In der Agglo von Zürich: die Halle als Experimentierraum für Kultur, Leben und Arbeiten. Fotos: Markus Frietsch
In Zusammenarbeit mit ProMiet AG

Selbstbau in der Grauzone

Leben in Hallen heisst: private und öffentliche Räume, verschiedenste Konstellationen und genügend Platz pro Kopf. Dies ist eine von 5 neuen Wohnformen, die am 15. September in Bern diskutiert werden.

Szene I: Intro
Die Lichter gehen an: Die Sonne scheint flach und golden über der Limmat, die an einer Shedhalle vorbeizieht. Vor der Halle auf einer Bank sitzen Manu, Sonja, Niklas und sein Sohn Enea* und lassen den Tag ausklingen. Sie machen Pläne fürs Abendessen.

Niklas (steht auf und blickt zum Publikum): Wir sind vier von rund 15 Menschen, die diese Halle seit Sommer 2019 als selbstverwaltete Ateliergemeinschaft und Verein mieten.

Sonja (von der Bank aus): Und wir können voraussichtlich 15 Jahre bleiben!

Die Küche ist einer der wichtigsten Begegnungsorte in der Halle.

Szene II: Rollen oder nicht Rollen
Es ist ruhig in der Halle. Niklas schlendert über den dunkelgrauen Hallenboden, zwischen fixen und rollbaren Spaces – selbst gebauten Arbeits- oder Rückzugsorten – hindurch, an der Plattform an der Fensterfront mit Blick auf den Fluss vorbei.

Niklas (geht nun langsamer): Am Anfang lebte ich in einem Rollspace, den ich innert etwa einer Woche gebaut habe. Aber ... lustigerweise erwarten dann einige, dass man konstant damit herumrollt – was meiner Meinung nach nicht die Idee ist. Deswegen habe ich mir dann einen fixen Space gebaut. Einen, der sich nicht herumschieben lässt. Das hat etwa zwei Monate gedauert.

(Zeigt auf einen unfertigen Fixspace)

Niklas: Hier entsteht der Space von Hanna. Zu Beginn ihres Space-Projekts hatte sie kaum Erfahrung mit Bauen – aber mit Unterstützung geht es nun ganz gut. Alle planen und bauen ihre Spaces selbst und kommen auch für das Material auf. Unten wird ihr Freund sein Atelier haben. Sie zahlt oben etwas mehr Miete als er unten.

(Hält kurz inne und dreht sich dann zum Publikum)

Niklas: Ein Fixspace gibt dir mehr Privatsphäre. Er lässt sich besser abgrenzen. Grundsätzlich ist die Möglichkeit eines Rückzugs immer da – sie ist aber halt auf deinen eigenen Space beschränkt, der nicht riesig ist.

(Geht weiter in Richtung Küche)

Niklas: Du musst dir einfach bewusst sein, dass du, wenn du zum Beispiel in die Küche gehst, einen gemeinschaftlichen und sozialen Raum betrittst, in dem Menschen sind, die Geräusche machen und herumhantieren. Deshalb haben wir das Hiersein-auf-Probe eingeführt. Wenn du dann merkst, dass dir das zu anstrengend ist, solltest du dir gut überlegen, ob das hier der richtige Ort für dich ist.

Formen des Selbstbaus: ein Fixspace im Aufbau. Oben entsteht ein Rückzugsort, unten ein Atelierplatz.

Szene III: Die Halle füllt sich
Die grosszügige Küche haben die Nutzer*innen selbst eingebaut. Es gibt viel Arbeitsfläche, zwei Geschirrspülmaschinen, mehrere Kühlschränke. An einem klebt die sorgfältig geführte Haushaltsbudgetliste. Die Fensterfront beleuchtet die Szene, durch ein offenes Fenster dringen Verkehrsgeräusche.

Niklas (stellt sich auf den weissen, runden Designertisch vor der Kücheninsel): Mit den Selbstbauinstallationen erinnert die Halle vielleicht an Gemeinschaftsateliers von Kunstschaffenden – sie ist aber um einiges aufgeräumter! Nach knapp drei Jahren hat sich nicht nur baulich einiges getan. Unterdessen gehen hier rund 30 Menschen ein und aus. Einige haben fixe Spaces, andere Arbeitsplätze, und ein kleinerer Teil nutzt lediglich die Infrastruktur. Das heisst, sie haben einen Schlüssel, können die Werkstatt und die öffentlichen Räume mitbenutzen und am gemeinschaftlichen Leben teilnehmen. Neben der Halle gibt es auch einige Räume, die bereits bestanden. Dort befinden sich etwa die Küche, die Toiletten und der bis auf einige Spiegel und Matten leere Bewegungs- und Ruheraum.

Szene IV: Küche und Verantwortung
Niklas steigt vom Tisch und öffnet einen der rot oder grün bemalten Schränke. Die Regalbretter sind sorgfältig beschriftet, die Dosen und Packungen ordentlich aufgereiht.

Niklas: Es sieht zwar aus wie ein Vorrat, aber bei einem guten Dutzend kochenden und essenden Menschen hält das nicht lange.

(Beginnt, auf der Kücheninsel Zwiebeln zu schneiden)

Niklas: Ich habe rund zehn Jahre in ‹Bsetzige› mit vier bis 40 Menschen oder auch mal in einer durchorganisierten Kommune gewohnt. Bevor ich hierher kam, lebte ich mit meiner Ex-Partnerin in einer normalen Mietwohnung – aber die Kleinfamiliensituation war nichts für uns.

(Manu und der fünfjährige Enea kommen in die Küche, Manu spielt auf der Ukulele)

Enea: Kann ich deine Schere ausleihen? Wir wollen ein Parkverbotsschild basteln.

Niklas: Klar, nimm die von meinem Pult – aber leg sie danach bitte wieder hin.

(Enea und Manu verlassen die Küche. Während Niklas Risottoreis in einen Topf kippt, kommt Sonja herein. Sie ist erst seit Kurzem Teil der Gemeinschaft)

Sonja: Hast du eigentlich schon Kinder erlebt, für die Hallenleben nichts war?

Niklas: Ich kann nur von meinem Sohn reden. Ich finde, dass man merkt, dass er sehr sozialkompetent ist. Einige hier haben generell kein grosses Interesse an Kindern – aber die meisten haben doch Freude und schauen auch mal spontan zu ihm. So wie Manu jetzt gerade. Man kann auch hier die Verantwortung für ein Kind nicht gänzlich abgeben oder teilen, aber es hilft, wenn mehr Menschen da sind, die ebenfalls auf das Kind achten und aufpassen. Vieles ergibt sich – man muss nicht, aber man darf.

Die Halle gleicht einer ständigen Baustelle, die sich täglich verändert.

Szene V: Kommunikation
Während der Risotto vor sich hin köchelt, wäscht Niklas den Salat und schneidet Federkohl in Stücke. Hanna kommt schweigend herein und hält kurz inne, bevor sie die Küche wieder verlassen will.

Hanna: Ich bin hässig, es hat aber nichts mit euch zu tun.

(Niklas nickt und drückt ihr im Vorbeigehen kurz die Schulter)

Niklas: Ein schönes Beispiel für die Errungenschaft, miteinander kommunizieren zu können. Wir haben verschiedene Auffassungen davon, wie wir miteinander klarkommen oder umgehen. Ich finde einen präzisen gemeinsamen Nenner wichtig. Je kleiner der ist, desto toleranter muss man sein. Und Toleranz auf Dauer ...

(Schlägt mit dem Kochlöffel auf den Topfrand, um einen Rest Reis abzuschütteln)

Niklas: ... ist eine Beleidigung.

Die Halle kann vieles gleichzeitig sein – Café, Konzerthalle, Rückzugsort oder Arbeitsplatz. Je nachdem, wie die Ateliergemeinschaft ihren Alltag gestalten will.

Szene VI: Epilog
Das Essen ist fertig. Der grosse Topf Risotto wird mit einer Schüssel Salat, einem Stapel Teller, Besteck und Gläsern auf einen Servierwagen geladen. Vorsichtig fährt Niklas den Wagen zum grossen Tisch in der Halle. Manu, Enea, Sonja und Hanna kommen dazu und füllen ihre Teller. Hanna verschwindet in ihrem Space, die anderen setzen sich an den Tisch und essen. Nach einigen Minuten kratzt Niklas den letzten Rest Risotto auf seinem Teller zusammen und steht auf. Die Essensgeräusche verstummen, es wird dunkel. Spot auf ihn.

Niklas: Es ist doch interessant, dass die Architektur uns vorgibt – oder uns zumindest dazu verführt –, wie wir leben sollen und wollen. Wenn die Norm nicht lediglich 3-Zimmer-Wohnungen und Einfamilienhäuser wäre, würde unsere Gesellschaft anders aussehen. In den Augen vieler leben wir ein Experiment, aber es ist schlicht unser Alltag. Und der ist kein Zufall, sondern von uns so konstruiert. Es entsteht ein Plot mit der Idee dahinter, mehr Raum zu teilen, wie wir leben wollen und wohin das führen soll.

*Zum Schutz der Privatsphäre wurden die Namen der Protagonist*innen geändert.

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