Gebaut in den frühen Sechzigerjahren war Riedholz eine der ersten Siedlungen mit Vorfabrikation in der Schweiz, schreibt der Stadtwanderer.

Die Agglomeration fährt ein

Die Siedlung Riedholz war einst berühmt. Ihrer Grundrisse wegen, aber auch für die erste Vorfabrikation in der Schweiz. Der Stadtwanderer hat das Buch dazu gelesen und die Siedlung auf dem Zollikerberg besucht.

In Betrieb gesetzt hat mich das Buch ‘Siedlung Reidholz’. Sorgfältig gemacht mit brauchbaren Plänen und aussagekräftigen Bildern, ein Beispiel der prätentiösen Bescheidenheit, die in der Schweiz unterdessen im Verborgenen blüht. Ich fuhr mit der Forchbahn hinauf und stiess zuerst auf die reformierte Kirche am Zollikerberg, Der Turm ist ein Zahnstocherspitz, der symmetrisch vor einem Zelt steht. Brave Fünfzigerjahre, mit Vorplatz, Kirchgemeindehaus und Sigristenwohnung zum organischen Gemeindezentrum zusammengebunden. Architekten waren Hans Hubacher und Annemarie Hubacher-Constam. Das Innere des Kirchenzelts enttäuschte mich, die Lichtführung ist ungelenk, die Chance einer Zenithalbeleuchtung ungenutzt.


So war ich denn vorbereitet auf die Siedlung Riedholz einen Steinwurf weit daneben. Ich hatte im Buch die Rollenverteilung des Architektenpaars mitgekriegt. Er war der Organisator, sie die Entwerferin. Ich bin also ihretwegen da hinauf gepilgert. Das Buch ist ja eine Hommage an sie und will sie aus dem Schatten holen. Annemarie Hubacher kannte ich, sie war die Chefarchitektin der Saffa1958, der zweiten Schweizerischen Ausstellung für Frauenarbeit gewesen und als Saffa-Veteranin war sie im Architektur Forum Zürich aufgetreten. Ihr Wohnturm war damals das Wahrzeichen der Saffa 58 gewesen. Mit dem Lift fuhr frau hoch und ging dann auf einer Spiralrampe aussen am Turm hinunter. Ein langer, gewundener Laubengang mit Aussicht auf den Zürisee. Ikonisch.  


Im Buch stand viel Lob über die Siedlung und ich ging suchen, was ich gelesen hatte. Die Lage ist erste Güte. Sie liegt am Ende, es folgt ein freies Feld und dahinter der Wald. Hier ist vorhanden, was alle immer predigten: Ein klarer Siedlungsrand. Da bleiben die Kinder gesund und die Familien intakt. Die Siedlung selbst bestätigte meine Vorurteile. Im durchgehenden Rasenteppich sitzen isoliert die einzelnen Bauten mit Abstandsgrün dazwischen. Die Einfahrten weisen auf die Tiefgaragen hin. Eigentlich genau das, was ich immer bekämpfte: Die Agglomeration ohne Stadtraum. Da hätte ich gleich wieder gehen können, doch da ich schon da war, habe ich etwas genauer hingesehen.


Da ist zuerst die Konstruktion. Gebaut in den frühen Sechzigerjahren war Riedholz eine der ersten Siedlungen mit Vorfabrikation in der Schweiz. Hubachers operierten pragmatisch. Sie fabrizierten vor, was sich dafür eignete und bauten konventionell, was dafür zu sperrig war. Ein Jahrzehnt vor den Grosstafeln aus dem Hause Göhner-Igeco, sperrten sie sich nicht in ein geschlossenes System ein. Ihre Vorfabrikation war ‘unrein’, was ihnen erlaubte, ganz verschiedene Grundrisstypen zu entwickeln. Nicht den zwangshaften Zweispänner mit viereinhalb rechts und dreieinhalb links, nein auch Laubengang und Zweigeschosswohnung, inklusive Split-level waren möglich, ja sogar Wohnzimmer mit Überhöhe. Andersherum, Hubachers hatten keine Elementfabrik im Genick, sie waren der Tyrannis der Serie entkommen noch bevor diese die Macht in der Vorfabrikation übernahm. Mir leuchtete der grundsätzliche Unterschied ein: Hubachers dachten in Grundrissen, die Göhner-Igeco-Leute in Serienproduktion.


Da stand ich also in der Kälte und im Abstandsgrün und überlegte. Muss ich mein Oberstübchen neu vermessen? Muss ich die Agglomeration lieben lernen? Muss ich ein Bewunderer der Blöckli im Wiesli werden? Die Leute, die in der Siedlung Riedholz wohnen jedenfalls, leben gerne hier und sind mit den Wohnungen und dem Umfeld zufrieden. Ihnen fehlt der Stadtraum überhaupt nicht. Es gibt zwar keinen Laden und keine Beiz, auch die Kirche bleibt unterdessen leer und trotzdem: Niemand der nicht muss, will weg. Mir fuhr körperlich ein, was ich längst schon wusste: Die Agglomeration ist der Normalfall, das Übliche, das Landläufige, das Gewöhnliche. An einem trüben Mittwochnachmittag im Winter 25 in der Vorzeigesiedlung Riedholz packte mich die Wirklichkeit an der Gurgel: So ist es.

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Kommentare

DM 09.02.2025 09:45
Reidholz, Riedholz, oder doch Rietholz?
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