Gaiser malt ein vielfiguriges Bild der Bundesrepublik nach dem Krieg. Es ist ein düsteres Gemälde mit einigen Farbtupfen, schreibt der Stadtwanderer.

Zu Adenauers Zeiten

Der Krieg ist aus, das Elend schwindet, der Wohlstand naht, die Zuversicht kehrt wieder. In Neu-Spuhl beginnt das Wirtschaftswunder. Das beschwören sechs Stimmen. Ein literarisches Kabinettsstück.

Gerd Gaiser? Ja, der schwirrte in der Literatur über die Stunde null und aufwärts durch die Zeilen. Ein einziges Buch immer nur: Schlussball. Auf dem Flohmarkt, wo der trainierte Blick die Fundstücke aussucht, entdeckte ich einen blauen, gebundenen Leinenband unter der geklebten Menge der eskapistischen Taschenbücher. Voilà, der Schlussball. Es war wie ein fernes Raunen. Erschienen 1958, ist das Buch entschlossen modern, genauer, löst die autoritäre, allwissende Erzählstimme in sechs Monologe auf. Jeder erzählt abwechselnd und durcheinander die Nacht des Schlussballs der Tanzschule in Neu-Spuhl aus einem je anderen Blickwinkel. Es entsteht ein Sprachgewebe, das die deutsche Nachkriegszeit am Beispiel einer Provinzstadt ohne Eigenschaften ausbreitet. Gaiser erzeugt das Gerede in der Kleinstadt, bildet den Klatsch ab, der herumwaberte, ich bin als Leser mittendrin und weiss nicht, was los ist. Denn erst ganz am Schluss wird angedeutet, was in dieser Nacht geschah. Alle reden so, als wüsste ich als Leser längst, was da passierte. Schlimmes jedenfalls. Diese literarische Mischtechnik war das Neue an dem Buch und auch das Modische. Hinterher hat kaum noch jemand etwas von Gerd Gaiser gehört und gelesen. Ich hab dann nachgeschaut: Geboren 1908, ein Pfarrerssohn, wurde Gaiser Maler, studierte Kunstgeschichte, wird Lehrer und Zeitschriftenautor, tritt 1933 in die NSDAP ein, überlebt den Krieg als Fliegeroffizier in bodensicheren Stäben, ist nach dem Krieg Kunsterzieher, zum Beispiel Professor an der Hochschule Reutlingen. Er stirbt 1976 geachtet, bepreist und vergessen. Gaiser ist einer der Mitstreiter Friedrich Sieburgs, der eine ähnliche Karriere vor, im und nach dem Krieg hinter sich hat und das Leitfossil der Adenauerzeit in Sachen Literatur ist. Das Gegenteil ist die Gruppe 47, die Zusammenrottung der Nonkonformisten.      Doch zurück zum Schlussball. ...
Zu Adenauers Zeiten

Der Krieg ist aus, das Elend schwindet, der Wohlstand naht, die Zuversicht kehrt wieder. In Neu-Spuhl beginnt das Wirtschaftswunder. Das beschwören sechs Stimmen. Ein literarisches Kabinettsstück.

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