Preise an Schwung gewann. 2006 tauchte die ECAL auf der Bestenliste der Business Week auf, welche die 26 weltweit besten Designuniversitäten erkor, ein Jahr später erhielt Pierre Keller den Merit Award des Design Preis Schweiz – unter vielen anderen Auszeichnungen.

Der Patron, als den er sich selbst gerne sah, setzte auf Hierarchie und Dialog, doch das bestimmende Prinzip der Schule war stets die Auswahl, und dieses Prinzip wurde von keinem so konsequent verkörpert wie von Pierre Keller. Seine Entscheidungen beendeten den Dialog, im Kleinen wie im Grossen. Damit steuerte er die Wahrnehmung seiner Institution und erreichte, dass der Schule ein Einheitsstil vorgeworfen wurde. Im Spiel um Aufmerksamkeit hatte er indes gute Argumente: Man müsse schliesslich erkennbar bleiben. Der einzige Student, die einzige Studentin, die er nicht leiden könne, seien zukünftig arbeitslose Designer. Das gelte es zu vermeiden.

Die Erfahrung, die Keller aus dem Italien der Sechzigerjahre mitbrachte, wo er das Werk der Designer Joe Colombo, Bruno Munari oder des Grafikers Franco Grignani schätzen lernte, die Zeit im London der Siebziger- und in New York der Achtzigerjahre, die er als Künstler erlebte: das alles zeigte ihm, dass Design mehr leisten müsse als bestehenden Funktionen eine Hülle zu liefern. Also deutete er Design semantisch um. Die eingängige Idee interessiert ihn. Für diese Öffnung des Designs steht Pierre Keller, und darin liegt sein Erbe. In seiner Rolle als Vermittler und prägendem Direktor einer Designhochschule hat er das Design Schweizer Herkunft in dieser Hinsicht wohl stärker geprägt als jede andere Gestalterpersönlichkeit der letzten dreissig Jahre.

 

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