Vom Weben, Spinnen und Knoten: Was hat das Material Sisal mit Bauen zu tun? Fotos: Gianfranco Rossetti
Im Auftrag von Terr'Arte

Vom Weben und Bauen

Axel Riester, Sisal-Spezialist von Terr’Arte und Architekturprofessor Andrea Deplazes verknüpften in der Schweizer Baumuster-Centrale die Kulturgeschichte des Webens mit derjenigen des Bauens.

Am 110. Brownbag-Lunch in der Schweizer Baumuster-Centrale ging es für einmal nicht um die konkrete Anwendung eines Baustoffs in einem Architekturprojekt, sondern um die Parallelen der Sisal-Web- und Spinntechniken mit der Geschichte des Knotens in der Architektur. Zuerst führte Axel Riester von Terr’Arte kurz und kurzweilig durch die Kultur- und Verarbeitungsgeschichte der Sisal-Faser. Die Naturfaser wird aus der Agave gewonnen, den Namen gab ihr die mexikanischen Hafenstadt Sisal, von wo aus die Fasern einst den Weg in die Welt antraten. Heute verarbeitet die Teppichproduktion rund 30’000 Tonnen pro Jahr, hauptsächlich in Brasilien, Kenya und Tansania. Wir folgen Riester auf dem Weg des Pflanzblattes zur Faser. Viel Handarbeit, Kraft und wenig Mechanik braucht es, bis aus den gebündelten und gepressten die bekannten steifen und robusten Fasten werden. Bevor sie ihren Weg in grossen Ballen nach Europa antreten, werden sie getrocknet und gekämmt. Terr’Arte etwa lässt sie in einer Weberei in Mellau im Vorarlberg zu den bekannten rauen Garnen verzwirnen. Gewoben werden sie praktisch noch wie zu Beginn der Industrialisierung, wie Riester aufzeigte, als der Webstuhl die Abhängigkeit der Bauern vom Grundherren beendete.

Axel Riester von Terr’Arte führt durch die Kulturgeschichte der Sisal-Faser.

Auch in der Baugeschichte wurde gewebt.

Andrea Deplazes stellte seiner kurzen Kulturgeschichte des Konstruierens und Bauens den «genetischen Drang des Menschen zur Konstruktion» voran. Denn noch vor dem Stein hat der Mensch mit Pflanzenfasern gebaut und konstruiert, so der Architekturprofessor. Deplazes verknüpft in seinem Vortrag gekonnt Textil- mit Baukulturgeschichte. Nicht zufällig ziert ein Ausschnitt eines Sisal-Teppichs das Cover seines Standardwerks «Architektur konstruieren. Vom Rohmaterial zum Bauwerk», das vielsprachig und bereits in einer fünften Auflage erschienen ist. In seiner packenden Bilderreise von der Knotenschrift der Inkas über ein frühirakisches Haus aus Schilfstengel hin zur kreuzweisen Verknüpfung der Faser zu einem Netz, führt Deplazes das gebannte und kauende Publikum durch die Kulturgeschichte des Menschen – die zumindest in ihren Anfängen zu grossen Teilen auch eine Baugeschichte ist, wie er aufzeigt. Denn immer wieder verlinkt der Architekturprofessor Kulturtechniken der ersten Menschen mit ihren Bau- oder mindestens Konstruktionsformen. So führte er etwa aus, dass erst das Netz die Domestizierung von Nutztieren ermöglichte und somit den Weg in die Sesshaftigkeit eröffnete. Oder dass der erste permanente Bau nomadisierender Völker der Speicher war. Und der Speicher damit den Grundstein für die Verfestigung des Wohnens legte.   

Die architektur- und kulturhistorischen Erzählung wollte danach «erfasst» werden.

So gelang es den beiden Referenten, Bilder und Geschichten in den Köpfen der Besucher und Besucherinnen zu einer architektur- und kulturhistorischen Erzählung zu verknüpfen. So dass man sich am Ende der Veranstaltung wunderte, dass man die ganze Zeit in der Schweizer Baumuster-Centrale sass und die Reise in die Vergangenheit nur im Kopf unternommen hatte.

Der Brownbag-Lunch ist eine Veranstaltung der Schweizer Baumuster-Centrale Zürich.

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