Das Kapital spielt
Monopoly, wer es spielte, ist lebenslang infiziert. Die Erinnerung bleibt kleben. Selbst 55 Jahre Abstinenz löschen sie nicht. Benedikt Loderer hat Andreas Tönnesmanns Forschung dazu gelesen.
Nachmittage lang spielten wir Monopoly. Meine Schwestern verbündeten sich gegen mich, schufen einen Trust, der mich verhungern liess. Ich lernte: Gegen feindliche Verbündete kämpft der Redliche selbst vergeblich. Später lernte ich auch noch, ein wie abgrundtief verwerfliches Spiel, es sei: Subkutan werden dem Kind die Gesetze des Kapitalismus eingeflösst, eine spätkindliche Prägung oder seine von dunklen Mächten gelenkte Abrichtung zum Abschöpfer des Mehrwerts. Trotzdem, immer noch steht ‘Zürich Paradeplatz’ mit drei Hotels tief eingekerbt in meiner mentalen Topografie. Ich erkannte: Monopoly ist pfui, ich spiele es seit 55 Jahren nicht mehr.
Dann kam Tönnesmann. Er hat den Forscherblick und will «ein exemplarisches Gesellschaftsspiel kulturwissenschaftlich erforschen.» Das beginnt mit der Entstehungsgeschichte. Wie Charles Darrow aus Philadelphia PE als geschickter Plagiator das Brettspiel erfand oder, vertrackter, wie er es aus seinen Vorgängern herausdestillierte und 1935 patentieren liess. Was Monopoly mit der Wirtschaftskrise der Dreissigerjahre zu tun hat und wie es die Begleitmusik zu Franklin D. Roosevelts New Deal spielte, erfuhr ich auch. Dann selbstverständlich verfolgte ich lesend seinen Siegeszug auf der ganzen Welt. Ich las mit Staunen, wie die Schweizerausgabe die geistige Landesverteidigung widerspiegelt und freute mich, dass eine Überarbeitung, die statt Städte, Kantone einführte, wieder rückgängig gemacht wurde. Denn ich weiss seit den verzweifelten Nachmittagen, echt ist ‘Lugano Via Nassa’ und ‘Biel Nidaugasse’; alles andere spucke ich aus aus meinem Munde.
Doch Monopoly ist mehr, als die Schwestern gegen sich zu haben. Monopoly ist eine Idealstadt, eine utopische Verheissung, ein Glücksversprechen. Tönnesmann holt weit aus, beginnt mit der Idealstadt Sforzinda des Filarete, eine seiner Hausgötter. Über Pienza kommt er nach Utopia des Morus und auch zu Dürers Festungsstadt. Auch Tommaso Campagnella trifft er in seiner Sonnenstadt an. Im württembergischen Freudenstadt wird die Idealstadt zum ersten Mal gebaut, um bald darauf in der Gartenstadt Ebenezer Howards Wirklichkeit zu werden. Broadacre City von Frank Lloyd Wright war ‘demokratisch’, ‘organisch’, ‘integral’ und ‘amerikanisch’ genau wie Monopoly auch. In Usonien kriegte auch jeder ein Grundstück, das später den Immobilienmarkt im Monopoly füttern wird.
Tönnesmann erklärt mir die Idealstadt als Spiel und das Spiel als Idealstadt. Dass dabei Johan Huizinga mit seinem ‘Homo ludens’ als Kronzeuge auftritt, versteht sich von selbst. Drei Versprechen macht uns Monopoly: Spiel, Stadt und Glück, «die im Produkt Monopoly zusammentreffen und gemeinsam ein unverwechselbares Ganzes ergeben.» Oder im akademischen Jargon: «…ist es die Überlieferung der Idealstadt und der politischen Utopie, die aufgerufen wird, um ein Spiel, das bis in die Entstehungsumstände hinein Ergebnis krisenhafter Zeitumstände war, zum beispiellos erfolgreichen Transporteur eines positiv verstandenen Gesellschaftsentwurfs zu machen.» Als Schüler habe ich davon nichts gemerkt, meine spielkapitalistische Lage war zu düster. So kulturbreit und geschichtstief wie Tönnesmann habe ich Monopoly nie betrachtet. Jetzt aber merke ich: Lappi tue d’Ouge uf! Unter dem Spielbrett öffnet sich ein Abgrund von Zusammenhang, den mir Professor Tönnesmann vor Augen stellte. Ich nahm’s spielerisch, die Lektüre hat mich amüsiert und dem Lappi die Augen geöffnet. Wahr ist auch. «Die Spur des Erinnerns, die Monopoly in uns allen hinterlassen hat, wird nicht mehr zu löschen sein.»