Linoleum für flexible Grundrisse
Beim Brownbag-Lunch sprachen Marcel Gmür von Forbo und der Architekt Andreas Feurer von Clou Architekten über den Einfluss von Linoleum auf die Raumwahrnehmung bei der Wohnsiedlung Leutschenbach.
Bei der Schweizer Baumuster-Centrale gibt es einige Neuerungen. So fand der Brownbag-Lunch zum zweiten Mal am frisch bezogenen Standort in der ehemaligen Kantine der SBB-Werkstätten in Zürich statt. Seit Oktober hat zudem Eva Meisinger die Geschäftsleitung der Schweizer Baumuster-Centrale übernommen. Im Zentrum der Veranstaltung stand Linoleum. Dieses 165 Jahre alte Baumaterial, erscheint aufgrund seiner Eigenschaften und Vielfalt gegenwärtiger denn je.
So präsent Linoleum als Bodenbelag in unserem Alltag ist, so unbekannt ist vielen von uns seine Geschichte. Marcel Gmür, Vertriebsleiter Schweiz bei Forbo Flooring Systems, nahm dies zum Anlass, um über die Historie und Herstellung zu sprechen. Im Jahr 1860 entwickelte der britische Chemiker Frederick Walton den Bodenbelag Linoleum. Dieser besteht bis heute fast vollständig aus natürlichen Inhaltsstoffen wie Leinöl, Harz, Holzmehl, Kalkstein und Jute. Linoleum wird nicht einfach hergestellt. «Es ist ein Prozessprodukt, das ähnlich wie Käse reifen muss», erklärt Marcel Gmür. Eine warme zähe Masse wird in mehreren Durchgängen durch grosse Walzen gepresst und dabei auf das Jutegewebe als Trägermaterial gepresst. Die entstandenen Linoleumbahnen werden nun für mehrere Wochen in bis zu 17 Meter hohen Trockenkammern abgehängt, bevor sie als Bodenbahnen verlegt werden können.
Während des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Linoleum in vielen europäischen Ländern zu einem günstigen, robusten und leicht zu reinigenden Massenprodukt. Schon damals erfolgte der Einbau nicht nur in Spitälern oder Schulen, sondern auch im Mietwohnungsbau. Ab den 1960er Jahren verdrängten die neu entwickelten Kunststoffböden mit noch tieferen Preisen und vielfältigen Farbmustern zunehmend Linoleum. Bis es im Laufe der 1990er Jahre mit Unterstützung eines veränderten Umweltbewusstseins als ökologisches Baumaterial wieder einen Aufschwung erfuhr, der bis heute anhält. Die Farben und Designmuster sind im Laufe der Jahre vielfältiger geworden und lassen sich zudem auch im Möbelbereich immer variantenreicher einsetzen.
Laut Andreas Feurer, Architekt und Partner bei Clou Architekten, hat Linoleum als Bodenbelag auch Auswirkungen auf die Raumwahrnehmung. Er verdeutlicht dies anhand der Wohnungen der städtischen Siedlung Leutschenbach. Das Erstlingsprojekt des Architekturbüros geht auf einen Wettbewerbsgewinn im Jahr 2015 zurück. Mit seinen 400 Wohneinheiten und Zusatznutzungen, wie Kindergärten, Gemeinschaftsräumen oder Gewerbeflächen bietet es bis zu 1200 Menschen einen Wohn- und Lebensraum. Neben speziellen Wohnformen von Kleinstwohnungen bis grossen Clusterwohnungen gibt es circa 350 sogenannte Standardwohnungen für Familien mit 4.5 oder 5.5 Zimmern.

In diesen Wohnungen kommen drei unterschiedliche Farbkonzepte zum Einsatz, bei denen der unifarbene Linoleumboden Blau, Grün oder Grau ist. Der Grundriss orientiert sich an den Korridorwohnungen der Gründerzeit, kombiniert mit einer offenen Wohnküche, wie Andreas Feurer erläutert. Das Ziel bestand darin, bei einer dichten Belegung von weniger als 30 Quadratmetern pro Person ausreichend und gut nutzbare Individualzimmer anbieten zu können.
Die grosszügige Küche und das Wohnzimmer liegen sich gegenüber. Ein raumhohes Schrankmöbel mit seitlichen Schiebetüren kann bei Bedarf die Räume voneinander trennen. Dadurch ist es möglich, das Wohnzimmer als viertes Individualzimmer zu nutzen oder die Küche vom restlichen Bereich der Wohnung zu separieren. Für einen solchen flexiblen Grundriss eignet sich ein ungerichteter Bodenbelag, wie Linoleum. Dieser gibt keine Lesarten von Raumnutzungen oder Bewegungsrichtungen vor, sondern ermöglicht fliessende Raumbezüge für vielfältige Nutzungen.