Für Büchermenschen wie mich war es ein Paradiesgarten in dem seltene und wunderbare Blumen blühen, schreibt der Stadtwanderer.

Im Paradiesgarten des Buches

André Tavares hat nachgeforscht wie Architektur und Buch verwandt sind. Der Stadtwanderer hat «The Anatomy of the Architectural Book» gelesen und ist begeistert.

Frage: Was ist der Zusammenhang zwischen dem körperlichen Erleben eines Gebäudes und dem haptischen beim Lesen eines Architekturbuchs? Weiter: Wie sind die Bücher gebaut, die dem Publikum die Architektur zu vermitteln? Die Antworten darauf sind das Ziel von «The Anatomy of the Architectural Book». Wie macht man aus Architektur Bücher und wie machen Bücher Architektur also. André Tavares packt seine Erkenntnisse zwar in ein akademisch wasserdichtes, fussnotengespicktes Buch, doch geht es ihm nicht um die graue Theorie, sondern ums praktische Machen und die Wirkung.


In der Einleitung steht, dass erst als das stille Lesen begann, Satzzeichen notwendig wurden, «which became a essential tool in the production of meaning». Die Produktion und das Werkzeug, dafür interessiert sich der 1976 geborene portugiesische Architekt und Verleger André Tavares. Ein Beispiel: Die Erfindung der Lithographie durch Alois Senefelder ermöglichte den billigen farbigen Druck. Die Debatte, ob die griechischen Tempel weiss oder farbig waren, hatte damit ein Darstellungsinstrument gefunden, ja war erst mit der Lithographie zu führen. Die Weltausstellung von 1851 ist die erste, auch die erste farbig gedruckte.


Wir schauen Sigfried Giedion zu, wie er das populäre Büchlein «Befreites Wohnen» von 1929 zusammenstellt, zusammenklebt, zusammenschreibt. In dieser Reihenfolge. Das Buch wird handwerklich auf dem Zeichentisch erarbeitet. Das Layout, die Bilder, der Schrifttyp, das Format transportieren die hygienische Botschaft, noch vor dem geschriebenen Wort.


Weltausstellung und «Befreites Wohnen» sind die Ouvertüre zur Oper mit fünf Akten. Sie heissen: Textur, Oberfläche, Rhythmus, Struktur und Massstab. Es treten auf: Die verschiedenen Drucktechniken, Papier, Bindung, Schrift, Fotographie und alles, was zur Herstellung nötig ist. Doch nicht ein Lehrbuch fürs praktische Büchermachen liegt vor mir, sondern ein Wegweiser durchs bibliographische Beziehungsgeflecht.


Doch habe ich mich beim Lesen und noch mehr beim Schauen kaum um den Bauplan des Buches gekümmert. Für Büchermenschen wie mich war es ein Paradiesgarten in dem seltene und wunderbare Blumen blühen. Ich spazierte darin herum und liess mich überraschen und staunte. Der Strauss der berühmten Bücher war hier neu gebunden und einige bisher übersehene Blüten tauchten auf. Andersherum: Selbstverständlich traf ich Vitruv auf meinem Weg, Palladio, Le Corbusier, Wright, Durand, Koolhaas, Mendelsohn, Pugin, Rossi, Ruskin, Semper, Serlio, Sitte, Vignola, Violet-le-Duc und Wöllflin ebenso. Doch von Fortunato Depero, Humphry Repton, Giovanni Volpato, Tallis’s Steetviews oder Jean-Rodolph Perronet habe ich noch nie etwas vernommen. In einer Wundertüte findet man immer auch Überraschungen, das Buch ist ein Schatzkästlein.


Es ist ein Buch für den lesenden Architekten, eines für den Geschichtsfreund auch. Doch erzählt es keine lineare Geschichte vom Anfang zum Ende oder von unten nach oben, nein es ist eher wie der Gang durch ein Museum. Von Saal zu Saal wechseln die Themen Textur, Oberfläche, Rhythmus uns so weiter wie oben angekündigt. Es gibt auch keinen zwingenden Ablauf, man kann das Buch auch unter Missachtung des Gänsemarschs der Kapitel lesen.
Zusammenfassend: Ein Buch für meinesgleichen.

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