Eine wundersaubere Cartonagearbeit, die mir zurief: Mach mich auf!, schreibt der Stadtwanderer.

Die rote Schachtel

‹Mach mich auf!› ruft das edle Buch ‹Blendwerk› von Christoph Hess dem Stadtwanderer Loderer zu. Er liest es und stellt es in die Abteilung Raritäten.

Die Visarte Biel veranstaltet jedes Jahr den ‘joli mois de mai’. Jeden Tag ist Vernissage, denn die Künstler stellen nur einen Abend lang aus. Da fand ich am Rand einer tumultösen Ausstellung eine rote Schachtel mit einem goldenen Fleck darauf. Eine wundersaubere Cartonagearbeit, die mir zurief: Mach mich auf! Drin war ein sorgfältiges, edles Buch mit den Verwirrtitel ‹Blendwerk›. Beim Aufklappen fiel eine Vinylplatte heraus, die im Innendeckel wohnte. Seite A ‘Potpourri’, Seite B ‘Quodlibet’. Dazu die Warnung: Hören kann zerstören! Die Tonspur läuft von innen nach aussen und die Nadel endet am Ende auf den Plattenteller.

Es geht also um Musik. Strotter Inst., wohinter sich der Musiker, Autor, Architekt und so weiter Christoph Hess verbirgt, macht Gegenwartsmusik, man muss anwesend sein. Er beschreibt das in ‘Vom Unterschied’ mit sprachlicher Schärfe: «Für die Daheimgebliebenen wird ein Konzert zur reinen Erzählung. Auf Tonträger habe ich die Kontrolle, live die Aufmerksamkeit. Auf Tonträgern sind keine Fehler erlaubt, live kann nichts fehlen, da gibt es keine Lücke, nur Präsenz.» Also geht es um das Musikmachen. Wozu das noch ein Buch braucht, vor allen ein so teuer gemachtes? «Ist es Ruhm, ist es Gefallsucht, Geltungsdrang oder ist es Hochmut? Nun ja, dazu sind zu wenig Leute im Publikum, die Auflage ist zu klein…käme noch Sonderlingssucht oder Seltsamkeitsfieber in Frage. Da Strotter Inst. nicht leidet, ist auch Passion keine schlüssige Erklärung.» Es ist Selbstermächtigung, Strotter Inst. feiert sich selbst. «Alle Inhalte sind willkürlich und doch so präzise wie möglich.»

So vorbereitet betrete ich das künstlerische Universum des Christoph Hess. Ich finde mich darin schwer zurecht, immerhin glaube ich gemerkt zu haben, dass das Buch am roten Faden der Produktionen der Strotter Inst. aufgereiht ist. Leben und Werk also. Sein Instrument ist der Lenco-Plattenspieler im Doppel. Wie das tönt, weiss ich nicht, nie gehört. Doch bin ich Leser, nicht Hörer und ja, Seher bin ich auch, das Buch ist eine Augenweide. Schrieb Till Kniola, ein Musikjournalist: «strotter inst. schafft klang fürs auge. ausgehend vom turntable – einer technischen gerätschaft zwischen gebrauchsgegenstand und musikinstrument – erzeugt christoph hess griffige texturen, die von rhythmischen schneisen durchpflügt werden.» Hören sie’s geneigte Leserin, mitbewegter Leser?


Das Buch führt vor. Die Konzerte mit Hintergrund und Nebenbühne, une quincaillerie sonore, die Stücktitel lassen aufhorchen: Monstranz, Minenhund, Bolzplatz, Griesgram/Querulant zum Beispiel. Ich schlenderte im Buch herum, nichts zu suchen, das war mein Sinn. Gefunden hingegen habe ich viel, ‘Haderlump – eine Hasstirade’ zum Beispiel. Dort steht: «Sie glauben stolz, ihre Wurzeln zu kennen, bleiben aus Angst und gehalten durch politischen Kunstdünger ihren geistig beschränkten Vororten treu.» Da applaudiert der Stadtwanderer. Dagegen setzt Gerhard Meister, ein Schriftsteller: «Das Stampfen des industriellen Zeitalters, die Trommelwirbel des urbanen Dschungels, das Dröhnen des modernen Alptraums Christoph Hess holt es aus seinen alten Plattenspielern heraus.» Wahrscheinlich Hans-Henny-Jahnn-mässig. Schau ich mir das edle Buch an, so weiss ich, das wird später eine Antiquariatskarriere machen. Es steht bei mir bereits heute in der Abteilung Raritäten.

Das Schlusswort hat Monsignore Dies, DJ & Unikum: «nadel-kratzkratz-kravatte an/ab - bartgewachsener bodenhaftungslärmbeherrschender feinster klänge - verbalbomber des geschmeidigen geschmacks – getaktet in lencoistischer manier – bewegungsgeilheit in trinkbarer essensextase – vinyldeformationsgummimasochist – prädikat wertvoll.» Noch Fragen?

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