Band II: Katia Frey und Eliana Perotti (Hg.): Frauen blicken auf die Stadt – Architektinnen, Planerinnen, Reformerinnen. Theoretikerinnen des Städtebaus II.

Sichtbar machen, sichtbar werden

Frauen in der Geschichte des Städtebaus? In den Standardwerken kommen sie so gut wie nie vor. Gab es sie also nicht? Und ob. Nur wissen wir es nicht. Weil wir sie nicht sehen. Zwei Bücher füllen Lücken.

Frauen in der Geschichte des Städtebaus? Vittorio Magnago Lampugnani und andere haben wunderbare Standardwerke zu diesem Thema geschrieben. Doch Stadtplanerinnen und Architektinnen kommen darin so gut wie nie vor. Gab es sie also nicht? Und ob. Nur wissen wir es nicht. Weil wir sie nicht sehen.

Das Buch «Frauen blicken auf die Stadt» macht Beiträge von Frauen zur Geschichte des Städtebaus sichtbar. Da ist eine Adelheid Poninska, die, 1804 in Schlesien geboren, bis ins Alter zur Grossstadt forschte und sich im industrialisierten Deutschland für Reformen im Wohnungsbau zugunsten von Fabrikarbeiterfamilien einsetzte. Da ist eine Maria Pasolini, 1856 bei Mailand geboren, welche die bedrohte alte Gartenbaukunst Italiens erforschte und dokumentierte. Da ist Helena Syrkus, polnische Jüdin, mit ihrem Mann Szymon diskussionsfreudiges und prägendes Mitglied der engagierten polnischen Delegation an den CIAM und von 1945 bis 1954 deren stellvertrende Vorsitzende. Aber erst nach dem Tod von Szymon und anderen männlichen Schwergewichten fasste Helena ihre eigene Sicht auf die CIAM in einer Publikation zusammen, die sich deutlich etwa vom Blick eines Siegfried Giedions unterscheidet und damit eine alternative Geschichte der CIAM bietet. Die jüngste im Buch vorgestellte Architektin ist Wenyuan Wu, die sich als Dozentin und mit ihrem Büro Apecland in Shenzen für eine sozialverträgliche Stadtentwicklung einsetzt. Man kann nur ahnen, wie schwierig dieses Engagement im heutigen chinesichen Umfeld ist.

«Frauen blicken auf die Stadt» ist bereits der zweite Band in der Reihe «Theoretikerinnen des Städtebaus». Unter der Leitung der beiden Herausgeberinnen Katja Frey, Kunst- und Städtebauhistorikerin, und Eliana Perotti, Städtebau- und Architekturhistorikerin, steuern weitere Wissenschaftlerinnen Texte bei. Der teils etwas hochgestochene akademische Duktus hätte zwar noch eine Runde Lektorat vertragen, um die Texte zugänglicher zumachen. Aber dramatisch ist es nicht, beide Bücher sind gut lesbar. Neben den Aufsätzen enthalten sie auch Quellentexte. Im Vergleich mit reich illustrierten Bänden eines bereits erwähnten Vittorio Magnano Lampugnani sind diese beiden Bücher extrem bescheiden, mit viel geringeren Mitteln produziert. Abbildungen gibt es wenige und nur in Schwarzweiss, der Satz ist klein und dicht.

Wer sich davon nicht abhalten lässt, wird belohnt nicht nur mit bisher unbekannten, teils alternativen Theorien und Perspektiven auf den Städtebau. Sondern auch mit Lebensgeschichten, Sitten- und Gesellschaftsbildern. Denn die Texte sind zugleich immer auch Biografien der vorgestellten Frauen.

Inhaltsverzeichnis des 2. Bandes, Seite 1.

Inhaltsverzeichnis des 2. Bandes, Seite 2.

Bleibt eine Frage: Ist es richtig, ein Buch «nur» über Frauen herauszugeben und das Risiko einzugehen, dass es den Geschlechtergraben vertieft? Täte man nicht besser daran, Theoretikerinnen und Theoretiker thematisch zu ordnen als nach Geschlecht? Natürlich wäre das «normaler». Aber wir sind noch nicht bei dieser Normalität, beim Selbstverständlichen, das nicht mehr erklärt werden muss. Schon gar nicht in der Geschichtsschreibung. Da heisst die Phase noch Aufarbeiten und Aufklären. Und deshalb sind diese Bücher gut und wichtig. Sie erzählen uns von Frauen, die bisher unsichtbar und deshalb unbekannt waren. Man weiss nur, was man sieht, lautet das Goethe-Zitat, doch das Umgekehrte gilt genauso: Wir können nur von diesen Frauen wissen, wenn wir sie auch sehen können.

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Kommentare

Stefan S 25.06.2019 14:33
liest sich so als sei es endlich mal wieder ein spannendes Buch zum Thema Städtebau. Ich bin gespannt und freue mich auf die zwei Bände.
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