Zwar spielt das Buch in Irland, doch las ich immer Schweiz. Geschildert wird, was auf uns zukommt: Der Bürgerkrieg, schreibt der Stadtwanderer.
Benedikt Loderer hat ‹Das Lied des Propheten› gelesen. Paul Lynch beschreibt darin den Bürgerkrieg in Irland. Wer wissen will, was in der Schweiz droht, findet in diesem Buch eine Blaupause.
«Ihr Mann ist in Gewahrsam, Mrs. Stack, Sie gelten als Sicherheitsrisiko. Und da hat sie das Gefühl, als wäre hinter ihr ein wildes Tier hereingekommen und liefe im Raum auf und ab, sie nimmt das Formular und faltet es langsam zusammen, steckt es in die Handtasche, sieht zu wie der Vorgesetzte den Stuhl verlässt, hört die lautlosen Schritte des Tiers, spürt seinen Atem im Nacken, hat Angst, sich umzudrehen. Die stummen, sitzenden Gesichter glotzen auf ihre Handys.»
Dieses Buch ist betäubend. Ich atmete ganz flach beim Lesen. Ich bin abgebrüht, gerate kaum in Beklemmung, doch diesmal ging es mir unter die Haut. Das liegt an der Sprache. Sie erzählt nüchtern und sachlich vom Bürgerkrieg, doch schildert sie ebenfalls die innere Bewegung, die der Hauptfigur geschieht. Eilish Stack lebt mit ihrem Mann Larry und vier Kindern in einem Hüsli in einem Vorort von Dublin zu Zeiten des Bürgerkriegs. Ihr Mann wird verhaftet, der älteste Sohn geht zur Rebellenarmee, das Netz zieht sich langsam zu.
Der Bürgerkrieg kommt näher, das Leben wird täglich schwieriger, der Strom fällt aus, im Supermarkt sind die Regale leer, die Geheimpolizei macht ihre Besuche. Die Nachbarn schweigen. «Eilish lächelt in das gepuderte Gesicht, sieht die pinkfarbenen Lippen, von Speichel weich, dann merkt sie, wie sie der Mut verlässt, erkennt jetzt das Ungesagte, wie sich ihr Gespräch auf Fragen nach den Kindern beschränkt, niemand will über Larry sprechen.» Die Diktatur wird schärfer. Sie wird entlassen. Die Frontscheibe ihres Autos wird nachts zertrümmert. Sie schläft mit ihren Kindern im Erdgeschoss, weil es im ersten Stock zu gefährlich ist. Die Rebellenarmee erobert ihr Quartier. Doch bringt das nicht Jubel und Erlösung, nein, nur eine andere Bedrückung.
Die bleierne Zeit schleicht sich in ihr Leben. Die Anpassung, das Sichducken, das Ausweichen, das Misstrauen, die A...
Was auf uns zu kommt
Benedikt Loderer hat ‹Das Lied des Propheten› gelesen. Paul Lynch beschreibt darin den Bürgerkrieg in Irland. Wer wissen will, was in der Schweiz droht, findet in diesem Buch eine Blaupause.
07.10.2024 09:28