Der Thronfolger
Benedikt Loderer las die Geschichte eines habsburgischen Erzherzogs, der nur in den Geschichtsbüchern steht, weil er ermordet wurde. Die 51 Lebensjahre vorher füllen den Roman von Ludwig Windler.
«Der Thronfolger» ist ein Roman, worin das Leben des Erzherzogs Franz Ferdinand (1863-1914) erzählt wird, erraten, jener Thronfolger, der am 28. Juni 1914 vom serbischen Verschwörer Gavrilo Princip erschossen wurde und der damit den ersten Weltkrieg auslöste. Geschrieben hat das Buch Ludwig Winder, ein jüdischer Feuilletonredakteur der ‘Bohemia’ in Prag. Windler war 25-jährig als das Attentat gelang, ist also ein Zeitzeuge. Er kennt Kakanien. Ein Psychoschriftsteller ist er auch, er schreibt zwar von aussen und allwissend, aber spricht mit der inneren Stimme seiner Figuren, kennt ihre Wut, Rachsucht und ihre wenigen Freuden. Kurz, ich als Leser werde mitbewegt, darf in ihre düstere Seele schauen und in ihr schwarzes Herz. Einen etwas altmodischen Stil schreibt Windler allerdings. Wer Thomas Mann mag, wird Windler schätzen.
Es ist das Leben eines Verbitterten, eines Einsamen, eines Gedemütigten. Eigentlich war er gar nicht an der Reihe, doch da sich Rudolf, der Kronprinz 1889 in Mayerling umbrachte, wurde Franz Ferdinand Thronfolger, doch das erst, als er von der Tuberkulose geheilt war. Sein Onkel der alte Kaiser Franz Joseph mochte ihn nicht recht und er und der Hof sorgten dafür, dass er politisch keine Rolle spielte. Vor allem weigerte sich der Kaiser zu sterben. Jahrelang siechte Franz Ferdinand in der Warteschlange dahin. Er setzte sich über das habsburgische Hausrecht hinweg und beharrte darauf, Sophie Gräfin Chotek zu heiraten. Er hätte eine Prinzessin aus regierendem Haus wählen müssen. Der Hof und die Kamarilla setzte den Thronverzicht für alle Kinder der beiden durch. Franz Ferdinand musste gedemütigt abschwören mit kaltglühender Wut.
Was macht ein Thronfolger? Er repräsentiert. Da er aber Kaiser einst werden wird, bereitet er auch seine Herrschaft vor. Österreich-Ungarn im Abendrot ist für die Operette ein nostalgischer Hintergrund, doch in Wirklichkeit am Auseinanderbrechen. Die Reichsidee, verkörpert durch den Kaiser Franz Joseph ist nur noch eine brüchige Klammer, welche die widerstrebenden Nationalitäten kaum mehr zusammenhalten kann. Alle gegen den Kaiser und alle gegen alle. Und Franz Ferdinand gegen den Hof. Seine Pläne einer Reichsreform blieben blosse Wünsche. Franz Ferdinand blieb konservativ und altmodisch, ein katholischer Monarchist. Er klammerte sich an Thron und Altar.
Beim Lesen wurde mir wieder bewusst, was Monarchie einmal hiess: Adelsherrschaft, was mit Intrigenwirtschaft übersetzt werden muss. Die Geburt weist den Rang zu, der Rang die Stellung, die Stellung den Platz im spanischen Hofzeremoniell, Abweichler werden bestraft, wie Franz Ferdinand mit der unwürdigen Frau, die bei Hofe nicht erscheinen durfte.
Was macht ein Thronfolger? Er ist von Haus aus General und inspiziert. Er reist durch alle Kronländer von Kaserne zu Kaserne und wird von allen Offizieren gehasst. Die haben Grund dazu, denn seine kaiserliche Hoheit haben einen cholerischen Charakter, sie neigt zu Wutausbrüchen und ist grundsätzlich misstrauisch. Niemand im ganzen Reiche freut sich auf seine Krönung. Um ihn ist Verrat. Jedenfalls empfindet er das so. Ein Kronprinz, der keine Hoffnung weckt, wofür ist der nütze?
Der Roman, der sich offensichtlich an die historischen Tatsachen hält, steuert auf das Attentat von Sarajewo zu. Die Stimmung ist düster, Morddrohungen liegen in der Luft. Doch Franz Ferdinand schlägt alle Warnungen in den Wind. Er darf keine Schwäche zeigen, also wird er endgültig geschwächt. Was macht ein Thronfolger? Er rennt ins Verderben, dass daraus ein Weltkrieg wird, dafür kann er nichts.